"Wissenschaft gehört unter die Leute"
Interview mit Silke Britzen vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie über ihre Faszination an der Astronomie und Chancen für Wissenschaftlerinnen
Die Astronomie ist eine der ältesten Naturwissenschaften – und immer noch von Männern dominiert. Dabei gibt es im Lauf der langen Geschichte viele Frauen, die hervorragende Arbeit geleistet und die Wissenschaft entscheidend weitergebracht haben. Henrietta Swan Leavitt etwa verdanken wir eine Methode zur Vermessung von Entfernungen im All, Vera Rubin den Nachweis der bis heute geheimnisvollen Dunklen Materie oder Jocelyn Bell die Entdeckung der Pulsare. In letzter Zeit hat sich das Bild ein wenig gewandelt, ist die Wissenschaft insgesamt weiblicher geworden. Und so forschen auch in der Max-Planck-Gesellschaft heute mehr Frauen als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Eine davon ist Silke Britzen vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie. Im Interview erzählt sie von ihren Erfahrungen und ihrer Begeisterung für die Astronomie.
Frau Britzen, im Vergleich zu früher ist der Frauenanteil in den Naturwissenschaften gestiegen. Sind wir auf einem guten Weg?
Silke Britzen: Tatsächlich sind die Bedingungen für Frauen, etwa in der Astronomie, in den letzten Jahren deutlich verbessert worden. Sie waren vermutlich noch nie so gut wie heute. Es gibt viele Förderprogramme für junge Wissenschaftlerinnen – aber diese allein reichen noch nicht. Beispielsweise sind Mentorinnen und Mentoren sehr wichtig, können entscheidende Impulse geben und die Orientierung erleichtern. Ich denke aber, dass noch mehr gemacht werden kann.
Wo sehen Sie Defizite?
Die Nachwuchsarbeit muss früher beginnen. So interessieren sich viele Kinder für Schwarze Löcher, Weltraumforschung oder generell für wissenschaftliche Themen. Häufig ist da bereits ein beeindruckendes Wissen vorhanden sowie der unbedingte Wille, mehr über diese Themen zu erfahren. Ich bin immer froh, wenn Lehrer erkennen, dass diese Kinder eine Förderung benötigen, die der normale Schulalltag nicht vorsieht. Denn vermutlich kann man schon relativ früh sehen, ob Kinder wissenschaftlich interessiert und begabt sind. Aber ich bezweifle, dass unser Schulsystem darauf so gut vorbereitet ist.
Warum gehen vergleichsweise wenige Frauen in die Forschung?
Die Entscheidung für einen Beruf ist auch eine Entscheidung für einen Lebensentwurf. In die Wissenschaft zu gehen, kann Sinn und Abenteuer bedeuten, aber auch einige Unwägbarkeiten. Ich weiß, dass manche Studentinnen die Vorstellung eines längeren Auslandsaufenthalts abschreckt. Das sicherlich größte Problem ist jedoch die geringe Anzahl der Festanstellungen. Das erschwert unter anderem die Familienplanung. Irgendwann kommen die Zweifel, ob es die richtige Entscheidung war, eine Karriere in der Forschung einzuschlagen. Auch wenn sich heute die Bedingungen verbessert haben – etwa die Aussicht auf einen Kita-Platz oder Kinderbetreuung während einer Konferenz – ersetzt das nicht die Festanstellung. Und das alltägliche Berufsbild eines Wissenschaftlers kommt vielleicht nicht für jede Schülerin dem Traumberuf nahe. Von Studentinnen weiß ich, dass einige den astronomischen Wissenschaftsbetrieb als künstlich empfinden. Vielleicht brauchen wir mehr niederschwellige Kommunikation in den Instituten.
Was kann die Wissenschaft für Nachwuchs tun?
Bei meinen Vorträgen sehe und höre ich, dass es ein sehr großes Interesse an der Naturwissenschaft, der Astronomie, der Quantenphysik, der Teilchenphysik gibt. Diese Themen müssen wir stärker kommunizieren. Wir müssen aber auch Bilder aus dem Leben von Forscherinnen und Forschern transportieren und zeigen, wie interessant ein Leben als Naturwissenschaftlerin sein kann. Die „Lange Nacht der Astronominnen“ geht in diese Richtung, und das finde ich wichtig.
Wie sind Sie selbst zur Astronomie gekommen?
Vermutlich werden ganz viele meiner Kolleginnen und Kollegen eine ähnliche Antwort geben. Mich hat schon als Kleinkind der nächtliche Sternenhimmel fasziniert. Meine Mutter erzählt, dass ich ganz genau wissen wollte, was da oben ist. Diese ästhetische Faszination hat mich bis heute nicht losgelassen. Irgendwann bin ich über ein populärwissenschaftliches Buch zur Kontinentalverschiebung und die Leistungen von Alfred Wegener gestolpert. Das hat mich umgehauen: Dass man Erdbeben und Vulkanismus durch die Plattentektonik erklären kann. Dass jeder sehen können müsste, wie gut die Südamerikanische und die Afrikanische Platte ineinander passen – wie in einem Puzzle. Und dass dieses Offensichtliche so lange bekämpft wurde. Bei mir war es eine Mischung aus Faszination und Entrüstung. Von der Plattentektonik auf der Erde ausgehend, wollte ich dann auch verstehen, was im Kosmos passiert.
Was fasziniert Sie an der Forschung?
Mich hat immer die Simplizität jenseits der Komplexität interessiert. Die Geschichte mit dem Gordischen Knoten, die Plattentektonik, die Bewegung der Erde um die Sonne .... Ein zunächst komplex erscheinender Zusammenhang lässt sich häufig – nachdem man sich durchgekämpft und ihn verstanden hat – auf wenige einfache Prinzipien zurückführen. Aber man muss halt durch. Der Moment des Erkennens ist klasse!
Sie sind ja auch als Künstlerin unterwegs…
Ja, Künstlerin oder Astronomin, beides hat mich interessiert. Die Überlegung, als Astronomin am 100-Meter-Radioteleskop in Effelsberg beobachten und nebenbei malen zu dürfen, hat dann dazu geführt, dass ich Physik studiert habe. Denn eine Malerin hätte man sehr wahrscheinlich nicht an das Teleskop gelassen. (Lacht) Ich hatte das Glück, dass meine Eltern mich immer unterstützt haben. Sie waren aber vermutlich erleichtert, dass ich die Wissenschaft gewählt habe.
Es heißt, Frauen hätten es in der Wissenschaft generell schwerer als Männer, sich durchzusetzen. Stimmt das aus Ihrer Sicht?
Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema. Demnach wird eine Erstpublikation, die von einer Autorin angeführt wird, weniger häufig zitiert als die eines männlichen Autors. Ich glaube, viele Frauen kennen auch das Phänomen, dass sie sich in Besprechungen zu Wort melden und ignoriert werden. Dieselbe Antwort von einem männlichen Kollegen wird gefeiert. Ja, ich denke, dass Männer eher wettbewerbsorientiert sind, umfangreicher netzwerken und sich leichter durchsetzen können. Das ist wahrscheinlich auch eine Frage der kritischen Masse. Wenn die Zahl der Astronominnen steigt, könnte es für die Frauen leichter werden. Was wir jetzt schon machen können? Ich glaube, Wissenschaft gehört unter die Leute und sollte sichtbarer und hörbarer werden. Frauen sollen da mutiger werden und hör- und sichtbarer werden. Dann dürften sich auch mehr Frauen von der Wissenschaft angesprochen fühlen.
Warum würden Sie jungen Frauen den Weg in die Wissenschaft empfehlen?
Wer sich für wissenschaftliche Fragestellungen interessiert, egal in welchem Bereich, wird immer neugierig sein und forschen wollen. Es ist ein Abenteuer und erlaubt einem den Zugang zu Wissen, das man vielleicht als Erste entdecken darf. Was kann es Spannenderes geben? Ich sehe es als Privileg an, zu forschen und Neues entdecken zu dürfen. Der Natur vielleicht doch noch ein Geheimnis entlocken zu können. Die Max-Planck-Institute bieten ideale Forschungsmöglichkeiten. Dass ich Teil des Teams bin, welches das erste Bild eines Schwarzen Lochs geschafft hat, werde ich vermutlich nicht so schnell vergessen. Die Arbeit im internationalen Verbund, die Möglichkeit mit Menschen, die ähnliche Interessen haben, weltweit diskutieren und arbeiten zu können, finde ich faszinierend. Und dann dürfen wir auch noch diese unglaublichen neuen Teleskope nutzen. Ich komme jeden Abend aus dem All auf die Erde zurück und habe nicht nur einen weiteren Teil unseres Universums, sondern auch spannende und manchmal bahnbrechende neue Ideen kennengelernt.
Welche Eigenschaften müssen Nachwuchsforscherinnen Ihrer Meinung nach mitbringen?
Vieles kann man lernen. Ich halte das Interesse an wissenschaftlichen Fragestellungen, Neugierde und Kreativität für wichtig. Hartnäckigkeit und Geduld schaden auch nicht. Es gibt aber kein Patentrezept, und Geduld und Kreativität sind wahrscheinlich schwierig zu kombinieren.
Zwischen 1901 und 2021 wurden in Physik 218 Nobelpreise verliehen – darunter nur vier an Frauen. Welche Gründe könnte das haben? Sehen Sie heute Fortschritte?
Ich glaube, wir wären heute weiter, wenn mehr Frauen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden wären. Und ich denke, es hätte Kandidatinnen gegeben, die es verdient gehabt hätten. Nobelpreise setzen wichtige Signale und wirken wie Leuchttürme. Es gibt wenige bekannte weibliche Vorbilder in der Wissenschaft, und wir alle wachsen mit männlichen Vorbildern auf. Das ist ähnlich in der Malerei. Das führt in der Wissenschaft dazu, dass Frauen sich nicht nur in ihrem Fachbereich behaupten, sondern gleichzeitig auch ihren Platz in der Gesellschaft finden oder erfinden müssen. Das ist ein weites Feld und noch viel unerforschtes Terrain für die Wissenschaft in der Wissenschaft.
Das Interview führte Helmut Hornung.