„Klimaschutz als Mitnahmeeffekt“
Anlässlich der UN-Klimakonferenz im südafrikanischen Durban spricht Jochem Marotzke, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg, über die Erfolgsaussichten des Klimagipfels und darüber, wie sich wirksamer Klimaschutz vielleicht noch erreichen lässt. Jochem Marotzke arbeitet mit an den wissenschaftlichen Berichten des IPCC, des Intergovernmental Panel for Climate Change.
Professor Marotzke, was erwarten Sie von der Weltklimakonferenz in Durban?
Marotzke: Ich bin recht skeptisch, dass dort etwas Zählbares herauskommen wird. Zumindest den großen Wurf wird es nicht geben: Ein Nachfolgeabkommen für das Kyoto-Protokoll mit verbindlichen Klimazielen halte ich für fast ausgeschlossen.
Wo sehen sie die wesentlichen Konfliktlinien?
Marotzke: Den wesentlichen Konflikt sehe ich zwischen den Entwicklungs- und Schwellenländern auf der einen Seite und den Industrieländern auf der anderen Seite. Letztere verlangen, dass sich auch die ärmeren Länder am Klimaschutz beteiligen. Die Entwicklungs- und Schwellenländer beharren dagegen darauf, dass da hauptsächlich die Industrieländer gefordert sind, weil sie die Misere verursacht haben. Und beide haben Recht. Einen möglichen Ausweg aus dieser Situation haben wir allerdings in einer aktuellen Forschungsarbeit aufgezeigt.
Wie könnte der aussehen?
Marotzke: Prognosen zu mittelfristigen Klimaveränderungen und zu den daraus resultierenden ökonomischen Schäden könnten die reichen Industrienationen dazu bringen, mehr für den Klimaschutz zu tun und vielleicht sogar ausbleibende Beiträge der ärmeren Staaten zu kompensieren. Denn die Industrieländer haben einerseits mehr zu verlieren, andererseits haben sie die Mittel, sich etwas stärker für den Klimaschutz zu engagieren.
Gibt es darüber hinaus weiteres Konfliktpotenzial?
Marotzke: Ein Problem ist sicher das der Trittbrettfahrer. Staaten, die jetzt nichts zum Klimaschutz beitragen, profitieren später vielleicht von den Maßnahmen anderer. Wer dagegen jetzt etwas für den Klimaschutz tut, nimmt zunächst ökonomische Einbußen in Kauf und muss vielleicht mit ansehen, wie die Trittbrettfahrer ihn ökonomisch überholen. Und wenn trotz seines Engagements am Ende die Treibhausgas-Emissionen nicht substantiell reduziert werden, muss ein Land höchstwahrscheinlich noch einmal Verluste durch Klimaschäden hinnehmen.
Wird also auch bei dieser Klimakonferenz nichts herauskommen?
Marotzke: Das glaube ich wiederum nicht. Ich bin sicher, dass es kleine Fortschritte geben wir. Zum einen, weil viele Staaten mit gutem Willen in Durban anreisen. Zum anderen könnte sich da die Klimakonferenz in Kopenhagen als hilfreich erweisen, die man als gescheitert betrachten muss. Das Echo auf diese Konferenz war vernichtend. Um ein solches Echo jetzt zu vermeiden, möchten die Politiker etwas vorzuweisen haben. Zynisch betrachtet wird man sich alleine deshalb sehr anstrengen, zumindest einen kleinen Fortschritt zu erreichen, damit die Verhandlungsführer politisch erfolgreich dastehen. Und diese kleinen Schritte sind wichtig.
Worin könnte solch ein Fortschritt bestehen?
Marotzke: Beim Klimafonds, der in Kopenhagen vereinbart wurde, um die Entwicklungsländer beim Klimaschutz zu unterstützen, könnte es einen Erfolg geben. Am Ende ist aber vor allem wichtig, dass der Dialog weitergeht.
Kann der noch zu einem verbindlichen Klimaschutzabkommen führen?
Marotzke: Ein globales Abkommen zur CO2-Minderung ist gescheitert und wird möglicherweise auch künftig immer scheitern. Ich glaube auch nicht, dass wir das Ziel erreichen werden, die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf zwei Grad zu begrenzen.
Wie kann es dann noch wirksamen Klimaschutz geben?
Marotzke: Darauf gibt unsere jüngste Forschung einen guten Hinweis: Wir müssen die kurzfristigen Eigeninteressen mit den langfristigen Kollektivinteressen verbinden. Im so genannten Hartwell-Artikel etwa hat eine internationale Gruppe von Klimaforschern vorgeschlagen, das Klimaschutzziel für die Entwicklungsländer umzudefinieren. Das Ziel für diese Länder könnte Versorgungssicherheit heißen, und die erreicht ein afrikanisches Land beispielsweise viel eher durch Solaranlagen als durch fossile Brennstoffe. Man könnte auch Entwicklungshilfe stärker unter dem Aspekt der Emissions-Minderung betreiben. Klimaschutz wird so zum Mitnahmeeffekt. Wir stellen das Problem also vom Kopf auf die Füße.
Sind da die Industrieländer in der Pflicht?
Marotzke: In gewisser Weise schon, aber auf die Moral zu pochen reicht da alleine natürlich nicht. Ein Motiv könnte sein, dass sich für die Industrieländer so auch Chancen etwa im Export ergeben.
Zum Schluss noch eine Frage nach ihrem persönlichen Beitrag zum Klimaschutz: Als erfolgreicher Wissenschaftler und Max-Planck-Direktor sind sie in aller Welt unterwegs und haben wahrscheinlich einen beachtlichen CO2-Fußabdruck. Wie gehen Sie damit um?
Marotzke: Deshalb habe ich kein schlechtes Gewissen: Reisen, auch viele Fernreisen, gehören zu meinem Beruf. Ich bedauere es allerdings enorm, dass wir aus unserem Haushalt keine Ausgleichsmaßnahmen finanzieren dürfen. Das würde ich sofort tun und dabei auch hinnehmen, dass uns dieses Geld an anderer Stelle bei unserer Arbeit fehlt. In anderen Ländern, etwa in der Schweiz, ist das auch erlaubt, bei uns aber verbietet dies das Zuwendungsrecht.
Und was tun sie in Ihrem Alltag in Hamburg für den Klimaschutz?
Marotzke: Ich bin hier nur mit dem Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Im Moment besitze ich sogar nicht einmal ein Auto.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Peter Hergersberg