Warum schwere Sterne zusammenhalten

Das Radioobservatorium Alma beobachtet erstmals, wie in einer Molekülwolke gleichzeitig Doppel-, Dreifach-, Vierfach- und Fünffach-Sternsysteme entstehen

Beim Menschen liegt die Wahrscheinlichkeit, Mehrlinge zu gebären, bei unter zwei Prozent. Anders sieht es bei Sternen aus, vor allem bei besonders schweren Sternen. Sterne, die um ein Vielfaches schwerer sind als die Sonne, beobachten Astronominnen und Astronomen in über 80 Prozent der Fälle in Doppel- oder Mehrfachsystemen. Die Frage ist, ob sie auch als Mehrlinge entstehen oder ob die Sterne allein geboren werden und sich erst im Laufe der Zeit zusammenfinden.

Bei massereichen Sternen gilt die Mehrlingsgeburt schon lange als Norm. Zumindest im Computer, denn in theoretischen Simulationen kollabieren riesige Gas- und Staubwolken gerne zu Systemen aus mehreren massereichen Sternen. Diese Simulationen zeichnen einen hierarchischen Prozess, bei dem sich größere Wolkenteile zu dichteren Kernbereichen zusammenziehen, in deren Inneren Dichte und Temperatur dann so stark ansteigen, dass neue Sterne entstehen: darunter massereiche, aber auch zahlreiche weniger massereiche Sterne. Tatsächlich finden die Astronominnen und Astronomen eine Fülle fertig ausgebildeter Mehrfachsternsysteme, darunter vor allem Sterne, die ein Vielfaches der Sonne wiegen. Damit ist aber noch nicht bewiesen, dass sich Mehrfachsysteme mit massereichen Sternen bereits in der Urwolke bilden, wie es Simulationen vorhersagen.

Alma-Beobachtungen eines massereichen Sternhaufens

Dass die Computersimulationen richtig sind, zeigen nun erstmals systematische Beobachtungen mit dem Radioobservatorium Alma, einem Netzwerk empfindlicher Radioteleskope, die das kalte molekulare Gas, aus dem Sterne entstehen, mit sehr hoher Auflösung beobachten können. Die Bilder des Alma-Teleskops zeigen, dass aus einer einzigen Molekülwolke nicht nur ein oder zwei Doppelsternsysteme entstehen. Sie zeigen die Anfänge einer Vielzahl unterschiedlicher Mehrfachsysteme. Auch unsere Sonne entstand wohl in einer solchen Gemengelage.

Dabei ist es sehr schwierig, in Sternentstehungsgebieten derart kleine Details zu beobachten. Bisherige Beobachtungen konnten daher bisher nur einige wenige Kandidaten für isolierte Mehrfachsterne in massereichen Sternhaufen zeigen, aber nichts, was mit der von den Simulationen vorhergesagten wimmelnden Menge an Mehrfachsternen vergleichbar wäre. 

Um die aktuellen Modelle zur Entstehung massereicher Sterne auf die Probe zu stellen, waren genauere Beobachtungen nötig. Die Möglichkeit dazu wurde geschaffen, als in den 2010er Jahren das Alma-Observatorium in Chile den Beobachtungsbetrieb aufnahm. In seiner jetzigen Form kombiniert Alma bis zu 66 Radioantennen zu einem einzigen gigantischen Radioteleskop und ermöglicht so Radiobeobachtungen, die außergewöhnlich kleine Details zeigen. Unter der Leitung von Patricio Sanhueza vom japanischen Nationalobservatorium NAOJ und der Graduate University for Advanced Studies in Tokio und mit Beteiligung mehrerer Forschenden des Max-Planck-Instituts für Astronomie in Heidelberg hat das Team mit Alma zwischen 2016 und 2019 dreißig vielversprechende massereiche Sternentstehungsregionen beobachtet.

Die Auswertung der Daten war eine große Herausforderung und dauerte mehrere Jahre. Jede einzelne Beobachtung liefert rund 800 Gigabyte an Daten, und die Rekonstruktion der Bilder aus den Beiträgen der verschiedenen beteiligten Antennen ist an sich schon ein komplexer Prozess. Das jetzt veröffentlichte Ergebnis basiert auf der Analyse der Sternentstehungsregionen mit der Katalognummer G333.23-0.06. Die rekonstruierten Bilder zeigen Details bis hinunter zu etwa zweihundert Astronomischen Einheiten (dem 200-fachen der Entfernung zwischen Erde und Sonne). Die Gesamtregion erstreckt sich dabei über rund 200.000 Astronomischen Einheiten.

Wie die Sterne entstehen

Die Ergebnisse sind eine gute Nachricht für unser bisheriges Verständnis der Entstehung massereicher Sterne. Denn in G333.23-0.06 fanden Li und sein Team nicht weniger als vier Doppelsternsysteme, dazu ein Dreifach-, ein Vierfach- und ein Fünffachsystem – in Übereinstimmung mit den Erwartungen. „Endlich konnten wir die Vielfalt an Mehrfach-Sternsystemen in einer massereichen Sternentstehungsregion direkt beobachten! Besonders spannend ist, dass die Daten sogar Unterstützung für ein spezifisches Szenario für die Entstehung massereicher Sterne liefen“, sagt Henrik Beuther, Leiter der Sternentstehungsgruppe in der Abteilung Planeten- und Sternentstehung am Max-Planck-Institut für Astronomie. Die Details der Bilder begünstigen dabei das Modell der hierarchischen Sternentstehung, bei der die Gaswolke zunächst in „Kerne“ mit erhöhter Gasdichte zerfällt und in jedem dieser Kerne später ein Mehrfach-Proto-Sternsystem entsteht.

Shanghuo Li, Astronom am Max-Planck-Institut für Astronomie, fügt hinzu: „Unsere Beobachtungen scheinen darauf hinzudeuten, dass sich die Mehrfach-Systeme beim Kollaps der Molekül-Wolke recht früh bilden. Aber ist das wirklich der Fall? Um das beantworten zu können, schauen wir uns jetzt weitere Sternentstehungsgebiete, von denen einige noch jünger sind als G333.23-0.06.“ Konkret arbeitet das Team derzeit an einer ähnlichen Analyse für die weiteren 29 massereichen Sternentstehungsgebiete, die sie beobachtet hatten. Bald sollen noch Daten zu weiteren 20 Systeme hinzukommen, aus neuen Alma-Beobachtungen unter der Leitung von Li. Sind all diese Auswertungen fertig, lassen sich zum einen statistische Aussagen über die Mehrfach-Systeme treffen – ein weiterer Test der Modelle der Sternentstehung. Auch die Details der zeitlichen Entwicklung sollten sich klären lassen. 

Gewaltige Explosionen und das Erzittern der Raumzeit 

Massereiche Sterne mit mehr als der achtfachen Sonnenmasse, die Mehrfach-Sternsysteme bilden, sind für die Astronominnen und Astronomen besonders interessant: Die massereichsten Sterne leuchten viel heller als unsere Sonne und gehen verschwenderisch mit ihrem Energievorrat um. Sie sterben bis zu tausend Mal früher als masseärmere Sterne wie unsere Sonne. Überlebt das Sternsystem die Supernova-Explosionen am Ende des Lebens der Sternschwergewichte, bleiben Neutronensterne und Schwarze Löcher zurück, die sich gegenseitig umkreisen. Verschmelzen schwarze Löcher miteinander, senden sie Gravitationswellen aus, die geeignete Detektoren erst seit wenigen Jahren vermessen können. Besonders spannend sind auch Kollisionen von Neutronensternen. Hier entstehen nachweislich die schwersten uns bekannten Elemente wie etwa Gold. 

Hintergrundinformationen

Die hier beschriebene Arbeit wurde veröffentlicht als Shanghuo Li et al., „Observations of high-order multiplicity in a high-mass stellar protocluster“ in der Zeitschrift Nature Astronomy.

Journalistinnen und Journalisten, die eine referierte Vorab-Kopie des Artikels benötigen, wenden sich bitte direkt an die Nature-Presseabteilung unter press@nature.com.

Das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (Alma) ist eine internationale astronomische Einrichtung, die gemeinsam von der Eso, der US-amerikanischen National Science Foundation (NSF) der USA und den japanischen National Institutes of Natural Sciences (Nins) in Kooperation mit der Republik Chile betrieben wird. Getragen wird Alma von der Eso im Namen ihrer Mitgliedsländer, von der NSF in Zusammenarbeit mit dem kanadischen National Research Council (NRC), dem Ministry of Science and Technology (Most) und Nins in Kooperation mit der Academia Sinica (AS) in Taiwan sowie dem Korea Astronomy and Space Science Institute (Kasi). Bei Entwicklung, Aufbau und Betrieb ist die Eso federführend für den europäischen Beitrag, das National Radio Astronomy Observatory (NRAO), das seinerseits von Associated Universities, Inc. (AUI) betrieben wird, für den nordamerikanischen Beitrag und das National Astronomical Observatory of Japan (NAOJ) für den ostasiatischen Beitrag. Dem Joint Alma Observatory (Jao) obliegt die übergreifende Projektleitung für den Aufbau, die Inbetriebnahme und den Beobachtungsbetrieb von Alma.

MP/BEU

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