Ein teures Geschäft

Um kostspielige Fähigkeiten zu behalten, nutzen schädliche Darmbakterien ein cleveres System aus Gift und Gegenmittel

15. Juni 2023

Die Bildung von Virulenzfaktoren, mit denen bakterielle Krankheitserreger ihre Wirtszellen angreifen, kostet Energie und bremst die Vermehrung. Dennoch verlieren die Bakterien ihre Fähigkeiten auch dann nicht, wenn sie sie zeitweise nicht brauchen. Max-Planck-Forscherinnen und -Forscher in Marburg konnten zeigen, wie das geschieht.

Bakterien, die menschliche Zellen infizieren und Krankheiten erzeugen, nutzen dafür sogenannte Virulenzfaktoren. Das können Giftstoffe sein oder auch spezifische Werkzeuge, mit denen sie sich an Wirtszellen anheften und diese manipulieren oder sogar zerstören. Aber nichts ist umsonst, das gilt auch für Bakterien. Herstellung und Einsatz von Virulenzfaktoren kostet Energie, und Bakterien, die solche Faktoren produzieren, bezahlen ihr Können mit langsamerem Wachstum. Für solche Bakterien besteht daher Gefahr, die entsprechenden Gene zu verlieren, wenn sie gerade nicht gebraucht werden. Und doch geschieht das offenbar nicht. Wie schaffen es die Bakterien, ihre Fähigkeit zur Herstellung von Virulenzfaktoren – und damit zur Infektion – zu bewahren?

Ein Team um Andreas Diepold vom Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie erforscht das Bakterium Yersinia enterocolitica. Dieser Magen-Darm-Erreger setzt als Virulenzfaktor das Typ III-Sekretionssystem (T3SS) ein, eine Art Nadel im Nanomaßstab. Indem es Proteine in die Wirtszellen spritzt, unterdrückt es z. B. Teile des Immunsystems. Saskia Schott, Masterstudentin im Labor von Andreas Diepold, konnte zeigen, wie das Bakterium dafür sorgt, dass seine T3SS-Gene auch ohne Kontakt mit Wirtszellen erhalten bleiben.

Toxin-Antitoxin-System

Die Forschenden hatten bemerkt, dass zwischen den Genen für das T3SS ein sogenanntes Toxin-Antitoxin-System liegt. Solche Systeme sind dafür bekannt, dass sie auf clevere Weise den Verlust von Genabschnitten verhindern: Die Gene für das Toxin-Antitoxin-System  codieren für ein stabiles Gift, das Toxin, und gleichzeitig ein Gegenmittel, das Antitoxin, das aber schneller abgebaut wird. Gehen bei Nachkommen diese Gene verloren, zerfällt das Antitoxin und wird nicht mehr gebildet; das stabile Toxin bleibt zurück und die Bakterien vermehren sich nicht weiter. So ist garantiert, dass alle sich vermehrenden Bakterien das Toxin-Antitoxin-System inklusive der umgebenden Gene enthalten.

Aufgrund der direkten Nähe des Toxin-Antitoxin-Systems in Yersinia enterocolitica bestand der Verdacht, dass die bekannte Wachstumshemmung bei sekretierenden Bakterien eine Folge der Toxinwirkung sein könnte, die durch Ablesen des benachbarten großen T3SS-Genkomplexes entstehen würde. Erstautorin Saskia Schott erklärt: „Zuerst dachten wir, dass die Wachstumshemmung stattfindet, weil sich die Gene für das Virulenzsystem und die Toxine überlappen.“ Das war aber nicht der Fall, wie das Team mit Hilfe von Elena Evguenieva-Hackenberg von der Universität Gießen herausfand.

Für das verlangsamte Wachstum sind somit ausschließlich die Kosten der Virulenzfaktor-Produktion verantwortlich. Und das Toxin-Antitoxin-System sorgt unabhängig von der direkten Überlappung dafür, dass die Gene für das T3SS in den Bakterien erhalten bleiben. „Wenn wir das Toxin-Antitoxin-System aus den Bakterien entfernen, verlieren sie rasch auch das T3SS und damit die Fähigkeit zur Infektion. Das gilt vor allem unter Bedingungen, die dem menschlichen Körper ähnlich sind“, erklärt Andreas Diepold.

Die Ergebnisse zeigen, wie präzise krankheitserregende Bakterien ihre Virulenzfaktoren und die Fähigkeit zu deren Herstellung regulieren, um ein Gleichgewicht zwischen schneller Vermehrung und Manipulation des Wirtsorganismus zu erhalten. Besonders interessant fanden es die Forscherinnen und Forscher, dass einzelne Bakterien es schaffen, das T3SS unbeschadet zu entfernen und sich dann schneller zu vermehren – ob diese Subpopulation im Infektionsgeschehen eine Rolle spielt, ist jedoch noch unklar.

 

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht