Zufall im Minutentakt

Messungen in einzelnen Bakterienzellen offenbaren große Schwankungen des bakteriellen Stoffwechsels

Mit Hilfe von Einzelzell-FRET-Mikroskopie haben Forschende des Max-Planck-Instituts für terrestrische Mikrobiologie Schwankungen im bakteriellen Zuckerabbau nachgewiesen, die auf der Ebene der gesamten Population nicht sichtbar sind. Da die beobachteten Fluktuationen auf einer Zeitskala von Minuten auftreten, könnten sie weitreichende Auswirkungen auf die Physiologie von E. coli haben und andere zelluläre Prozesse beeinflussen.

Eine der wichtigsten Eigenschaften einer Zelle ist ihre Fähigkeit, auf Veränderungen in ihrer Umgebung angemessen zu reagieren. Auf der Ebene von Zellpopulationen, z.B. einer Bakterienkultur, erscheinen diese Reaktionen deterministisch, d.h. eine bestimmte Umweltanforderung führt zu einer genau definierten Antwort. Die molekularen Wechselwirkungen im Zytoplasma lebender Zellen unterliegen jedoch stochastischen Gesetzmäßigkeiten, die zu dynamischen Schwankungen in der Aktivität zellulärer Netzwerke und zu Abweichungen im Verhalten einzelner Zellen führen können.

Bei der Genexpression sind die Mechanismen und Folgen dieses biochemischen "Rauschens" insbesondere bei Mikroorganismen relativ gut untersucht, da es seit Einführung fluoreszierender Proteine auf Einzelzellebene sichtbar gemacht werden kann. Im Gegensatz dazu ist der Einfluss des Hintergrundrauschens auf Proteinnetzwerke, wie z.B. das Stoffwechselnetzwerk, kaum erforscht, obwohl man davon ausgeht, dass es hier einen ähnlich starken Einfluss hat wie auf die Genexpression. Ein Grund dafür ist die Schwierigkeit, die Aktivität von Proteinnetzwerken in einzelnen Zellen mit ausreichender zeitlicher Auflösung und Empfindlichkeit zu messen.

Einem Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für terrestrische Mikrobiologie unter der Leitung von Prof. Dr. Victor Sourjik ist es nun gelungen, die Stoffwechselaktivität auf der Ebene einzelner Bakterienzellen zu bestimmen. In der Studie, die in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurde, beobachteten die Forschenden mit Hilfe der Einzelzell-Fluoreszenzmikroskopie (FRET) das Verhalten von E. coli-Zellen, die schrittweise verschiedenen Zuckern ausgesetzt wurden. Es zeigte sich, dass diese Stimulation zu starken periodischen Schwankungen der Konzentration des Schlüsselmetaboliten Pyruvat in den einzelnen Zellen führt. Die mathematische Modellierung des Stoffwechsels von E. coli durch die Gruppe von Prof. Dr. Hannes Link (Universität Tübingen) zeigte in Übereinstimmung mit den experimentellen Beobachtungen, dass regulatorische Rückkopplungen das Stoffwechselnetzwerk anfällig für ein solches oszillierendes Verhalten machen.

Auffällig ist, dass die Schwankungen zwar stark und anhaltend, aber nur auf Einzelzellebene nachweisbar sind. Wenn man die Stoffwechselaktivität auf der Ebene der gesamten bakteriellen Population misst, ist der Effekt wesentlich geringer, da die Schwankungen in den einzelnen Zellen nicht synchron sind und sich somit kompensieren (Abb. 1). Die Schwankungen im Zuckerabbau von E. coli ähneln zwar den glykolytischen Oszillationen, über die bereits in Hefe- und Säugetierzellen berichtet wurde, ihr Mechanismus und ihre Auswirkungen könnten jedoch anders sein.

"Unsere Daten deuten darauf hin, dass diese Fluktuationen andere zelluläre Prozesse beeinflussen und zu einer zeitlichen Heterogenität zellulärer Zustände innerhalb einer Population führen", erklärt Shuangyu Bi, Erstautorin der Studie, die mittlerweile ihre eigene Gruppe an der Shandong Universität in China gegründet hat. "Damit liefert die Studie wichtige Basisdaten für die weitere Erforschung der zeitlichen Dynamik von Proteinnetzwerken in Bakterien.“

Victor Sourjik, Direktor am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie, fügt hinzu: "Bemerkenswert ist, dass die beobachteten Fluktuationen im Minutenbereich liegen, was mit dem Timing vieler regulatorischer Prozesse in Bakterien übereinstimmt. Sie könnten daher große Auswirkungen auf die Physiologie von E. coli in dynamischen Umgebungen wie dem Darm von Säugetieren haben. Weitere Arbeiten sind jedoch notwendig, um die Mechanismen und Konsequenzen der oszillatorischen Dynamik im bakteriellen Stoffwechsel zu verstehen.“

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