Meer Leidenschaft
Nicole Dubilier erforscht am Bremer Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie Bakterien und Würmer in der Tiefsee
Text: Klaus Wilhelm
Welch ein Lachen! Tief, herzlich, einnehmend, natürlich, temperamentvoll, kumpelhaft, auch laut. Immer wieder bricht es aus Nicole Dubilier heraus – so, als könne sie gar nicht anders. Selbst, oder gerade, bei den Themen, die ihr Leben bedeuten: die Wissenschaft, die Familie, das Meer.
Man muss sich Nicole Dubilier, seit 2013 Direktorin am Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie als fröhlichen, gar glücklichen Menschen vorstellen, wenn sie etwa von ihren Exkursionen mit den Forschungsschiffen Meteor, Sonne oder Maria S. Merian in den Atlantik oder Pazifik erzählt. Wenn sie von Symbiosen erzählt, diesen engen Zweckgemeinschaften verschiedener Organismen zum beiderseitigen Nutzen. Vom neuen Kosmos der Molekularbiologie, der die Geheimnisse dieser Symbiosen allmählich enthüllt. Und von Bakterien und Würmern. Ja: von Würmern! Und frisch, zuweilen freimütig in ihrer geerdeten Art erzählen kann sie mindestens so gut wie lachen – und forschen. Sie mag Geschichten und das Leben und ihr Leben. Das zumindest glaubt man sofort zu spüren.
Jetzt sitzt Nicole Dubilier in ihrem schlichten Büro im ersten Stock des Bremer Instituts. An der Pinnwand eine Karte mit Geburtstagsgrüßen von der Crew der Maria S. Merian und ein humoristischer „Taufschein“ von der Crew der Meteor für das Überqueren des Äquators auf hoher See. Ein paar Schreibtische und Regale mit Fachliteratur, ein Ausblick auf den Garten und den Teich des Instituts und in der Ferne den Wald des Bürgerparks – ein Ausblick, der durchaus als Quell der Kreativität dienen dürfte. Von diesem Büro aus leitet „Nicole von Wurm“, wie das selbstironische und doch tief symbolhafte Namensschild an der Bürotür bezeugt, die Abteilung „Symbiose“.
Dreierkiste mit einem Wurm und zwei Bakterien
Dieses Forschungsfeld hat das Energiebündel von der Waterkant – Nicole Dubilier lebt seit Ende der 1970er-Jahre in Hamburg – in der vergangenen Dekade maßgeblich mitgeprägt. Sie entdeckte eine neue Form der Zweckgemeinschaft: eine symbiontische „Dreierkiste“ mit einem Wurm und zwei Bakterien, bei der, anders als angenommen, alle Beteiligten profitieren. Die Entdeckung war der renommierten Fachzeitschrift Nature einen „Letter“ wert. Der Ritterschlag für jeden Forscher: „Ich war damals mächtig stolz.“ Sie lacht.
Tatsächlich hat der Wurm aus dem Mittelmeer vor Elba „mein wissenschaftliches Leben schlagartig verändert“, so Dubilier. Nichts deutete in jungen Jahren darauf hin: Weder hat sie als Kind Regenwürmer zerlegt, weil die sich so prächtig regenerieren. Noch hat sie zu Beginn ihres Biologiestudiums Leidenschaften für das Getier entwickelt. Im Gegenteil: Wie alle Bio-Zweitsemester musste sie einen Regenwurm präparieren und dessen Anatomie erkunden. Und den für alle Biologie-Studenten berühmt-berüchtigten Satz im Kükenthal, dem Leitfaden für das Zoologische Praktikum, lesen: „Die Vielfalt der Strukturen, ihre Organisation und Ordnung und die farbliche Abstimmung der Gewebe wird jeden begeistern, der nicht stumpfen Sinnes ist.“ Dubilier lacht: „Dann war ich wohl stumpf.“
Symbiose zwischen Wurm und Bakterien
Der Blick für die Spannung im Ungewöhnlichen reift zuweilen eben erst später im Leben. Der Wenigborster Olavius algarvensis ist bestimmt keine Vorzeige-Art der Meereswelt, nicht so imposant wie ein Wal, nicht so erheiternd wie ein Delfin. Aber gewöhnlich ist er nicht. Das würde auch nicht zu Nicole Dubilier passen. Der Exot, gerade mal ein bis zwei Zentimeter lang, durchwühlt das obere Sediment im sandigen Meeresboden der flachen Küstengewässer vor der Insel. Im Mikroskop erscheint sein Körper milchig-weiß und gewunden wie die Röhren eines Tauchsieders.
Olavius ist schlank, mit seinen 0,2 Millimetern Durchmesser ein echtes Magermodel der Würmerwelt. Er ist verwandt mit dem schnöden Regenwurm, was seiner Besonderheit kaum gerecht wird. Denn der marine Wurm frisst nicht einen Bissen und lebt dennoch ausgezeichnet. Er hat weder Mund noch Magen noch Darm noch After. Der komplette Verdauungstrakt fehlt. Auch nach nierenartigen Organen für die Ausscheidung von Abfallstoffen wie Ammonium und Harnstoff suchen Anatomen vergeblich.
Schon Anfang der 1980er-Jahre entdeckten US-Wissenschaftler Röhrenwürmer am Grund der Tiefsee – an den Schwarzen Rauchern, kochend heißen Quellen, die ihre Höllensuppe aus der Erde spucken. Eine Suppe, die mit für fast alle Tiere tödlichem Schwefelwasserstoff (Sulfid) angereichert ist, jenem Gas, das faule Eier so übel stinken lässt. Die Röhrenwürmer trotzen der Gefahr durch einen Trick: Sie haben sich irgendwann in ihrer Evolution Bakterien einverleibt, die den Schwefelwasserstoff chemisch umsetzen und damit unschädlich machen.
Mit dem Vorgang gewinnen diese „Sulfidoxidierer“ Energie, die sie wie alle Organismen zum Leben brauchen. Das ganze Spektakel aber ist nichts weiter als eine klassische Symbiose. Denn der Wirt garantiert seinem Gast im Gegenzug die stete Nähe zur Nahrungsquelle. Eine Gemeinschaft zweier Lebewesen zum gegenseitigen Nutzen.
Kurze Zeit später spürte Nicole Dubiliers Doktorvater Olav Giere von der Universität Hamburg eine ähnliche Symbiose in darmlosen Würmern auf – gefunden nicht in der Tiefsee, sondern an der Küste von Bermuda. Auch sie gediehen prächtig in sulfidreichem Sediment. Auch sie schienen Bakterien zu beherbergen.
Derweil quälte sich Nicole Dubilier mit ihrer Promotion – eine Arbeit aus der Physiologie. Das Thema behandelte zwar Würmer, war aber dröge. Das Wetter über dem Schlick von Sylt bei der Feldarbeit eine Katastrophe: „Ich hatte meine persönliche Regenwolke.“ Sie lacht. Immer schon wusste sie, dass Beruf für sie Leidenschaft und Erfüllung sein sollte. Und jetzt das!
Als 15-Jährige hatte sie sich von ihrem ersten Traum verabschiedet: dem klassischen Tanz. Jeden Nachmittag nach der Schule hing Nicole Dubilier mit eisernem Willen an der Ballettstange. Die Aufnahmeprüfung für die renommierte Tanzausbildung an der Stuttgarter Akademie war geschafft. Dann kam es anders. Zu sehr war der Teenager in jenen Tagen politisch interessiert: „Mit den dortigen Ballettmäusen konnte man kein vernünftiges Wort wechseln.“ Sprachlosigkeit ist ihre Sache nicht, Inhaltsleere nicht minder. Und: „Mit 30 wäre die Tanzkarriere ohnehin vorbei gewesen.“ Die Frau handelt überlegt. Mit wachem Geist und scharfem Verstand.
Jahrelang allerdings hing sie der Sehnsucht nach. Nun, zu Zeiten der Promotion, schien der nächste Traum zu platzen: der einer erfüllten Forscherin, eines Menschen, der so von seinem Sujet gepackt ist, dass er selbst unter der Dusche kreativ darüber sinniert. Dreimal wollte Dubilier alles hinschmeißen, immer wieder hat sie die Zähne zusammengebissen. Die Frau ist zäh und willensstark.
Nach sechs Jahren Kampf, 1992, thronte der Doktorhut auf dem Dubilier’schen Haupt. Weitere Jahre dieser Art würde sie allerdings nicht durchhalten, das wusste sie. Denn „es ist frustrierend, wenn man hart arbeitet und nicht erfüllt ist.“ Der Plan: „Ein Jahr gebe ich mir noch als Post-Doc“ – mit einem anderen Thema, mit einer anderen Art der Forschung. Sie würde es merken, wenn es sie wirklich packen sollte. Es musste sich nur so anfühlen wie beim Ballett.
Symbiosen sind Triebfedern der Evolution
Es sollte die Molekularbiologie sein. Es sollte die Symbiose von Würmern mit Bakterien sein. Molekularbiologie deshalb, weil sie auf eine gewisse Weise weniger beschwerlich ist als Physiologie: „Wenn es da einmal klappt, dann ist es gut. Man muss den Versuch nicht fünfmal wiederholen“, sagt die Forscherin. An der Symbiose faszinierte sie der Gedanke der Kooperation, dass nicht nur Egoismus und Konkurrenz die Evolution vorantreiben, sondern auch Zusammenarbeit und Gegenseitigkeit als Motor von Entwicklung wirken. In dieser Lebensform gibt jeder etwas, was dem anderen hilft. „Das hat mich berührt“, sagt sie, „so sehr, dass es mich bekümmert hat, wenn manche Symbionten ihren Partner betrügen.“
Das alles wirkt wie eine typisch weibliche Sicht der Dinge: Kooperation statt Egoismus. Derlei Einwände kontert Nicole Dubilier mit Fakten und dem Herzblut der beseelten Forscherin. Dann erzählt sie davon, dass die Symbiose ein urzeitlicher Prozess ist: Ohne Symbiosen hätte sich das Leben auf der Erde nicht entwickeln können. Vor allem die Symbiose zwischen Bakterien und primitiven Einzellern habe die Ausbreitung und Evolution von pflanzlichen und tierischen Zellen befeuert und das Leben bestimmt.
Noch heute beherbergt nahezu jede pflanzliche, tierische und menschliche Zelle mit ihren winzigen Energiekraftwerken, den Mitochondrien, die Nachfahren früherer bakterieller Symbionten – ohne Mitochondrien könnten wir nicht atmen. Dann erzählt sie davon, dass im menschlichen Gedärm unzählige Bakterien gedeihen und sich etwa revanchieren, indem sie die Verdauung unterstützen oder womöglich das Immunsystem stärken. Wohin man auch blickt: Symbiosen, Symbiosen, Symbiosen.
So mag es erstaunen, dass das Forschungsgebiet Symbiose erst Mitte der 1990er-Jahre zaghaft Fahrt aufnahm. Um mehr über die Entstehung dieser Lebensgemeinschaften zu erfahren, brauchte es allerdings ein möglichst schlichtes Modellsystem. Da kamen Olav Gieres darmlose Flachwasser-Bermuda-Würmer mit ihren bakteriellen Symbionten wie bestellt. Die Kulturen der Würmer im Gepäck, machte sich Nicole Dubilier auf zur Harvard University in das Labor von Colleen Cavanaugh, die entscheidend an der Entdeckung der symbiontisch lebenden Tiefsee-Röhrenwürmer beteiligt war. An derart prominenter Stelle holte sie sich das Rüstzeug der molekularen Technik.
Kreativität steckt der Familie im Blut
Es war auch eine Rückkehr in ihr Geburtsland: Nicole Dubilier ist Amerikanerin mit durchaus bewegter Lebenshistorie. Wer sie hanseatisch schnacken hört, würde zunächst kaum darauf kommen. Doch gelegentlich mischt sich ein amerikanischer Akzent in ihren forschen deutsch-hamburgerischen Redefluss. Geboren in New York City, aufgewachsen in der Upper East Side, einem der noblen Viertel des Big Apple. Kein Zweifel: Die Erstgeborene von vier Kindern kommt aus gutem Hause. Der Vater ein amerikanischer Geschäftsmann, die Mutter eine Nachfahrin von Fanny Mendelssohn, der Schwester des Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy, und des berühmten Berliner Physiologen Emil du Bois-Reymond. Kreativität steckt im Blut der Familie.
Die deutsche Mutter emigriert Mitte der 1950er-Jahre in die USA und heiratet. „Ein Spannungsfeld von Anfang an“, wie die Tochter heute sagt. „Meine Eltern waren wie Feuer und Wasser, das war alles ziemlich chaotisch.“ Da passt es ins Bild, dass die Familie in den 1970er Jahren nach Deutschland zurückkehrt, nach Wiesbaden, wo Nicole Dubilier in der bundesweit bekannten Helene-Lange-Schule ein 1,3er-Abitur hinlegt. „Die Schule hat mir unheimlich Spaß gemacht“, sagt sie. Es sind aber nicht die Fächer Physik, Chemie oder Biologie – Politik-, Geistes- und Sozialwissenschaften faszinieren sie in jener Zeit. Diskutieren, protestieren, auseinandersetzen. Die Frau ist interessiert an gesellschaftlichen Entwicklungen – auch heute noch.
In diesem Licht klingt die Wahl des Fachs Biologie wie der reine Hohn. Doch „ich wollte auch etwas mit meinen Händen machen, etwas, was Denken und Bewegung verbindet.“ Biologie, am besten Meeresbiologie. Die Liebe zum Meer sitzt tief, geprägt von alljährlichen zweimonatigen Ferien der Familie auf Fire Island, einer schlauchartigen Insel vor Long Island. „Das Paradies für uns Kinder.“ Der andere entscheidende Punkt für die Studienwahl: „Ich wollte angesichts des chaotischen Familienlebens irgendwie Ordnung finden, Logik. In einer Naturwissenschaft, dachte ich, gibt zwei plus zwei immer vier.“ Eine junge Suchende nach der einfachen Wahrheit. Sie lacht.
Dass Forschung erst richtig spannend wird, wenn zwei und zwei – scheinbar – fünf ergeben, hat sie spätestens in Harvard begriffen. Derlei Ungereimtheiten zu lösen, verspricht wissenschaftlichen Ruhm. So auch Ende der 1990er-Jahre, als Olav Giere und der schwedische Taxonom Christer Erseus vor Elba eher zufällig Olavius algarvensis aufspürten. Sofort gab der Fund Rätsel auf: So genau die Forscher auch suchten, im Sediment der Bucht Capo di Sant’Andrea waren keine Sulfide zu finden. Alle zuvor entdeckten darmlosen Ringelwürmer lebten in sulfidreichen Böden. Elektronenmikroskopische Aufnahmen bezeugten zudem, dass mindestens zwei morphologisch unterschiedliche Bakterienarten in den Würmern hausten.
Nichts passte richtig zusammen, bis Nicole Dubilier die sogenannten 16s-rRNA-Gene der Einzeller entschlüsselte. Die 16s-rRNA gilt unter den Experten als eine Art molekularer Personalausweis einer bakteriellen Spezies. Heraus kam eine für die Symbiose-Forschung bahnbrechende Entdeckung: eine harmonische Menage à trois – ein Wirt mit zwei Symbionten; und alle profitieren.
Weil kein oder zu wenig Schwefelwasserstoff im Sediment vorkommt, hat sich O. algarvensis eine Schwefelwasserstoffquelle einverleibt. Ein Bakterium, das aus Sulfat Sulfid herstellt und über diesen Prozess Energie gewinnt. Den Schwefelwasserstoff wiederum verwerten die altbekannten sulfidoxidierenden Bakterien als Energiequelle.
So erwächst ein erst mit dem Tod des Wirts endender Kreislauf, in dem die beiden Bakterienarten ihre Stoffwechselprodukte untereinander austauschen. Dieses biologische Konstrukt funktioniert so prächtig, dass die Bakterien aus Kohlendioxid einen Überschuss organischer Kohlenstoffverbindungen produzieren und den Wurm damit ernähren. Die Mikroben nehmen ihrem Wirt auch alle lästigen Abfallprodukte ab, die er sonst ausscheiden müsste. „Einfach genial“, findet Nicole Dubilier. Der Wurm macht sich weitgehend unabhängig von externen Energiequellen und kann neue Lebensräume ohne hohe Sulfidvorkommen besiedeln. „Meine wissenschaftlich wichtigste Leistung, und keiner hat es vorher geglaubt.“ Doch die Zweifler verstummten.
Teamarbeit als Symbiose
Nicht zuletzt durch diese Entdeckung etablierte sich Nicole Dubilier im Jahr 2001 längerfristig am Bremer Max-Planck-Institut. „Ich wollte immer an dieses Institut, weil es optimale Arbeitsbedingungen bietet.“ Eine eigene Arbeitsgruppe – jetzt war die Forschungs-Organisatorin Nicole Dubilier gefordert. Büro statt Labor, neue Perspektiven entwickeln, gemeinsam mit ihren Mitarbeitern. „Die sind klasse“, sagt sie in einer fast kumpelhaften Art, „das Teamwork macht unheimlich Spaß.“ Fast hätte man es von einer Symbiose-Forscherin erwartet.
Wenn sie, wie an diesem Nachmittag, mit ihren Mitarbeitern zusammensitzt, ist die Atmosphäre konstruktiv und freundlich. Es geht um die nächste Fahrt mit der Meteor an den Mittelatlantischen Rücken – für alle ein großes Ereignis. Das muss bestens vorbereitet sein. Und wenn, wie jetzt, alle herumdrucksen, nur weil sie eine bestimmte Routine-Aufgabe nicht erledigen wollen, wird die Chefin auch mal bestimmt: „Das muss jetzt geklärt werden, wer macht das?“ Sie lacht.
Zusammen mit Partnern aus dem Bremer Institut, aus Deutschland und anderen Ländern liefern Dubilier und ihr Team regelmäßig hochklassige Ergebnisse. So haben die Forscher das „Biotop O. algarvensis“ inzwischen mit neuen molekularen Methoden noch genauer untersucht und bis zu vier verschiedene Bakterienarten aufgespürt, eine Ménage à plusieurs. Zwei Sulfatreduzierer, zwei Sulfidoxidierer. Überraschenderweise fixieren alle vier Symbionten Kohlendioxid. Warum die Redundanz? Das ist bislang unklar.
Vielleicht aber werden die unterschiedlichen Stoffwechselsysteme in verschiedenen Sedimenten gebraucht, in eher sauerstoffreichen oberen Sandschichten und in eher nitratreichen tieferen Sandschichten. Klar aber ist: Der Wurm hat ein regelrechtes symbiontisches Kraftwerk im Körper eingebaut. „O. algarvenis zeigt, wie begrenzte Ressourcen genutzt werden können, indem aufeinander abgestimmte Mikrobengemeinschaften zusammenwirken“, erklärt Nicole Dubilier. So könnte die Wurm-Bakterien-Symbiose ein Modell für eine sich fast selbst erhaltende Biosphäre sein. Ein System, wie es die Raumfahrt im großen Maßstab für lange Expeditionen wie etwa zum Mars braucht.
Derlei Dinge vermerkt sie auf die immer wieder gestellte Frage, wozu ihre Symbiosen-Wissenschaft denn taugen möge. Dann erzählt Nicole Dubilier etwas vom Kohlenstoffhaushalt der Meere und davon, wie das Wohlbefinden der See unmittelbar mit der Artenvielfalt gekoppelt ist. Und dass viele Prozesse der symbiontischen Bakterien auch wichtig für die Infektionsforschung sein könnten. Ja, das auch. Aber vor allem will sie in unbekanntes Terrain vorstoßen – den Blick offen halten für das Unerwartete, weitgehend frei von den Fesseln angewandter Forschung.
Mit dem Leibniz-Preis, der ihr Ende letzten Jahres zuerkannt wurde, ist Nicole Dubilier nun noch ein Stück freier: Denn das Preisgeld von 2,5 Millionen Euro kann sie bis zu sieben Jahre lang nach ihren eigenen Vorstellungen und ohne bürokratischen Aufwand für ihre Forschung einsetzen. „Mein Ziel ist es, mithilfe des Preisgeldes zu zeigen, wie wichtig Symbiosen für die Weltmeere sind“, sagt sie. „Sie spielen eine Schlüsselrolle für die Biodiversität und Ökologie unserer Ozeane, besonders dort, wo Ressourcen knapp sind, wie zum Beispiel in der Tiefsee.“
Walkadaver - Biotope der Tiefsee
Ein anderes, nicht minder interessantes Gebiet ist für Dubilier daher die Erforschung von Muscheln in den Tiefen der Meere. Dort fristen sie ihr Dasein auf Walkadavern, an Schwarzen Rauchern oder kalten Gasaustritten, wo Schwefelwasserstoff entweicht. Die Muscheln kultivieren bakterielle Symbionten in bestimmten Zellen ihrer Kiemen, wo sie ihnen ständig ein Gemisch aus sauerstoffhaltigem Meerwasser und Sulfiden heranpumpen.
Bei Untersuchungen dieser Symbiose entdeckte das Max-Planck-Team aber auch Bakterien, die den Zellkern von Muschelzellen infizieren. Interessanterweise dringen diese Parasiten nur in Kerne von Zellen ohne Symbiose ein. „Deshalb vermuten wir, dass die Symbiose irgendwie vor der Infektion schützen kann“, sagt Nicole Dubilier. Nun haben ihre Mitarbeiter derlei Zellkern-Infektionen sogar bei handelsüblichen Miesmuscheln nachgewiesen.
Das immerhin macht die Erforschung des Phänomens unbeschwerlicher, denn an Flachwassermuscheln ist leichter heranzukommen als an ihre Verwandten in der Tiefsee. Obwohl, ja obwohl allein der Gedanke an eine Exkursion in die Ozeane der Welt Nicole Dubiliers Augen sofort leuchten lässt: „Auf dem Meer bin ich einfach glücklich.“ So empfindet sie es als Privileg, zumindest einmal im Jahr mit der Meteor oder der Merian hinauszufahren und sich ein paar Wochen lang den Wind um die Ohren blasen zu lassen.
Dabei ist der Alltag an Bord mitunter hart. Ein Alltag, der frühmorgens beginnt, wenn das unbemannte, ferngelenkte Tauchboot, das Remotely Operated Vehicle (ROV), zum Grund des Meeres abtaucht. Wenn sie mit den Piloten, die den ROV steuern, in einem kleinen dunklen Container vor den großen Bildschirmen sitzt, welche die Kamerabilder des ROV zeigen. „Als ob man selbst drin säße“, schwärmt sie. Wenn sie die Piloten instruieren muss, was sie mit den Greifarmen des ROV aus dem Sediment des Meeres fischen sollen – in jüngster Zeit vor allem Muscheln. „Wenn es gut läuft, ist das ein Riesenspaß, und wenn es schlecht läuft, zofft man sich.“ Sie lacht.
Und gegen Abend, wenn das ROV wieder aufgetaucht ist, geht die Arbeit für die Forscher weiter. Im Schiffslabor präparieren und analysieren sie Getier samt Mikroben. „Dann staunen meine Leute, dass ich im Labor immer noch brauchbar bin“, sagt Dubilier. Der Job kann die ganze Nacht dauern. „Eine Muschel aus der Tiefsee in den Händen zu halten, an ihr zu schnüffeln, ob sie nach Sulfid riecht, sie zu begutachten, das ist eine ungeheure Befriedigung.“ Und sie liebt die Momente, wenn sie nach 20 Stunden Rackern, völlig übernächtigt, am frühen Morgen mit den gleichermaßen ermatteten Kollegen auf einen Schnack zusammensitzt.
Zwischenzeitlich hat Nicole Dubilier auf derlei Fahrten aber auch verzichtet. Erst als ihr Sohn acht Jahre alt wurde – das ist mittlerweile acht Jahre her – ging sie wieder an Bord. Aber nur, weil sie damals wusste, dass ihr Mann die Kinderbetreuung übernehmen würde. „Der machte es super.“ Auch hier pflegt sie den Gedanken der Kooperation. „Ich hatte mit meinem Mann vereinbart, dass wir uns die Erziehungsaufgaben gleichberechtigt teilen, und das ziehen wir auch durch.“ Da spricht sie: Nicole Dubilier, die Mutter, die Meeres-, Mikro- und Molekularbiologin, die Powerfrau, die, wenn man sie nur lässt, bis 80 arbeiten will. Und die dabei nur denken will, „dass mein Team die tollste Forschung der Welt macht.“ Sie lacht. Natürlich.