Ein Nanoreaktor mit chemischem Turbo

Eine Membran mit Kohlenstoffnitrid-Nanoröhrchen ermöglicht besonders schnelle fotochemische Reaktionen

28. Mai 2021
Mancher Prozess in der chemischen Industrie, aber auch breitere Anwendungen wie die Beseitigung organischer Schadstoffe aus dem Abwasser könnte künftig möglicherweise effizienter ablaufen. Forschende des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam haben eine mit unzähligen Nanoröhrchen gespickte Membran entwickelt, die verschiedene fotochemische Reaktionen mit hohen Umsatzraten katalysiert. Solche Membranen eignen sich daher als vielseitige Nanoreaktoren für die chemische Industrie.

Chemie, die durch Licht angetrieben wird, steht am Anfang fast aller Nahrungsketten in der Natur. Indem Pflanzen in der Fotosynthese mit Sonnenergie Zucker aufbauen, schaffen sie die Grundlage für fast alles Leben auf der Erde. Chemiker möchten die Lichtenergie, möglichst von der Sonne, aber auch für technische Prozesse nutzen, etwa um synthetische Treibstoffe zu erzeugen, komplexe organische Substanzen zu synthetisieren oder giftige Stoffe aus dem Abwasser zu beseitigen. Ein Nanoreaktor, den ein Team des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung um Aleksandr Savateev und Markus Antonietti entwickelt hat, könnte solche fotochemischen Umsetzungen nun deutlich beschleunigen.

Die mit Nanoröhrchen gespickte Membran baut Substanzen wahlweise ab oder auf

Das zentrale Element des Nanoreaktors bildet eine Aluminiumoxid Membran, die von Nanoröhrchen durchsetzt ist. Die Nanoröhrchen sind 40 Nanometer weit und bestehen aus Kohlenstoffnitrid, das verschiedene chemische Reaktionen katalysiert. Die fotokatalytische Aktivität des Nanoreaktors belegten die Potsdamer Chemikerinnen und Chemiker gleich in verschiedenen Experimenten. So leiteten sie mit Methylenblau gefärbtes Wasser durch die Membran und bestrahlten sie dabei mit Licht. Wie die Forschenden beobachteten, wurden die organischen Farbstoffmoleküle in den Kohlenstoffnitrid-Nanoröhrchen in Millisekunden abgebaut, sodass klares Wasser aus dem Reaktor floss. Auf gleiche Weise könnte der Nanoreaktor etwa mithilfe von Sonnenlicht auch andere organische Substanzen zerlegen, wie etwa Phthalate, die in der Kunststoffproduktion als Weichmacher Verwendung finden, aber teilweise im Verdacht stehen, die Gesundheit zu schädigen.

Das Potsdamer Team nutzte den Nanoreaktor aber nicht nur, um einen Stoff abzubauen, sondern auch um komplexere Moleküle aufzubauen. „Ich bin vor allem daran interessiert, mithilfe von Kohlenstoffnitrid und Licht nützliche organische Substanzen zu synthetisieren“, sagt Aleksandr Savateev, der am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung eine Arbeitsgruppe leitet. So verkuppelten er und sein Team in dem Nanoreaktoren jeweils zwei Moleküle von Benzylamin, einem gebräuchlichen Ausgangsstoff der chemischen Industrie, sowie von verwandten Substanzen zu einem größeren Molekül – eine Reaktion, die in vielen industriellen Prozessen stattfindet. Zu diesem Zweck erzeugten er und sein Team an der Innenwand der Kohlenstoffnitrid-Nanoröhrchen in einem gängigen Verfahren winzige Goldpartikel. Nun ließen die Forschenden in verschiedenen Experimenten die Ausgangsstoffe durch den beleuchteten Nanoreaktor strömen. Dabei lösten sie in den Flüssigkeiten Sauerstoff, der bei der Verkuppelung der Ausgangsmoleküle eine wesentliche Rolle spielt. Unterschiedlicher Daten zeigten den Forschern nun, dass die gewünschten Reaktionen unter diesen Bedingungen extrem effizient abläuft.

Ein Nanoröhrchen katalysiert besser und lässt Flüssigkeiten schneller fließen

Dass der Nanoreaktor so gut und vor allem schnell arbeitet, hat mehrere Gründe. So können die Ausgangsstoffe kontinuierlich durch ihn hindurchfließen, sodass sich die gewünschten Produkte am Ende vergleichsweise einfach abtrennen lassen. Solche Durchflussprozesse bevorzugt die chemische Industrie, wo immer sie möglich sind. Die gekrümmte Wand der Nanoröhrchen verbessert zudem die katalytischen Eigenschaften des Kohlenstoffnitrids. „Im gewöhnlichen 3D-Raum sind Reaktionszeiten von einigen Millisekunden einfach unmöglich,“ sagt Savateev.

Beschleunigt wird die Reaktion auch dadurch, dass Flüssigkeiten in den Nanoröhrchen superfluid werden. Das heißt, sie verhalten sich darin dünnflüssiger als etwa in einem Topf oder einem dickeren Rohr. „In ein Nanoröhrchen passen nur relativ wenige Moleküle, sodass sie weniger miteinander zusammenstoßen, sie bilden gewissermaßen eine Warteschlange“, erklärt Aleksandr Savateev. „Daher reagieren sie unmittelbar auf äußeren Druck und fließen schneller.“ Diese verringerte Viskosität bewirkt auch, dass der Sauerstoff leichter durch die Flüssigkeit strömt und schneller zu den Molekülen gelangt, mit denen er reagieren soll. Ein Prinzip mit Potenzial, davon ist Markus Antonietti, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, überzeugt: „Reaktionen in Flüssigkeiten mit geringerer Viskosität blitzschnell ablaufen zu lassen, stellt eine neue Chance für die Chemie dar.“ Der Nanoreaktor des Potsdamer Teams könnte so in manchem Prozess der chemischen Industrie den Turbo zünden.

JJ/PH

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