Wie Pflanzen ihre Wasserleitungen stabilisieren

Neue Techniken ermöglichen Live-Beobachtung der Zellwandbildung im Gefäßsystem

Bäume gehören mit Abstand zu den größten Lebewesen der Erde. Das Höhenwachstum wird durch ein spezialisiertes Gefäßsystem ermöglicht, das Wasser hocheffizient von der Wurzel bis in die Blattkrone leitet und zeitgleich für Stabilität sorgt. Das sogenannte Xylem, auch als Holz bezeichnet, ist ein Netzwerk von Hohlzellen, deren Zellwände extrem widerstandsfähig sind und das Gewebe gegen die mechanischen Beanspruchungen des Höhenwachstums verstärken. Diese Wände winden sich in filigranen Band- und Spiralmustern um die Zellen. Wie diese Muster genau entstehen, war bisher nur in Teilen bekannt. Forschende des Max-Planck-Instituts für molekulare Pflanzenphysiologie und der Universität Wageningen gehen der Entstehung dieser spezialisierten Zellwände auf den Grund.

Pflanzen nehmen Wasser aus dem Boden über die Wurzel auf und transportieren dieses über ein Gefäßsystem, das sogenannte Xylem, bis in die Blattkrone. Das Xylem ist ein Netzwerk von röhrenförmigen hohlen Zellen, welches während des Pflanzenwachstums gebildet wird. Hierfür betreiben diese Zellen aktiv den Aufbau einer zusätzlichen und außergewöhnlich starken Zellwand – der so genannten Sekundärwand – in auffallend geordneten Band- und Spiralmustern. Danach sterben die Zellen ab und hinterlassen eine leere Zellwandhülle die zusätzlich mit Lignin imprägniert wird, um diesen Strukturen noch mehr Stabilität und Wasserfestigkeit zu verleihen. Dadurch entsteht sowohl ein effizientes Wassertransportsystem als auch Stabilität.

Der tragende Hauptbestandteil der Zellwände ist Zellulose. Damit die Zellulose diese optisch beeindruckenden Band- und Spiralmuster bilden kann, benötigt sie die Hilfe verschiedener Proteine der noch lebenden Xylemzellen. Dazu gehören so genannte Mikrotubuli, mikroskopisch kleine Röhren, die Teil des Zytoskeletts sind und als molekulare ‚Fahrbahnen‘ für die zellwandproduzierende Protein-Maschinerie dienen. Diese Maschinerie bewegt sich wie eine Asphaltiermaschine entlang der Mikrotubuli und lagert kontinuierlich Wandmaterial an der Außenseite der Zellen ab. Die Mikrotubuli bilden also eine genaue Vorlage für die Zellulose-Anordnung. Trotz vieler Forschungsarbeiten zur generellen Bildung von Zellwänden war bisher unbekannt, wie das dynamische Mikrotubli-Netzwerk umorganisiert wird, um sich in solch filigran geordneten Mustern anzuordnen.

Genetisch veränderte Ackerschmalwand

„Ein Problem bei der Aufklärung dieser Mechanismen war bisher, dass das Xylemgewebe von vielen Zellschichten überdeckt ist und nicht direkt beobachtet werden kann. Wir nutzen hier einen gentechnischen Ansatz, um diesen Prozess im Mikroskop sichtbar machen zu können“, erklärt René Schneider vom Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie. Die Forschenden nutzten Arabidopsis thaliana (auch als Ackerschmalwand bekannt), ein unscheinbares Unkraut und Modelpflanze der Forschung, und veränderten sie so, dass alle ihre Zellen in der Lage sind Xylem und somit sekundäre Zellwände zu bilden, obwohl sie das normalerweise nicht tun würden. „Hierfür haben wir unsere Pflanzen mit einem Genschalter ausgestattet. Dieser macht es möglich, den Mechanismus der Xylementwicklung von außen gezielt auszulösen, und führt dazu, dass alle Zellen in der Pflanze zu Xylemzellen werden. Insbesondere die Zellen der  äußeren Zellschicht können ausgezeichnet mit Hilfe von hochauflösender Mikroskopie beobachtet werden“, beschreibt Schneider. Mit dieser Methode ist es erstmalig möglich, Xylemzellen und ihren Wandmustern direkt beim Entstehen zuzuschauen.

In ihrer Studie beschreiben die Forscherinnen und Forscher erstmals, welche Prozesse die Neuanordnung der Mikrotubuli vorantreiben. Mit einem eigens entwickelten automatischen Bildgebungsverfahren haben sie beobachtet, dass sich die Mikrotubuli-Bänder und -Spiralen zeitgleich über der gesamten Zelle bilden und das entstehende Muster weiter angepasst wird, bis eine gleichmäßige Verteilung der Bänder entsteht. Hierbei werden die Mikrotubuli in den Lücken kontinuierlich abgebaut, während sie in den Bändern beständig wachsen. Die Anordnung in parallele Bänder mit gleichem Abstand benötigt etwa ein bis zwei Stunden und bleibt dann für die restliche Lebensdauer der Xylemzellen erhalten.

Der gesamte Prozess hin zu einer voll funktionsfähigen, wasserleitenden Zelle benötigt insgesamt mehrere Tage. Mit Hilfe ihrer Untersuchungen in Pflanzen und durch den Einsatz von Computersimulationen konnte das Wissenschaftlerteam außerdem einen Proteinkomplex, das KATANIN, ausfindig machen, der für die schnelle und geordnete Formation der Bandmuster mitverantwortlich ist.

Basierend auf diesen Erkenntnissen möchte René Schneider in den nächsten Jahren weiter der Forschungsfrage nachgehen, wie genau die Muster der sekundären Zellwandstruktur entstehen. Hierfür wird er von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit dem renommierten Emmy-Noether-Programm unterstützt, um eine Forschungsgruppe an der Universität Potsdam aufzubauen. Die Forschungsgruppe wird mit 1,3 Millionen Euro gefördert und wird sowohl in-vivo (in lebenden Pflanzen), als auch in-vitro (im Labor oder außerhalb der Pflanze), sowie computerbasierte Methoden nutzen, um die Genetik der Zellwandmuster weiter zu erforschen. Die Arbeiten der Gruppe sind nicht nur für die Pflanzenforschung von Interesse, sondern könnten auch dazu beitragen, Pflanzen an das zukünftige Klima anzupassen, da das Überleben von Bäumen bei sich veränderndem Klima wesentlich von der Anpassungsfähigkeit der Xylemgefäße abhängt. Die Identifizierung von Proteinen und der dazu gehörenden Gene, welche die Gefäßwände an Umweltbedingungen anpassen, könnte helfen, klimafestere Pflanzenarten zu erkennen oder sogar gentechnisch zu erzeugen.

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