KI erkennt seltene Formen von Demenz
Forschende schaffen die Voraussetzung für frühe Diagnose und individuelle Therapie
Ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften und des Universitätsklinikums Leipzig hat neue Verfahren der Künstlichen Intelligenz und des Maschinenlernens genutzt, um auf MRT-Bildern seltene Krankheitsformen der Demenz zu erkennen. In ihrer Studie zeigen die Forschenden, dass die KI automatisch Muster in Bildgebungsdaten von Patientinnen und Patienten erkennen kann, die spezifisch für seltene Demenz-Erkrankungsformen sind. Das ermöglicht eine frühe Diagnostik.
Herr M. bemerkte im Alter von 40 Jahren, dass ihm Worte nicht mehr einfielen. Dies betraf besonders selten verwendete Wörter wie „Schwimmflosse“ oder „Füller“. Auch konnte er sich die Namen von Bekannten und Kollegen nicht mehr merken. Das Verstehen von Sprache funktionierte jedoch im beruflichen und privaten Alltag. Seiner Frau fiel auf, dass er ihr nicht mehr richtig zuhörte und von der Arbeit nicht mehr abschalten konnte. Was war mit ihm los? Im Krankenhaus stellte man eine Abnahme des Hirnvolumens im Schläfenlappen fest. Die Ärzte fanden heraus, dass Herr M. ihm gezeigte Dinge nicht richtig benennen konnte, besonders Tiere. Er war sich unsicher, welche Eigenschaften für bestimmte Dinge typisch sind, etwa ob eine Giraffe ein Fell oder Schuppen hat. Auch gab es Probleme mit dem Gedächtnis. Doch an welcher Krankheit litt Herr M.? An Alzheimer-Demenz? Dabei war er doch noch relativ jung.
Matthias Schroeter, der am Max-Planck-Institut für Kognitions-und Neurowissenschaften forscht und an der Klinik für Kognitive Neurologie des Universitätsklinikums Leipzig als Oberarzt arbeitet, kennt Fragestellungen wie bei Herrn M. vielfach aus seinem klinischen Alltag „Dabei stellt sich zuallererst die Frage nach der richtigen Diagnose“, sagt Schroeter, „damit die Therapie an jeden einzelnen Patienten und seine spezifische Krankheit angepasst werden kann. Neben der Alzheimer-Demenz, die als neurodegenerative Erkrankung am bekanntesten und durch Beeinträchtigungen im Gedächtnis charakterisiert ist, gibt es jedoch sehr viele andere Erkrankungen, die auch eine andere Therapie erfordern. Diese sogenannten ‚orphan diseases‘, also seltene Krankheiten, die häufig im frühen Alter auftreten können, erfordern spezialisierte medizinische Zentren.“
Schroeter und seine Kollegin Leonie Lampe haben in ihrer Studie die Struktur des Gehirns von Patientinnen und Patienten des Universitätsklinikums Leipzig und anderer klinischer Zentren in Deutschland mithilfe der Magnetresonanztomographie (MRT) analysiert. Dabei wendeten sie neue Verfahren der Künstlichen Intelligenz und des Maschinenlernens an, um die Krankheiten automatisch zu erkennen. Sie konnten zeigen, dass auf diese Weise seltene Formen der Demenz früh diagnostiziert werden können. Neben Betroffenen, die eine Alzheimer-Krankheit mit Gedächtnisstörung aufwiesen, wurden auch viele andere Krankheiten einbezogen, die durch eine Veränderung der Sprache, der Persönlichkeit oder der Motorik charakterisiert sein können. „Wir konnten im Vergleich zu vorherigen Studien nicht nur Erkrankte von Gesunden unterscheiden, sondern zusätzlich die spezifische Krankheit klar von anderen Demenzkrankheiten abgrenzen. Dies ist ein entscheidender Schritt, um die Therapie an jeden einzelnen Betroffenen und seine Krankheit anzupassen“, fasst Matthias Schroeter zusammen.
Bei Herrn M., dessen Fall ebenfalls Teil der Studie war, wurde schließlich eine Erkrankung der Sprachfunktionen – eine semantische Variante der primär progressiven Aphasie – festgestellt. Intensive Therapie ermöglichte ihm, seine Probleme zu kompensieren, sodass er acht Jahre nach der Diagnosestellung weiter in seinem Beruf als Verkäufer tätig sein kann. „Auch wenn der Verlauf dieser Krankheiten voranschreitet, können Betroffene in frühen Erkrankungsphasen mit Unterstützung weiterhin arbeiten und ihren Alltag bewältigen. Deshalb sind eine frühe Diagnosestellung und die individuelle Anpassung der Therapiemaßnahmen von entscheidender Bedeutung“, sagt Matthias Schroeter.
Diese Studie wurde mitfinanziert im Rahmen der eHealth-Sax-Initiative der Sächsischen Aufbaubank (SAB) mit Steuermitteln auf Grundlage des vom sächsischen Landtag beschlossenen Haushalts.