Tempolimit auf dem Quanten-Highway

Erstmals enthüllt eine Messung, wie schnell sich Quantensignale in einem Vielteilchensystem ausbreiten

1. Februar 2012

Der Quantencomputer könnte der Superrechner der Zukunft sein, doch auch er wird seine Grenzen haben. Eine mögliche Grenze hat ein internationales Team um Physiker des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in Garching und der Universität Genf nun ausgelotet. Die Forscher haben berechnet und gemessen, wie schnell sich in einem streng geordneten Gitter von Rubidiumatomen ein verschränktes Paar aus einem doppelt besetzten und einem leeren Gitterplatz trennt. Verschränkte Zustände sind Quantensignale, die dem Quantencomputer seine Rechenkraft geben sollen. Wie schnell diese Quantensignale übertragen werden, setzt dem Quantencomputer ein Tempolimit. Das ändert aber nichts daran, dass ein Rechner, in dem Quantenteilchen die Aufgaben der klassischen Bits übernehmen, prinzipiell viel schneller rechnet als ein herkömmlicher Computer.

In einem Quantencomputer gelten andere Gesetze als in seinem klassischen Pendant. Dass er Information prinzipiell anders übermittelt und verarbeitet, liegt an den gravierenden Unterschieden zwischen Quantenteilchen und klassischen Objekten. So sind letztere etwa entweder schwarz oder weiß sind, während Quantenteilchen beide Farben gleichzeitig annehmen können. Erst beim Messvorgang entscheiden sie sich für eine der beiden möglichen Eigenschaften. Aufgrund dieser Besonderheit können zwei Quantenobjekte einen gemeinsamen Zustand bilden, den Physiker verschränkt nennen und in dem ihre Eigenschaften fest verknüpft, also quantenkorreliert sind: Bestimmt eine Messung etwa den Ort eines der Quantenobjekte, steht auch der Ort des anderen Teilchen fest.

Physiker um Stefan Kuhr, Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik und Professor an der Universität Strathclyde in Glasgow, sowie Immanuel Bloch, Direktor an dem Garchinger Max-Planck-Institut, haben nun direkt beobachtet, wie schnell sich eine solche Quantenkorrelation in einem Medium ausbreitet. Dafür gibt es derzeit keine allgemeingültigen Vorhersagen. Mithin war bislang auch noch nicht klar, wie schnell ein Quantencomputer rechnen kann. „Unsere Messung gibt uns erstmals Auskunft darüber, wie ein ganz elementarer Prozess bei der Ausbreitung von Quantensignalen abläuft“, sagt Immanuel Bloch.

Verschränkte Paare tunneln durch Röhren im Lichtgitter

Ihr Experiment machten die Physiker an einem extrem kalten Gas aus Rubidiumatomen. Mit Lichtfeldern strukturieren sie das Ensemble derart, dass sich die Atome nur noch entlang eindimensionaler, parallel verlaufender Röhren bewegen dürfen. Diesen Röhren überlagern sie schließlich eine stehende Laserwelle, so dass sich die Atome in einer periodischen Folge heller und dunkler Gebiete befinden. Hier ordnen sich die Teilchen zu einer regelmäßigen Gitterstruktur an: in jedem hellen Gebiet sitzt genau ein Atom wie in einer Mulde, die von der nächsten Mulde durch eine Barriere getrennt ist.

Über die Laserintensität steuern die Physiker die Höhe der Barriere zwischen den Mulden. Am Anfang setzen sie diese so hoch, dass die Atome auf ihren Plätzen fixiert sind und nicht zum Nachbarplatz wandern können. Dann erniedrigen die Forscher die Barriere quasi auf Knopfdruck so weit, dass das System aus dem Gleichgewicht gerät und lokale Störungen entstehen. Denn unter den neuen Bedingungen darf das eine oder andere Atom die Barriere „durchtunneln“ und gelangt auf seinen Nachbarplatz. Auf diese Weise entstehen vereinzelt verschränkte Paare aus je einem doppelt besetzten Gitterplatz, Doublon genannt, und einem leeren Gitterplatz, einem Loch oder auch „Holon“ (von dem englischen Wort „hole“ abgeleitet). „Für ein verschränktes Paar ist zunächst nicht definiert, ob sich das Holon rechts oder links vom Doublon befindet. Beide Konstellationen sind gleichzeitig vorhanden“, erläutert Marc Cheneau, der als Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik maßgeblich an den Experimenten beteiligt war. „Aber wenn ich einen doppelt besetzten Platz oder ein Loch sehe, dann weiß ich genau, wo ich das jeweilige Gegenstück finde. Das ist die Korrelation, von der wir sprechen.“

Schnappschüsse zeigen die Ausbreitungsgeschwindigkeit

Nach einem Modell, das Corinna Kollath, Professorin an der Universität Genf, mit ihren Mitarbeitern entwickelt hat, wandern Doublon und Holon wie echte Teilchen durch das System, und zwar in entgegen gesetzte Richtungen. Diesen Prozess beobachten die Garchinger Physiker mit einem neuartigen Mikroskopieverfahren, das einzelne Atome auf ihren jeweiligen Gitterplätzen sichtbar macht. Vereinfacht ausgedrückt, schießen sie in festgelegten Zeitabständen immer wieder Schnappschüsse von den Atomen im Gitter. Die Aufnahmen zeigen, wo sich die Doublon- und Holon-Teilchen gerade befinden. Aus der Strecke, die sich die beiden Partnerteilchen in einem bestimmten Zeitraum voneinander entfernt haben, lässt sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit der jeweiligen Korrelation bestimmen. „Unsere Messergebnisse stimmen dabei mit den theoretischen Berechnungen sehr gut überein“, sagt Stefan Kuhr.

Das Profil der Ausbreitungsgeschwindigkeit ähnelt demnach dem Lichtkegel, der das Tempolimit für Objekte gemäß der speziellen Relativitätstheorie vorgibt. „Wenn Quanteninformation mit Lichtquanten übertragen wird, ist die Sache klar: die Daten werden mit Lichtgeschwindigkeit weiter gegeben“, erklärt Marc Cheneau. Anders sieht es aus, wenn Quantenbits oder Quantenregister mit Festkörperstrukturen realisiert werden. Hier muss die Quantenkorrelation von Bit zu Bit weiter gereicht werden. „Wenn wir verstehen, wie schnell dieser Prozess ablaufen kann, wissen wir auch, was die Geschwindigkeit zukünftiger Quantenprozessoren begrenzen könnte“, sagt Marc Cheneau

OM/PH

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