Wie turbulenter Blutfluss Atherosklerose auslöst
Piezo-1, G-Proteine und Integrin kooperieren bei der Entstehung der Erkrankung
Eine atherosklerotische Veränderung von Blutgefäßen beginnt bevorzugt an Stellen mit turbulentem Blutfluss, beispielsweise an einer Gefäßverzweigung. Dort wirken auf die innerste Zellschicht der Gefäßwand andere physikalische Kräfte als an Stellen, an denen der Fluss laminar ist. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim haben nun herausgefunden, dass ein Antennenmolekül namens Piezo1 zwar überall in den Gefäßen diese durch den Blutfluss verursachten Kräfte detektiert. Nur bei turbulenter Strömung wird jedoch zusätzlich ein als a5-Integrin bezeichnetes Oberflächenprotein der inneren Gefäßwandzellen aktiviert und dadurch eine entzündliche Reaktion ausgelöst. Die Wissenschaftler erhoffen sich, mit der Studie einen therapeutischen Ansatz gefunden zu haben, der bereits in der frühen Phase der Atheroskleroseentwicklung eingreifen kann.
Atherosklerose ist eine sich über Jahre entwickelnde Erkrankung der Blutgefäße, die häufig einen Herzinfarkt oder Schlaganfall verursacht. Ausgelöst durch bisher nur ansatzweise verstandene Faktoren bilden sich an der Innenwand der Blutgefäße Fettablagerungen sowie eine chronische Entzündung aus, die sich im Laufe der Zeit verstärkt. Im Spätstadium lagern sich Fettplaques und Kalk ab. Dies kann zur Bildung von Blutgerinnseln und dadurch zum Verschluss des Blutgefäßes führen.
Die zumeist durch die Lebensweise bedingten Ursachen der Atherosklerose sind weitgehend bekannt: hohe LDL-Cholesterinwerte, Fettleibigkeit, Bluthochdruck und Diabetes mellitus sind einige der wichtigsten krankmachenden Faktoren. Jedoch spielen offenbar auch mechanische Kräfte, die durch das fließende Blut auf die Gefäßwand einwirken, eine Rolle. So treten atherosklerotische Veränderungen bevorzugt an den Abschnitten der Blutgefäße auf, an denen das Blut turbulent strömt, beispielsweise an Verzweigungen und an gekrümmten Gefäßverläufen. „Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass an diesen Stellen die als Endothel bezeichnete innerste Zellschicht der Gefäßwand entzündlich verändert sein kann und atherosklerotische Veränderungen daher zunächst vor allem dort auftreten“, sagt Stefan Offermanns, Direktor der Abteilung Pharmakologie am Bad Nauheimer Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung. Dagegen schützt eine gleichförmige, laminare Strömung, wie sie in den relativ geraden Abschnitten der Blutgefäße vorherrscht, das Endothel vor entzündlichen Veränderungen.
Wissenschaftler aus Offermanns‘ Abteilung haben nun erstmals die Prozesse auf molekularer Ebene identifiziert, die durch turbulente Strömung ausgelöst werden. „Interessanterweise ist ein Signalweg beteiligt, der generell über den Blutfluss aktiviert wird, egal ob das Blut turbulent oder laminar strömt“, sagt Julian Albarrán Juárez, Erstautor der Studie. „Blutfluss, egal welcher Art, aktiviert zunächst Piezo1, ein Molekül, das die Scherkräfte des fließenden Blutes erkennt. Dies stößt eine Signalkaskade an, an der auch sogenannte G-Proteine der Gq/G11-Familie beteiligt sind.“
Zweiter Signalweg
Wie die Max-Planck-Forscher im Labor an Kulturen von Endothelzellen zeigen konnten, entscheidet nun ein zweiter, nur durch turbulente Strömung angeschobener Signalweg darüber, ob entzündliche Prozesse ausgelöst werden. Wiederum ist es ein Molekül an der Oberfläche der Endothelzellen, das am Beginn des Signalwegs steht: Schalteten die Wissenschaftler ein Protein namens a5-Integrin in den Endothelzellen gentechnisch aus, zeigte eine turbulente Strömung keinen Effekt und der Signalweg bliebt inaktiv. In Zellen, die a5-Integrin enthalten, lief hingegen eine Signalkaskade an, die eine Initialzündung für die Atherosklerose darstellte.
Für die Wissenschaftler könnte der durch das α5-Integrin aktivierte Signalweg einen Ansatz für zukünftige Therapien darstellen: „Wir möchten nun die Frage beantworten, ob eine spezifische Blockade von Integrinen wie a5-Integrin oder der nachgeordneten Signalwege in der Lage ist, die Entwicklung einer Atherosklerose bereits im Frühstadium aufzuhalten“, so Offermanns. Gelingt dies, hätten die Wissenschaftler eine Möglichkeit gefunden, Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall präventiv zu therapieren.