Raus mit der Sprache

10. Dezember 2019

Dass Kinder irgendwann zu sprechen beginnen, scheint uns selbstverständlich. Doch das Erlernen der Sprache ist eine geistige Höchstleistung, die bis heute noch nicht komplett verstanden ist. Mithilfe verschiedenster Methoden ergründen die Abteilungen von Caroline Rowland am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen und von Angela Friederici am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, wie Kinder sich scheinbar mühelos dieses komplexe Kommunikationssystem aneignen.

Text: Tim Schröder

Der Weg zu den Laboren von Caroline Rowland führt durch einen kleinen Park. Wer ihn entlangspaziert, merkt gleich, dass hier etwas besonders ist: Eine babyblaue Elfe aus Porzellan sitzt am Wegesrand im Gras, ein paar Schritte weiter eine rosarote Fee, etwa so groß wie eine Barbiepuppe, dann noch eine und noch eine, bis zu einem Seiteneingang.

Und auch drinnen sieht dieser Teil des Max-Planck-Instituts für Psycholinguistik anders aus als das übrige Gebäude mit seinen Büros und Laboren. Im Flur stehen quietschbunte Hocker in Pilzform, gerade so groß, dass sich Kinder bequem draufsetzen können. „Und hier ist unser Wartezimmer“, sagt Caroline Rowland und schließt eine Tür auf: ein kleines Spielparadies mit Kuscheltieren, Bilderbüchern, Kartons voller Gesellschafts- und Geschicklichkeitsspiele und Stühlchen. Caroline Rowland und ihre Mitarbeiter haben alles so eingerichtet, dass Kinder sich hier auf Anhieb wohlfühlen, denn Kinder sind die eigentlichen Stars in Rowlands Forschung.

Caroline Rowland ist Professorin für Psychologie und Direktorin am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik im niederländischen Nijmegen. Sie will ergründen, wie Kinder ihre Muttersprache lernen – noch bevor sie viele andere Fähigkeiten auch nur in Ansätzen beherrschen: „Die meisten Kinder lernen in den ersten Lebensjahren mühelos das komplexeste Kommunikationssystem des bekannten Universums. Ich möchte herausfinden, wie sie das machen und warum das so ist.“ Und dafür lädt sie regelmäßig Eltern mit deren Kindern zu spielerischen Experimenten ein. Für sie ist vor allem die Arbeit mit Babys und Kleinkindern interessant, die gerade beginnen, ihre Muttersprache zu erlernen.

Neben dem bunten Wartezimmer liegt einer der Laborräume, in denen Caroline Rowland und ihr Team mit den Kindern die Sprachexperimente machen. Der Kontrast könnte nicht größer sein: Der Raum ist nüchtern, die Wände sind schmucklos. Nichts soll die Kinder ablenken. Mitten im Zimmer steht ein großer Monitor, davor ein Tisch mit zwei Stühlen. Hier nehmen die Eltern mit ihren Kindern Platz. Auf dem Monitor spielen die Forscher dann Szenen oder Bilder ab: ein Hund, der eine Katze jagt, Gegenstände wie zum Beispiel Bälle oder Gummientchen – Dinge, die den Kindern aus ihrem Alltag bekannt sind. Zusammen mit Julia Egger, Christina Bergmann und Andrew Jessop aus ihrem Team beobachtet Rowland zum Beispiel, worauf die Kinder ihre Aufmerksamkeit lenken. Dabei nutzt sie Eyetracker, das sind Infrarotkameras, die die Bewegungen der Pupille und der Iris verfolgen und damit registrieren können, wann ein Kind wohin schaut.

Mithilfe dieser Technik hat Caroline Rowland gemeinsam mit Mitarbeitern und britischen Universitätskolleginnen die Geschwindigkeit gemessen, mit der ein Kind Sprache verarbeitet. „Looking-while-listening“-Paradigma, heißt der Ansatz, „Schauen beim Zuhören“. Ein Kind sitzt vor einem Bildschirm und sieht Bildpaare, von denen aber jeweils nur eines angesprochen wird. Wenn auf dem Bildschirm zum Beispiel ein Apfel und ein Auto zu sehen sind, kommt gleichzeitig die Aufforderung, auf den Apfel zu schauen. Mit dem Eyetracker können die Wissenschaftler messen, wie schnell das Kind die Augen auf den Apfel richtet. Die Geschwindigkeit, mit der Kinder das richtige Wort identifizieren, zeigt, wie schnell sie die Sprache, die sie hören, verarbeiten.

Die Herausforderung ist, Gehörtes zu verstehen

Die Studie zielt auf eines der großen Rätsel der Sprachentwicklung: Warum sprechen manche Kinder bereits mit acht Monaten die ersten Wörter, während andere erst mit zwei oder drei Jahren zu reden anfangen? Und ganz praktisch: Woran erkennt man frühzeitig, ob ein Kind sich nur etwas verzögert entwickelt oder ob es eine Spracherwerbsstörung hat, die frühzeitig therapiert werden sollte? Wie die Studie ergab, ist die Geschwindigkeit, in der 18 Monate alte Kleinkinder Sprache verarbeiten, tatsächlich ein wesentlicher Faktor für die Sprachentwicklung.

Die Schnellen unter ihnen sind deutlich im Vorteil: Sie können aus jedem Satz, den sie hören, mehr lernen, ihr Wortschatz und sogar ihr Wissen über den Satzbau wachsen schneller als bei den langsameren Kindern. Und je größer der Wortschatz, desto schneller können Kinder wiederum Gehörtes verarbeiten. Die langsameren Kinder haben dadurch einen Nachteil. Diesem Phänomen möchte das Projektteam in seiner künftigen Forschung genauer auf den Grund gehen – auch um Möglichkeiten zu finden, den benachteiligten Kindern zu helfen.

Das Verarbeiten von gehörter Sprache ist für Caroline Rowland ein zentraler Aspekt beim Sprechenlernen. Denn was Neugeborene und Kleinkinder zunächst wahrnehmen, ist ein nicht enden wollender Fluss an Einzellauten und Silben. Erwachsene kennen das vom Erlernen einer Fremdsprache – oft ist der Wortfluss kaum zu verstehen, nur gelegentlich lassen sich einzelne bekannte Begriffe erkennen, und man kann versuchen, sich daraus den Sinn zusammenzureimen. „In der Regel machen wir beim Sprechen eines Satzes zwischen einzelnen Wörtern keine Pausen“, sagt die Wissenschaftlerin. „Für Kleinkinder, die die Sprache neu lernen müssen, besteht also die Herausforderung darin, in diesem Fluss aus Silben Begriffe zu erkennen.“ Und nicht nur das, sie müssen auch Wortarten unterscheiden und die Grammatik durchschauen.

Eine zentrale Frage ist also, wie Kinder den sprachlichen Input verarbeiten. Dabei muss die Forschung berücksichtigen, dass in der gesprochenen Sprache die Wörter nicht wie auf einem Fließband gleichmäßig in die Welt kommen. Wenn wir reden, verwenden wir unterschiedliche Betonungen, setzen Pausen, sprechen in einer bestimmten Sprachmelodie. Wir unterstreichen das Gesage mit Gesten und Blicken, und natürlich beziehen wir uns auf Dinge und Menschen in der Umgebung. Nach Ansicht von Caroline Rowland hat die Forschung das bisher zu wenig beachtet. Sie sieht darin eine komplexe Herausforderung für ihr Feld.

Kinder machen beim Sprechen schlaue Fehler 

Sie selbst geht die Herausforderung multimethodisch an. Das heißt, sie verwendet eine ganze Palette verschiedener Ansätze: neurowissenschaftliche Methoden, Computermodelle, Verhaltensexperimente und detaillierte Untersuchungen alltäglicher Unterhaltungen.

Für die Gesprächsanalyse nutzen Caroline Rowland und ihr Team große Online-Datenbanken wie CHILDES, in denen Dialoge von und mit Kindern als schriftliche Dokumente, Audio- oder Videodateien gesammelt werden. „Aus den dort gespeicherten Gesprächen, aus den Fragen und den Antworten der Kinder kann man sehr viele Schlüsse ziehen“, sagt Caroline Rowland. Aufschlussreich sind beispielsweise typische Fehler, die Kinder beim Sprechen machen. Denn sie zeigen, welche wiederkehrenden Muster die Kinder in der Sprache bereits erkannt haben. Jüngere Kinder machen oft Fehler bei der Mehrzahlbildung, etwa „die Frosche springen“. Dann haben sie durchschaut, dass man für den Plural ein „e“ anhängen kann, sie haben aber noch nicht gelernt, dass es weitere Regeln gibt, in diesem Fall, das „o“ zum „ö“ umzubilden.

Bei älteren Kindern ändern sich mit den wachsenden sprachlichen Fähigkeiten auch die Fehler. Wenn ein Vorschulkind einen Satz sagt wie: „Spring den Ball da vorne“, dann spielt sich dabei Folgendes ab: Das Kind hat bereits Wörter wie „werfen“ oder „stoßen“ gelernt, die ausdrücken, wie man Dinge in Bewegung setzt („den Ball werfen“). Warum also nicht das Wort „springen“ verwenden? Das Beispiel verdeutlicht den Kern der Sache: Es handelt sich nicht um einen Fehler, bei dem das Kind Wörter oder Wortteile widersinnig verwendet. Im Gegenteil, das Kind wendet ein Muster an, das es bereits häufig gehört hat und das es nun kreativ einsetzt, um etwas Neues auszudrücken – was in diesem Fall jedoch nicht ganz richtig ist. Rowland spricht von „schlauen Fehlern“, die sich interessanterweise bei allen Kindern mit normaler Sprachentwicklung ähneln, und das über verschiedene Sprachen hinweg.

Schon Kleinkinder finden Muster in der Sprache

Übrigens empfiehlt die Sprachentwicklungsforschung in solchen Fällen, Kinder nicht explizit auf ihre Fehler hinzuweisen. Kinder machen sich nicht bewusst, welche sprachlichen Gesetzmäßigkeiten sie anwenden. Statt Regeln zu predigen, sollten Erwachsene besser den Satz des Kindes aufgreifen, ihn korrekt formulieren („Jetzt lassen wir den Ball ganz hoch springen“) und sich dann normal mit dem Kind weiterunterhalten. Mit der Zeit lernen die Kinder, auch die „schlauen Fehler“ nicht mehr zu machen.

Eine Erklärung, wie schon sehr kleine Kinder sich sprachliche Muster aneignen können, ist das sogenannte statistische Lernen. Es beschreibt die Fähigkeit des Gehirns, in einer komplexen Umgebung Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, zu beobachten und daraus zu lernen. Wie das funktioniert, macht ein Satz wie „Schau, da schwimmt die Ente“ deutlich. In der Regel taucht in der Alltagssprache die Folge der Silben „en“ und „te“ häufiger auf als die Kombination der Silbe „die“ und der Silbe „en“. Ein Kind lernt also innerhalb kurzer Zeit, dass es zwischen „en“ und „te“ einen Zusammenhang gibt – die „Ente“.

Das zeigen Experimente, bei denen Kinder eine künstliche Sprache hören. Die Forscher integrieren bestimmte regelmäßige Elemente in diese Sprache. Im fließend gesprochenen Fantasiesatz „dalobitaganodalobilimidenatidalobi“ zum Beispiel kommt die Sequenz „dalobi“ häufiger vor. Es stellt sich heraus, dass Kinder das sehr schnell lernen und diese Erkenntnis nutzen, um den Begriff „dalobi“ später zu erkennen, wenn er einzeln vorgetragen wird.

„Mit mehreren Kameras im Raum filmen wir die Gesichter der Kinder, um zu untersuchen, wie sie auf vertraute und unbekannte Lautfolgen reagieren“, erklärt Caroline Rowland. „Wenn die Kinder einen ihnen vertrauten Begriff wie ‚dalobi‘ hören, steigt ihre Aufmerksamkeit deutlich, sie schauen zum Beispiel nach oben.“

Computer helfen, Gespräche zu analysieren

Was banal klingen mag, ist eigentlich etwas Großartiges, betont Rowland. „Menschliche Säuglinge erfassen solche komplexen statistischen Zusammenhänge mit ihrem Gehirn schon im Alter von wenigen Monaten – und zwar viel besser als jedes Tier. Babys können in wenigen Minuten aus gesprochenen Sätzen komplexe statistische Muster extrahieren. Wir können das Gleiche mit Affen trainieren, aber es braucht Hunderte Versuche, ehe ihnen das gelingt.“ Wenn wir verstehen wollen, warum Menschen die Fähigkeit besitzen, ein so komplexes Kommunikationssystem wie die Sprache zu entwickeln, ist es nach Ansicht der Wissenschaftlerin essenziell zu erforschen, wie und warum Säuglinge das statistische Lernen so gut beherrschen.

In Rowlands Abteilung untersuchen Rebecca Frost, Katja Stärk und Evan Kidd, wie Säuglinge in der Sprache wiederkehrende Muster nutzen, um ein besseres Verständnis für Wörter und Grammatik zu entwickeln. In ihrer Forschung stützen sie sich nicht nur auf die Analyse von Gesprächen, sondern auch auf verhaltens- und neurophysiologische Studien sowie Eye tracking und Elektroenzephalografie, das EEG. Dazu werden den Babys und den Kindern Hauben mit Elektroden aufgesetzt, die die schwache elektrische Aktivität des Gehirns erfassen. So versuchen die Forscher zu ergründen, wie gut Säuglinge das statistische Sprachenlernen nutzen oder beherrschen.

Solche Studien zeigen, dass sich sehr früh ein Bewusstsein für Sprache entwickelt, lange bevor die Kinder anfangen zu sprechen. Evan Kidd veröffentlichte etwa kürzlich eine Untersuchung, wonach die Gehirnströme einzelner Kinder sehr unterschiedlich reagieren, wenn sie Sprache hören. Diese Unterschiede sind entscheidend für die weitere Sprachentwicklung: Kinder, die früher als andere beginnen, Wortwissen anzusammeln und zu benutzen, statt auf einzelne Laute zu fokussieren, haben später einen Vorteil beim Lernen neuer Wörter.

Ein weiterer Ansatz, die Möglichkeiten des statistischen Lernens zu überprüfen, sind Analysen von Alltagsgesprächen aus Datenbanken. Daraus lassen sich die sprachlichen Muster ermitteln, die Kinder vermutlich beim Lernen der Sprache nutzen. Die Untersuchungen zeigen beispielsweise, nach welchen Regeln sich Wortarten unterscheiden lassen. So steht etwa zwischen einem Artikel (der/die/das) und dem Wort „ist“ immer ein Substantiv („Der Kuchen ist …“, „Die Sonne ist …“, „Das Haus ist …“). Die Analysen berücksichtigen die unterschiedlichsten Faktoren: So zeigte eine Studie, dass im Englischen Substantive aus mehr Silben bestehen als Verben und eher auf der ersten Silbe betont sind als andere Wortarten. Dank moderner Computertechnik hat die Forschung in diesem Bereich in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte gemacht. Automatisierte Systeme können in kurzer Zeit Tausende von Wortwechseln und Äußerungen analysieren. Damit gewinnt die Wissenschaft ein zunehmend besseres Verständnis des komplexen sprachlichen Inputs, dem Sprachanfänger ausgesetzt sind.

Nur Menschen können Worte klug kombinieren

Computer lassen sich auch einsetzen, um Lernmechanismen zu simulieren und damit bestehende Theorien zu überprüfen Daran arbeitet Caroline Rowland am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik gemeinsam mit Evan Kidd, Raquel Garrido Alhama, Andrew Jessop sowie einem britischen Kollegen. Die Idee ist, dass der Computer die Sprache auf die gleiche Weise lernt wie Kinder. Allerdings hinkt die künstliche Intelligenz den Fähigkeiten der Kinder deutlich hinterher, sagt Caroline Rowland, zum Beispiel bei der Unterscheidung von Wortarten. „Selbst Dreijährige wissen, dass ein Satz wie ‚Ich esse ein Glücklich‘ keinen Sinn ergibt, aber Modelle erkennen so etwas nicht.“

Rowland sieht das Problem nicht in den zugrunde liegenden Sprachentwicklungsmodellen. Die Schwierigkeit für Computer liegt vielmehr darin, dass in realen Gesprächen die Sprache sozusagen verrauscht ist. Die Leute setzen neu an, verbessern sich, sprechen Sätze nicht fertig. Für Computermodelle ist es schwierig, mit diesem Rauschen umzugehen. Dazu kommen die Doppeldeutigkeiten in der natürlichen Sprache, sogar über verschiedene Wortarten hinweg: Verben können Substantiven gleichen („Ich fische im Trüben“ – „Im Aquarium sind Fische“) oder auch Adjektiven („Er weiß viel“ – „Die Wand ist weiß“).

„Es gibt noch jede Menge zu tun“, sagt Caroline Rowland. Sie hofft, in den kommenden Jahren mithilfe ihres Methoden- Portfolios viele Fragen beantworten zu können. Dabei schaut sie auch aufmerksam auf die Arbeiten anderer Kolleginnen und Kollegen, etwa auf die von Angela Friederici, die sich der Sprachentwicklung noch auf andere Weise nähert. Die Neurophysiologin ist Direktorin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig und befasst sich vor allem mit der Entwicklung des Gehirns, die bei der Sprachentwicklung eine entscheidende Rolle spielt.

„Im Grunde nähern Caroline Rowland und ich uns derselben Frage aus zwei verschiedenen Perspektiven an – die Sprachentwicklung ist unser gemeinsamer Nenner“, sagt Angela Friederici. „Ich stelle darüber hinaus auch die Frage, was uns zum Menschen macht. Menschen sind die einzigen Lebewesen, die Sprachelemente, einzelne Phrasen logisch kombinieren können. Das kann kein Tier.“ Hunde zum Beispiel könnten einzelne Worte wie „Stöckchen“ oder „Sitz“ lernen. Klug kombinieren wie ein Kleinkind aber könnten sie diese nicht.

Ein Kinderfest wirbt für die Sprachforschung

Eines von Friedericis wichtigsten Forschungswerkzeugen ist die Magnetresonanztomografie (MRT), mit der bestimmte Prozesse im Gehirn von außen beobachtet werden können – etwa die Nervenleitung und die Aktivität bestimmter Hirnareale. Und damit hat sie vor allem durch den Vergleich von Kindern und Erwachsenen interessante Entdeckungen gemacht. Seit Langem ist bekannt, dass zwei Hirnareale besonders mit der Sprache verbunden sind, das Broca-Areal und das Wernicke-Areal. Der französische Chirurg Paul Broca beschrieb Sprachstörungen (Aphasie) bei einem Patienten, dessen Broca-Areal geschädigt war. Der Neurologe Carl Wernicke wiederum stellte fest, dass das später nach ihm benannte Areal für das Verstehen von Sätzen bedeutend ist.

Angela Friederici hat mithilfe der diffusionsgewichteten MRT unter anderem herausgefunden, dass sich im Laufe der Hirnreifung eine Nervenverbindung zwischen beiden Arealen ausbildet, die eng mit dem zunehmenden Sprachverstehen der Kinder verknüpft ist. „Interessanterweise haben Tiere diese Verbindung nicht. Insofern kommt dieser Verbindung wahrscheinlich eine zentrale Rolle bei der Sprachentwicklung zu“, sagt Angela Friederici. Möglich waren diese Arbeiten nur, weil Angela Friederici mit Kliniken kooperiert, die ihr Bilddaten aus medizinischen Untersuchungen an Neugeborenen und Kleinkindern zur Verfügung gestellt hatten – mit Einverständnis der Eltern, versteht sich.

Auch Caroline Rowland ist auf Eltern angewiesen, die bereit sind, für die Sprachexperimente mit ihren Kindern ins Institut zu kommen. Immerhin dauert ein solcher Besuch etwa eine Stunde. Doch selbst die kleinsten Kinder hielten gut durch, sagt sie. Weil alles spielerisch ablaufe, seien die Kinder mit Neugierde dabei. Einmal im Jahr veranstaltet Caroline Rowland zusammen mit Kolleginnen und Kollegen von der Radboud-Universität nebenan das große Kinderfestival „Kletskoppen“ – was so viel heißt wie „Quasselköpfe“. Ein buntes und lustiges Fest, mit dem die Forscher andere für ihre Arbeit begeistern wollen – vor allem auch Eltern, die Lust haben, mit ihren Kindern bei den Experimenten mitzumachen.

Es sind Moderatoren aus dem niederländischen Fernsehen da, die Forscher halten lockere Vorträge, und die Kinder können sich die Zeit mit Sprachspielen und Experimenten vertreiben. „Wir möchten gern mit Menschen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten in Kontakt kommen, nicht nur mit bildungsnahen Familien, die sich eher für Forschung interessieren“, sagt Caroline Rowland. „Kletskoppen“ sei ein Türöffner. „Wenn wir wissen wollen, wie die Sprachentwicklung funktioniert, dann müssen wir auch herausfinden, ob es Unterschiede zwischen Kindern mit ganz unterschiedlichen Hintergründen gibt.“ Das klingt sinnvoll, denn vielleicht kann ihre Forschung auch dazu beitragen, Kindern künftig zu helfen, wenn es mit dem Sprechenlernen mal hapert.

Auf den Punkt gebracht

  • Schon kleine Kinder sind in der Lage, unbewusst sprachliche Muster und Regeln wie Wortzusammenhänge, Wortarten oder Satzbau zu erkennen.
  • Für Babys ist es eine besondere Herausforderung, in dem Fluss an Lauten einzelne Wörter zu erfassen. Tests haben ergeben, dass sie aber wieder kehrende Silbenkombinationen in kürzester Zeit als Wörter identifizieren können.
  • Kinder, die früher als andere beginnen, Wortwissen anzusammeln und zu benutzen, haben später Vorteile in der Sprachentwicklung.
  • Eine wichtige Rolle beim Lernen der Sprache spielt die Gehirnentwicklung. Eine Nervenverbindung zwischen zwei wichtigen Spracharealen, die sich erst nach der Geburt bildet, ist eng mit dem Sprachverstehen von Kindern verknüpft.

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