Treffpunkt Lindau

Nach pandemiebedingter Pause konnte das Nobelpreisträger-Symposium in Lindau in diesem Jahr wieder vor Ort stattfinden

Das Städtchen am Bodensee ist seit 1951 Ort des jährlichen Spitzentreffens der Wissenschaft, das in den letzten zwei Jahren nur digital stattfinden konnte. Eine Woche lang gibt es Vorträge, Diskussionen und Social Events, bei denen junge Wissenschaftler*innen mit den Stars der Szene ins Gespräch kommen können. Mit dabei sind auch fünf Nobelpreisträger der Max-Planck-Gesellschaft und 22 Nachwuchsforscher*innen aus Max-Planck-Instituten, die sich bei einem strengen Auswahlverfahren behaupten konnten. Im Fokus stand in diesem Jahr die Chemie.

Mit dabei war deshalb auch Benjamin List vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung, der im letzten Jahr den Nobelpreis für seine Entdeckung der asymmetrischen Organokatalyse erhielt. Außerdem Stefan Hell, Hartmut Michl, Erwin Neher und Robert Huber. Clara Nussbaumer hatte die Gelegenheit, Hell zu einem exklusiven Mittagessen zu treffen. Die Atmosphärenchemikerin ist seit 2020 Doktorandin am Max-Planck-Institut für Chemie. „Das Essen hat viel länger gedauert als geplant,“ berichtet sie. Stefan Hell nahm sich viel Zeit, die zahlreichen Fragen zu beantworten und wies auch auf Gefahren im Wissenschaftssystems hin, denn in seiner eigenen Karriere musste er erleben, dass andere ihm seine Ideen streitig machen wollten.

Clara Nussbaumer konnte aber auch mit vielen anderen Nobels sprechen. Ihr Fazit: „Alle Nobelpreisträger haben unglaublich spannende Geschichten zu erzählen. Die meisten sind Individualisten, die trotz enormem Gegenwind und Zurückweisungen im Laufe ihrer Karriere an ihre Ideen geglaubt und weitergemacht haben. Das ist ermutigend, denn man orientiert sich ja im Alltag doch eher am Mainstream.“ Nur eine Sache bedauere sie sehr. „Es ist wirklich schade, dass ich nicht mehr mit Paul Crutzen sprechen konnte. Als ich im Institut anfing und seinen Namen an der Bürotür entdeckte, war das schon ein besonderes Gefühl.“ Crutzen erhielt den Nobelpreis 1995 für die Erklärung der Ursachen des Ozonlochs und starb 2021.

Isabel Harriehausen vom MPI für Dynamik komplexer technischer Systeme im Magdeburg versteht sich als Chemie-Ingenieurin und hat deshalb erst gezögert, sich auf eine primär an Chemiker adressierte Tagung zu bewerben. Für sie steht neben der wissenschaftlichen Leistung auch die gesellschaftliche Rolle der Preisträger im Fokus. "Die Tagung hat mich darin bestärkt, dass Wissenschaftskommunikation heutzutage wichtiger denn je ist. Daher würde ich gerne dabei helfen wissenschaftliche Inhalte verständlicher und greifbarer für die Bevölkerung zu gestalten und das Image von Wissenschaftlern in unserer Gesellschaft zu verbessern. Akademische Forschung ist sehr wichtig und für nachhaltigen und langfristigen Fortschritt einer Gesellschaft relevant. Parallel findet gesellschaftlicher Fortschritt auch in der Industrie statt. Im Gegensatz zu einem Großteil der Teilnehmenden dieser Konferenz habe ich mich für eine Zukunft in der Industrie entschieden und freue mich darauf dort neue Aspekte und Perspektiven kennen zu lernen."

Unter den 600 jungen Forschenden, die in Lindau dabei sind, sind 45 Prozent in diesem Jahr weiblich. Mit in der Jury sitzen mit Wolfgang Lubitz und Stefan Kaufmann auch zwei Emeriti der Max-Planck-Gesellschaft, die sich mit viel Energie für den Nachwuchs engagieren. Um gerechte Entscheidungen zu treffen, behalten sie auch die nicht-wissenschaftlichen Kriterien im Blick. „Es ist zum Beispiel wichtig zu wissen, dass Bewerber*innen aus Israel im Durchschnitt älter sind, weil sie dort eine längere Zeit Militärdienst absolvieren müssen,“ sagt Lubitz.

Das Nobelpreisträger-Treffen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen, um den internationalen wissenschaftlichen Austausch in dieser Zeit zu fördern. Thematisch stehen wechselnd Chemie, Physik und Medizin im Fokus. Im August treffen sich dann die Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften in Lindau.

SK

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