Fliegen verarbeiten anziehende und abschreckende Gerüche in unterschiedlichen Hirnregionen

Neu entwickeltes Analysegerät Flywalk ermöglicht exakte Verhaltensstudien an Insekten

25. April 2012
In Zusammenarbeit mit Kollegen aus Portugal und Spanien haben Forscher am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena eine Apparatur entwickelt, die Duftstoffe automatisch in einen Luftstrom abgibt und dabei das Verhalten von Insekten filmt und auswertet. Das System Flywalk besteht aus Glasröhren, Luftströmungs-Regulatoren und einer Videokamera. Je Versuchsreihe können fünfzehn Tiere auf bis zu acht verschiedene Duftsignale hin getestet werden. Erste Messreihen zeigen, dass männliche und weibliche Fruchtfliegen unterschiedlich auf anlockende Stoffe reagieren. Männliche Fliegen werden vom Duft bereits begatteter Weibchen nicht mehr angezogen, da diesen mit cis-Vaccenyl Azetat ein abschreckender Duft anhaftet. In zwei weiteren Studien berichten die Forscher über die Verarbeitung von Duftsignalen im Insektengehirn.

Flywalk kann Reaktionen von Insekten auf Geruchssignale exakt bestimmen. Die beiden wesentlichen Kenngrößen sind: Läuft das Tier gegen die Windrichtung, wird der Duft als attraktiv bewertet; bleibt es stehen oder läuft mit dem Luftstrom, ist der Duft abschreckend. Das System erlaubt neben dem Einsatz einzelner Geruchsstoffe auch die Applikation von Duftmischungen. Außerdem können Duftpulse unterschiedlicher Länge und Konzentration verabreicht werden. Der hohe Durchsatz und lange, automatisierte Messzeiten − bis zu acht Stunden können die Tiere im Flywalk verweilen − erlauben statistische Auswertungen der Messergebnisse.

Versuche mit Fruchtfliegen zeigten, dass Weibchen im Gegensatz zu Männchen mehr von typischen Nahrungsdüften wie Ethylazetat angezogen werden − ein Verhalten, das auf die Suche nach einem optimalen Eiablageplatz zielen könnte, um dem Larven-Nachwuchs nach dem Schlüpfen sofort ausreichend Nahrung zu garantieren. Auf abschreckende Düfte, z.B. Benzaldehyd, reagieren dagegen beide Geschlechter identisch. Männchen wiederum antworten positiv auf den Geruch unbegatteter Weibchen: Wird die Luft, die die jungfräulichen Weibchen umgibt, in Flywalk geleitet, wandern die Männchen stromaufwärts. „So konnten wir erstmals zeigen, dass Weibchen wie bei anderen Insektenarten auch mithilfe von Düften Männchen anlocken. Die Chemie dieser  Duftkomponenten wird zurzeit untersucht“, so Kathrin Steck, die die Experimente durchgeführt hat. Bekannt ist bereits der Stoff, der begattete Weibchen für paarungsbereite Männchen unattraktiv macht: cis-Vaccenyl Azetat. Mit diesem Duft markiert ein Männchen während der Begattung das Weibchen, verhindert so eine weitere Befruchtung durch konkurrierende Männchen und sichert so die Verbreitung seiner Gene. 

In ihrer Studie haben die Wissenschaftler die Aktivität so genannter Projektionsneurone im Gehirn von Fruchtfliegen gemessen.  Diese befinden sich im Riechzentrum der Fliegen, dem Antennal-Lobus. Tests mit sechs besonders attraktiven und sechs besonders abschreckenden Duftkomponenten ergaben, dass ähnlich wie bei Mäusen und Menschen attraktive und abschreckende Düfte jeweils in einer bestimmten Gehirnregion verarbeitet werden. „Die Funktion des Insektengehirns gleicht somit der des Säugergehirns mehr als bisher angenommen“, schreiben die Forscher. Da die Aktivität von Projektionsneuronen bereits eine Art Interpretation eingehender Duftsignale darstellt, scheinen sich die Beurteilungen wie „gut“ oder „schlecht“, die letztendlich das Verhalten der Fliegen steuern, schon sehr früh im Fliegengehirn auszubilden.

Bei den in der Landwirtschaft gefürchteten Faltern Spodoptera littoralis (Ägyptische Baumwolleule) und Spodoptera exigua (Zuckerrübeneule) haben Aktivitäts-messungen im Antennal-Lobus ergeben, dass Neuronen auf einzelne pflanzliche Geruchsstoffe jeweils sehr spezifisch reagierten. Dies steht im Einklang mit ihrer Lebensweise: Die beiden Eulenfalter befallen mehr als 100 verschiedene Pflanzengattungen, darunter viele Nutzpflanzen, und deswegen müssen sie den Duft einer bestimmten Pflanzenart genau zuordnen können. Drei im Vergleich zu den beiden Generalisten untersuchte Spezialisten, nämlich Motten der Arten Acherontia atropos (Totenkopffalter), Smerinthus ocellata (Abendpfauenauge) und Manduca sexta (Tabakschwärmer) scheinen sich dagegen nur auf die Erkennung weniger Wirtspflanzen spezialisiert zu haben: Verschiedene Düfte erzeugten oft ähnliche oder sogar identische Erregungsmuster im Mottengehirn.

JWK/HR

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