Wenn Gesetze der Physik auf dem Spiel stehen

Quantenelektrodynamik auf dem Prüfstand

Die magnetischen Eigenschaften einer freien Elektronenladung sind sehr gut verstanden und stimmen bestens mit den Erwartungen der Quantenmechanik überein. Ob diese Gesetze der Quantenmechanik auch für Elektronen gelten, die an Atomkerne gebunden sind, war bislang noch ein Rätsel. Denn in der Nähe eines schweren Atomkerns herrschen starke elektrische Felder - extreme Bedingungen, die nun im Labor künstlich herbeigeführt wurden.

Die Quantenelektrodynamik, ein Teilgebiet der Quantenmechanik, ist die am besten getestete Theorie der Physik. Sie beschreibt alle elektrischen und magnetischen Wechselwirkungen von Licht und Materie. In der makroskopischen Welt lassen sich Magnete erzeugen, indem man elektrische Ströme im Kreis fließen lässt. Ein ähnlicher Effekt tritt in der Quantenwelt auf. Hier haben Atome magnetische Eigenschaften, weil geladene Elementarteilchen ständig um Atome schwärmen, und auch ein einzelnes Elektron besitzt durch seinen Eigendrill ein sogenanntes magnetisches Moment. Diese magnetische Eigenschaft lässt sich für freie Elektronen sehr gut messen und entspricht den Erwartungen der Quantenelektrodynamik. Messergebnisse und Theorie stimmen hier bis auf zehn Stellen hinter dem Komma überein. Ein Forschungsteam am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg hat nun mit Präzisionsmessungen bestätigt, dass die Vorhersagen der Quantenelektrodynamik auch dort gelten, wo Elektronen starken elektrischen Feldern ausgesetzt sind, nämlich im Inneren schwerer Atomen, in unmittelbarer Nähe des Atomkerns. Hierfür haben die Forschenden im Experiment namens Alphatrap die magnetischen Eigenschaften einzelner Elektronen in Zinn-Atomen gemessen.

Um zu untersuchen, wie sich einzelne Elektronen in den starken elektrischen Feldern der Zinn-Atomkerne verhalten, musste das Team die Zinn-Atome zunächst stark ionisieren. Ionen sind Atome, denen in diesem Fall Elektronen fehlen und die dadurch eine positive Nettoladung aufweisen. Der Atomkern von Zinn beinhaltet 50 Protonen, so dass dieses Element normalerweise auch 50 Elektronen in der Hülle hat, um elektrisch neutral zu sein. „Wir mussten also zunächst 49 Elektronen entfernen“, sagt Jonathan Morgner, Doktorand in der Arbeitsgruppe von Professor Klaus Blaum. Das Resultat ist sogenanntes wasserstoffartiges Zinn, also Zinn-Ionen, die - ähnlich zu Wasserstoff - nur ein Elektron in der Atomhülle enthalten. Möglich war dies mit Hilfe der Heidelberg-Ebit, in der eine Wolke aus rund 100.000 Zinn-Ionen mit hochenergetischen Elektronen beschossen wird. Dabei verlieren die Ionen nach und nach ihre Elektronen. Ein Filtersystem trennt dann die wenigen Ionen, die nur noch ein Elektron in der Hülle haben, ab und speist sie in die Teilchenfalle des Alphatrap-Experiments ein. „Dank der langen Speicherdauer mehrerer Monate konnten wir das magnetische Moment, also die magnetischen Eigenschaften der Elektronen in den Ionen, mit bisher unerreichter Genauigkeit vermessen.“

Alphatrap ist ein Hochpräzisionsexperiment, dessen Herzstück eine Penningfalle ist, in der geladene Teilchen mit elektromagnetischen Feldern festgehalten werden. Ein Vakuum bei sehr tiefen Temperaturen im Inneren der Falle verhindert, dass die stark positiv geladenen Zinn-Ionen Kanibalismus an Fremdatomen betreiben, diesen Elektronen entreißen und ihre Elektronenhüllen wieder auffüllen. 

An den gefangenen Zinn-Ionen konnten die Forschenden dann mit Hilfe eingestrahlter Mikrowellen den sogenannten g-Faktor des Elektrons messen. Bei der passenden Frequenz machen die Elektronen in dem angelegten Magnetfeld in der Falle sogenannte Spin-Flips – also Umorientierung ihrer „Magnetnadel“. Dieser Effekt erlaubt hochgenaue Messungen des g-Faktors, auch gyromagnetischer Faktor genannt. Dies ist ein Maß für die Stärke des Magnetfelds des Elektrons.

Der dimensionslose Wert des g-Faktors ist ungefähr 2. Der genaue Wert kann von der Quantenelektrodynamik vorhergesagt werden und hängt vom Umfeld des Elektrons ab. Und hier kommen die hochgeladenen Zinn-Ionen ins Spiel. Da sie nur ein Elektron besitzen, lassen sie sich von der Theorie her ähnlich wie ein Wasserstoffatom beschreiben. Das vereinfacht die Berechnungen enorm. Allerdings herrschen auf der engen Bahn des Elektrons um den Atomkern aufgrund der hohen Ladung des Zinnkerns extrem hohe elektrische Felder von rund 1015 Volt pro Zentimeter. Solche Feldstärken sind um Größenordnungen stärker als das, was heute selbst mit den stärksten Lasersystemen in solchen Experimenten erreicht werden kann. Damit eignen sich solche Atomkerne hervorragend, um die Vorhersagen der Quantenelektrodynamik auch unter extremen Bedingungen, also sehr hohen elektrischen Feldstärken, zu überprüfen.

Den Theoriewert des g-Faktors zu bestimmen ist für ein einzelnes und freies Elektron gut möglich, in Gegenwart eines stark geladenen Atomkerns aber umso ungenauer. Die Berechnungen sagen einen Wert von 1,910 561 821 (299) voraus, wobei die Nachkommastellen in der Klammer die Unsicherheiten angeben. Der in der Alphatrap-Ionenfalle gemesse Wert ist viel genauer und beträgt 1,910 562 059 (1). „Die beiden Werte sind in sehr guter Übereinstimmung, das ist also eine ausgezeichnete Bestätigung der Quantenelektrodynamik“, so Morgner. „Unser bisheriges Verständnis von Physik funktioniert also auch bei solch extremen Feldern.“ Bislang waren vergleichbare Messungen des g-Faktors von Elektronen nur bei deutlich leichteren Elementen wie Silizium durchgeführt worden.       

Dank der geglückten Messungen denken die Forschenden bereits daran, noch schwerere Ionen einzusetzen. Wasserstoffartiges Blei oder Uran weisen nochmals ein wesentlich höheres elektrisches Feld auf als Zinn. Die Heidelberger Anlage wird deshalb bereits modernisiert, um weitere und noch stärkere fundamentale Tests der Quantenelektrodynamik zu ermöglichen.

Dirk Eidemüller / Tobias Beuchert (MPG Redaktion)

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