Spiegelmoleküle verraten Trockenstress von Wäldern
Veränderungen von Ökosystemen lassen sich über die Emissionen chiraler Verbindungen genauer vorhersagen
Weltweit geben Pflanzen etwa 100 Millionen Tonnen an Monoterpenen an die Atmosphäre ab. Zu diesen flüchtigen organischen Molekülen zählen viele Duftstoffe wie beispielsweise das Molekül Pinen, das für seinen frischen Kiefernduft bekannt ist. Da diese Moleküle sehr reaktiv sind und winzige Aerosolpartikel bilden, die zu Kondensationskernen für Regentropfen anwachsen können, spielen die natürlichen Emissionen eine wichtige Rolle für unser Klima. Für Klimavorhersagen ist es daher wichtig zu wissen, wie sich Monoterpen-Emissionen bei steigenden Temperaturen verändern werden.
Wie bei Pinen kommen viele Monoterpene in zwei spiegelbildlichen Formen vor: (+) alpha-Pinen und (-) alpha-Pinen. Pflanzen können beide Formen dieser volatilen Moleküle direkt nach der Biosynthese oder aus Speichern in den Blättern freisetzen. Da die beiden Formen identische physikalische und chemische Eigenschaften haben, werden sie in Atmosphärenmodellen oft nicht separat betrachtet. In einer neuen Studie, die diese Woche in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde, konnten Forschende unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Chemie jedoch zeigen, dass die beiden spiegelbildlichen Moleküle über verschiedene Prozesse in der Pflanze freigesetzt werden und dass sie unterschiedlich auf Stress, insbesondere Trockenheit, reagieren.
Die Ergebnisse stammen aus Experimenten, die in einem geschlossenen künstlichen tropischen Regenwald in Arizona durchgeführt wurden: dem Biosphäre 2-Komplex. Die Anlage wurde ursprünglich gebaut, um ein sich selbst erhaltendes Ökosystem zu schaffen. Sie ermöglichte es einem Team des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz, der Universität Freiburg und der Universität von Arizona, die chemischen und klimatischen Bedingungen des Waldes genau zu kontrollieren und seine Reaktionen zu messen. Drei Monate lang setzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Wald unter mäßigen und anschließend starken Trockenstress.
Mithilfe von Gaschromatografen ermittelte Joseph Byron, Doktorand am Mainzer Max-Planck-Institut, stündlich die Emissionen von alpha-Pinen, Camphen, Limonen, Terpinen und Isopren. Da Byron und seine Kolleginnen und Kollegen herausfinden wollten, wann die Pflanzen welche chirale Form verströmen, nutzten sie die Fotosynthese: Sie ließen zu bestimmten Zeiten „schweres“ Kohlendioxid (13CO2) in die Luft der Biosphäre einströmen. Ein Kohlenstoffatom des Kohlendioxids enthielt ein zusätzliches Neutron, war also isotopisch markiert und gab so Aufschluss über den pflanzlichen Stoffwechsel. Mit einem an den Chromatografen gekoppelten Massenspektrometer verfolgte das Team dann, welche Monoterpene schwere Kohlenstoffatome enthielten und welche nicht.
„Zu unserem Erstaunen verhielten sich viele Spiegelmoleküle bei Trockenstress unterschiedlich“, sagt Erstautor Joseph Byron. „So war (-) alpha-Pinen markiert, (+) alpha-Pinen, was wir gleichzeitig gemessen haben, hingegen nicht.“ Das bedeutet, dass das Ökosystem des tropischen Regenwaldes (-) alpha-Pinen direkt nach der Synthese abgibt, während das Spiegelmolekül aus Speichern der Pflanze stammt.
Außerdem stellten die Forschenden fest, dass mit fortschreitender Trockenheit nicht nur mehr Monoterpene freigesetzt wurden, sondern sich auch das Maximum der Emissionen immer weiter in den Nachmittag verschob und die Pflanzen mehr Monoterpene aus Speicherpools freisetzten. „Vermutlich erhöht die spätere Freisetzung der Monoterpene die Wahrscheinlichkeit, dass sich über dem Wald Wolken bilden“, sagt Projektleiter und Atmosphärenforscher Jonathan Williams. Denn je wärmer es im Lauf des Tages werde, um so mehr nehme die vertikale Durchmischung der Luft zu. „Dadurch gelangen die reaktiven flüchtigen Stoffe in höhere Luftschichten und haben dort eine größere Chance, zu Aerosolpartikeln und schließlich zu Wolkenkondensationskernen zu werden.“
Max-Planck-Forscher Williams resümiert aus den Biosphäre 2-Untersuchungen: „Um genaue Vorhersagen über die Reaktionen eines Ökosystems auf Stress treffen zu können, sollten wir zukünftig Emissionen von chiralen Molekülen getrennt messen und modellieren. Das ist besonders für den Amazonasregenwald wichtig, für den Klimamodelle mehr Dürren voraussagen.“ Der Gruppenleiter vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz ergänzt: „Ich bin davon fasziniert, dass wir über die Messung der Luftzusammensetzung interne, enzymatisch angetriebene physiologische Prozesse des Waldes entschlüsseln können. Dies wird uns sicher helfen, auch Effekte aufzuklären, die wir im echten Regenwald beobachtet haben.“ Williams‘ Team forscht seit Jahren auch im brasilianischen Regenwald am Amazon Tall Tower Observatory ATTO.
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Die Arbeit entstand in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Freiburg unter der Leitung von Christiane Werner und der Universität von Arizona, USA, unter der Leitung von Laura Meredith. Am gesamten Dürreexperiment war ein interdisziplinäres Team von etwa 80 Forschenden beteiligt. Die Arbeit des Max-Planck-Instituts für Chemie wurde zum Teil durch das EU-Projekt ULTRACHIRAL finanziert, die des Teams der Universität Freiburg durch einen ERC Consolidator Grant.