Das Klima aus der Luftdruckschaukel
Anthropogen verursachte Treibhausgase beeinflussen die Nordatlantische Oszillation heute ähnlich wie erdgeschichtliche Veränderungen der Umlaufbahn um die Sonne
Der Ausstoß von Treibhausgasen, die der Mensch in den letzten hundert Jahren in Gang gesetzt hat, beeinflussen das für die Nordhalbkugel unserer Erde bestimmende Klimaphänomen der so genannten Nordatlantischen Oszillation (NAO) in ähnlichem Umfang wie frühere Veränderungen in der Umlaufbahn der Erde um die Sonne. Dies zeigen Forschungsergebnisse, die deutsche und jordanische Klimawissenschaftler um Thomas Felis und Gerrit Lohmann von der Universität Bremen sowie Stephan Lorenz vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg jetzt in der Zeitschrift "Nature" (Nature, 13. Mai 2004) veröffentlicht haben. Diese Befunde beruhen darauf, dass Analysen der chemischen Zusammensetzung fossiler Korallen aus dem Roten Meer mit den Ergebnissen von Rechenmodellen für das Klima der Erde zusammengeführt wurden.
Die Forscher hatten dazu Proben aus Korallenriffen im Golf von Aqaba (Rotes Meer) ausgewertet, die aus der Zwischenwarmzeit vor der letzten Eiszeit vor etwa 122.000 Jahren, aus dem späten Holozän vor 3.000 Jahren sowie aus den letzten 250 Jahren stammten. Mit Hilfe der auf diese Weise gewonnenen hochaufgelösten Proxy-Daten (Stellvertreter-Daten) war es möglich, jahreszeitliche Temperaturschwankungen in dieser Region über lange Zeiträume nachzuvollziehen. Dabei zeigte sich, dass in der damaligen Warmzeit im Nahen Osten wärmere Sommer und kühlere Winter als heute auftraten. Das steht im Einklang mit einem veränderten Jahresgang der Sonneneinstrahlung, der durch eine stärkere Achsenneigung sowie eine größere Exzentrizität der Erdbahn um die Sonne während der Zwischenwarmzeit (Eem-Zeitalter) ausgelöst wurde. Das Klima im Nahen Osten wurde damals - ebenso wie auf der Nordhalbkugel zwischen Europa und Sibirien - von der Nordatlantischen Oszillation beeinflusst, einer Art "Luftdruck-Schaukel" zwischen Azoren-Hoch und Island-Tief über dem Nordatlantik. Aus anderen Messdaten, die aus mitteleuropäischen Regionen der damaligen Erdperiode stammen, weiß man zudem, dass die Winter dort - trotz geringerer Sonneneinstrahlung - milder waren als heute.
Am Max-Planck-Institut für Meteorologie haben die Wissenschaftler diese klimatischen Vorgänge mit Hilfe des gekoppelten Atmosphäre-Ozean-Zirkulationsmodells "ECHO-G" simuliert. Dieses Rechenmodell wurde zur Erforschung des zukünftigen Klimas entwickelt und ist auch eines jener Modelle, die derzeit vom "Intergovernmental Panel on Climate Change" (IPCC) für die Vorhersage zukünftiger Klimaschwankungen genutzt werden. Doch jetzt konnten sie zum ersten Mal eine auf Messdaten gestützte Simulationen über einen Zeitraum von mehr als 140.000 Jahren mit einem solchen hochkomplexen Klimamodell durchführen. Diese Simulation der Erdvergangenheit berücksichtigt die astronomisch ausgelösten Veränderungen der jahreszeitlichen Sonneneinstrahlung, die schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts von dem serbischen Mathematiker Milutin Milankoviç berechnet wurden und seit langem als so genannte Milankoviç-Theorie auch als Ursache der Eiszeiten diskutiert werden. Für die vergangenen 200 Jahre (von 1800 bis 2000 AD) berücksichtigt das Modell zudem den anthropogen verursachten Anstieg der Konzentration von Treibhausgasen. Im Modell sind das Kohlendioxid, Distickstoffoxid und Methan sowie die Chlor-Fluor-Kohlenwasserstoffe.
Hierbei zeigte sich, dass das Rechenmodell sehr gut in der Lage ist, die Ergebnisse der Proxy-Daten aus den Korallenablagerungen nachzuvollziehen. Die Modellrechnungen zeigen, dass verhältnismäßig große Druckunterschiede über dem Nordatlantik und die daraus resultierenden starken Westwinde in Mitteleuropa mildere Winter auslösen, während sie im Nahen Osten zu kälteren Wintern führen (vgl. Abb. 1). Veränderungen der Nordatlantischen Oszillation in der Erdvergangenheit lassen sich eindeutig auf Schwankungen der Erdbahn um die Sonne zurückführen. Die kombinierte Analyse der Proxy- und der Modelldaten zeigte zudem, dass das für das regionale Klima in Europa und dem Nahen Osten so wichtige Phänomen der Nordatlantischen Oszillation schon sehr viel länger wirksam ist als bisher angenommen.
Darüber hinaus konnten die Forscher mit Hilfe ihres Klimamodells zeigen, dass sich die Luftdruckschaukel im Nordatlantik im 20. Jahrhundert in vergleichbarer Größenordung verändert hat wie seinerzeit unter den Bedingungen einer veränderten Erdumlaufbahn (vgl. Abb. 2). Die heutige Tendenz zu milderen Wintern in Mitteleuropa wird demnach zu einem erheblichen Anteil durch den Ausstoß der anthropogenen Treibhausgase ausgelöst.
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An dem Forschungsprojekt waren beteiligt:
- DFG Forschungszentrum Ozeanränder, Universität Bremen,
- Fachbereich Geowissenschaften, Universität Bremen,
- Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg,
- Heidelberger Akademie der Wissenschaften,
- Marine Science Station, University of Jordan & Yarmouk University, Aqaba, Jordanien.