Bakterieller Untermieter macht Blattnahrung für Käfer verdaulich

Schildkäfer benötigen ein symbiotisches Bakterium für den Abbau pflanzlicher Zellwände

Ein internationales Team unter Beteiligung von Forschern des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena hat jetzt ein Bakterium in einer Blattkäferart beschrieben, das dem Käfer Enzyme zur Verfügung stellt, mit denen die Insekten bestimmte Bestandteile der pflanzlichen Zellwand verdauen können. Das Bakterium weist das kleinste Erbgut aller bislang untersuchten Organismen auf, die außerhalb einer Wirtszelle leben. Das Genom enthält Gene, die für die Bildung von Pektinasen zuständig sind: Enzyme, die das Pektin, ein wesentliches Bauelement der Zellwand, aufbrechen. Die Produktion der Pektinasen ist somit die Hauptaufgabe dieser Bakterien. Ohne die symbiotischen Mikroben könnten die Käfer nicht an die Nährstoffe innerhalb der pflanzlichen Zellen gelangen und somit wohl nicht von Blattnahrung leben.

„Der Ausgangspunkt unserer Studie waren histologische Beschreibungen und Zeichnungen der symbiotischen Organe von Schildkäfern, die der deutsche Zoologe Hans-Jürgen Stammer vor mehr als 80 Jahren anfertigte. Dieser außergewöhnlichen Partnerschaft zwischen Käfer und Bakterium, die Stammer als Besonderheit beschrieb, wollten wir mit modernen molekularbiologischen Untersuchungsmethoden auf den Grund gehen“, erklärt Hassan Salem, der Erstautor der Publikation, der am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie promovierte und derzeit mit einem Feodor-Lynen-Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung an der US-amerikanischen Emory University in Altlanta, Georgia, forscht.

Hans-Jürgen Stammer (1899-1968) erforschte bereits in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts Symbiosen zwischen Insekten und Bakterien. Er musste jedoch feststellen, dass symbiotische Bakterien in der Familie der Blattkäfer (Chrysomelidae)  kaum zu finden sind. Allerdings fand er bei seinen Untersuchungen auch einige Ausnahmen, darunter Arten aus der Unterfamilie der Schildkäfer, wie den Distelschildkäfer (Cassida rubiginosa).  Diese Schildkäferarten sind, wie er in einer Studie 1936 beschrieb, mit ungewöhnlichen Organen ausgestattet. Die Symbiose-Bakterien wohnen in sackartigen Ausstülpungen am Darm der Käfer. Sie werden von weiblichen Käfern über Vaginalschläuche auf die Nachkommen übertragen, indem jedes Käfer-Ei mit einer kleinen Symbiontenhaube versehen wird. Wenn die Larve aus dem Ei schlüpft, frisst sie sich durch die Eischale und verschlingt das Häubchen, das die symbiotischen Bakterien enthält.

Pektin-Abbau mithilfe von Symbiosebakterien

Blattkäfer können Bestandteile der pflanzlichen Zellwand wie Zellulose und Pektin mit Hilfe von Verdauungsenzymen abbauen. Allerdings zeigten genetische Untersuchungen, dass der Distelschildkäfer selbst keine Gene besitzt, die den Bauplan für entsprechende Pektinase-Enzyme enthalten. Die neue Studie zeigt nun, dass dieses Defizit durch die enge Symbiose mit dem Bakterium ausgeglichen wird. Um die Bedeutung der bakteriellen Symbionten für den Käfer zu verstehen, führten die Forscher eine Reihe von Untersuchungen durch, die sie mit Messungen der Enzymaktivität kombinierten. „Als wir die Enzymaktivität in Distelschildkäfern mit und ohne Symbiose-Bakterien verglichen, stellten wir fest, dass Distelschildkäfer ohne Symbionten kein Pektin mehr abbauen konnten, um an die Nährstoffe in den pflanzlichen Zellen zu gelangen. Diese Käfer hatten deutlich geringere Überlebenschancen“, sagt Roy Kirsch vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie.

Die genetische Untersuchung des Symbiose-Bakteriums, das die Forscher in Erinnerung an Stammers Aufzeichnungen in der aktuellen Studie als  „Candidatus Stammera capleta“ vorstellen, erbrachte eine weitere Überraschung. Das Erbgut des Winzlings ist auf wenige hundert Gene reduziert, unter denen einige aber die Produktion und den Transport von Pektinasen regulieren. Entsprechend klein ist das Genom: Mit lediglich ~270.000 Basenpaaren hat das Bakterium das kleinste jemals beschriebene Genom eines Organismus, der außerhalb einer Wirtszelle existiert. Zum Vergleich: Das Darmbakterium Escherichia coli, das im Darm vieler Tiere einschließlich des Menschen anzutreffen ist, hat beispielsweise 4.600.000 Basenpaare, ist also 17-mal so groß. Ein noch kleineres Genom als das des Käfer-Symbionten wurde bislang nur in Bakterien gefunden, die innerhalb von Zellen ihrer Wirte leben.

Arbeitsteilung im Käferdarm

Die Symbiose zwischen Käfer und Bakterium erstaunt durch eine sehr klare Arbeitsteilung. „Der Käfer besitzt die Gene, die für die Bildung von Enzymen verantwortlich sind, die Zellulose verdauen, während der Symbiont Pektinasen zur Verfügung stellt. Zusammen haben sie alle notwendigen Enzyme, um die pflanzliche Zellwand abbauen zu können. Besonders an dieser Symbiose ist, dass wir erstmals ein spezialisiertes symbiotisches Bakterium beschreiben konnten, dessen primäre oder sogar einzige Aufgabe die Herstellung von Pektin abbauenden Enzymen ist“, fasst Hassan Salem zusammen.

Dass es heute viele pflanzenfressende Tiere gibt, ist eine Folge von Anpassungen, die sich im Laufe der Evolution herausgebildet haben. An vielen dieser Anpassungen sind tatsächlich Mikroorganismen maßgeblich beteiligt. Die Distelschildkäfer sind dafür ein beeindruckendes Beispiel. Ohne Pektinasen kommen sie nicht an die Nährstoffe in den Pflanzenzellen. Die Herstellung dieser Enzyme haben sie allerdings vollständig an einen Dienstleister ausgelagert: ein Bakterium, das in speziellen Organen am Darm haust.

In vielen Blattkäferarten sind die Gene, die für die Bildung von Verdauungsenzymen für den Abbau pflanzlicher Zellwandbestandteile verantwortlich sind, ursprünglich über einen horizontalen Gentransfer von Pilzen und Bakterien in das Erbgut der Vorfahren dieser Insekten gelangt. „Es ist wirklich faszinierend, wie unterschiedlich Insekten das Problem gelöst haben, die Zellwand einer Pflanze aufzubrechen. Warum sich manche Insekten dafür Gene aus Mikroorganismen angeeignet haben, während andere die Aufgabe Symbionten überlassen, ist eine spannende Frage für zukünftige Untersuchungen“, sagt Martin Kaltenpoth von der Universität Mainz.

AO/HR

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