Weniger Stress, mehr soziale Kompetenz

Auch Erwachsene können soziale Fähigkeiten wie Empathie und Perspektivenübernahme auf andere trainieren

Das menschliche Gehirn ist in der Lage, sich ein Leben lang zu verändern und an neue Verhältnisse anzupassen. Wissenschaftler bezeichnen diese Fähigkeit als Plastizität. Bisher war unklar, inwieweit sie auch die Bereiche des Gehirns umfasst, die unser Sozialverhalten steuern. Um das zu erforschen, hat ein Forschungsteam um Tania Singer, Direktorin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, mentale Trainingsmethoden für soziale Fähigkeiten entwickelt und deren Effekte auf das Verhalten der Teilnehmer, deren Hirnstrukturen und Hormonhaushalt gemessen. Zwei wesentliche Ergebnisse sind nun in der Fachzeitschrift Science Advances erschienen.

Meditation ist gut für Körper und Geist. Was nach einer überlieferten Weisheit klingt, ist bereits mehrfach in Studien zum Effekt von Achtsamkeitstrainings belegt worden. Unter den Schlagwörtern Meditation und Achtsamkeit verbergen sich jedoch viele unterschiedliche Arten der mentalen Technik, die sich auf die Kultivierung verschiedenster Fähigkeiten beziehen können. Trotz des wachsenden Interesses an der Meditationsforschung ist es noch unklar, welche mentalen Trainingsmethoden besonders geeignet sind, um Aufmerksamkeit und Achtsamkeit, aber auch soziale Fähigkeiten wie Mitgefühl oder kognitiven Perspektivenwechsel zu fördern.

Eine weitere zentrale Frage ist, inwieweit diese verschiedenen Methoden der Geistesschulung bei erwachsenen Menschen strukturelle Gehirnveränderungen in denjenigen Netzwerken bewirken, die den trainierten Fähigkeiten zugrundliegen. Auch stellt sich die Frage, welche der mentalen Techniken am effizientesten psycho-sozialen Stress auf hormoneller Ebene reduzieren. Um all diese Fragen zu beantworten, untersuchten Forscher der Abteilung Soziale Neurowissenschaft am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig unter der Leitung von Tania Singer in einem großangelegten Projekt, dem ReSource-Projekt, wie sich verschiedene Meditationstechniken auf Gehirn und Körper, geistige und soziale Fähigkeiten auswirken.

Neue Meditationstechnik zu zweit

Für das ReSource-Projekt entwickelte Tania Singer zusammen mit internationalen Experten drei jeweils dreimonatige Trainingseinheiten, in denen der Fokus stets auf einem bestimmten Fähigkeitsbereich lag. Das erste Modul konzentrierte sich besonders auf die Faktoren Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Die Teilnehmer übten während der hier angewendeten klassischen Meditationen, sich rein auf ihre Atmung, ihre Sinneseindrücke oder einzelne Bereiche ihres Körpers zu konzentrieren, jeder für sich allein.

Ein zweites Modul stand im Zeichen von sogenannten sozio-affektiven Fähigkeiten wie Mitgefühl, Dankbarkeit und dem Umgang mit schwierigen Gefühlen. Das Besondere dabei: Im Gegensatz zum Aufmerksamkeitstraining kam hier eine neue Technik zum Einsatz, bei der zwei Personen gemeinsam trainieren. In Partner-Übungen, sogenannten kontemplativen Dyaden, tauschten sie sich hochkonzentriert über ihre Gefühle aus, um so Nähe, Dankbarkeit, den Umgang mit täglichen Stressoren sowie ihr Einfühlungsvermögen zu schulen.

Im dritten Modul kultivierten die Teilnehmer ihre sozialen, genauer gesagt ihre sozio-kognitiven Fertigkeiten, insbesondere die Fähigkeit zur Perspektivübernahme, das heißt eine Vogelperspektive auf eigene und fremde Denkmuster einzunehmen. Auch hier trainierten die Teilnehmer zusätzlich zu den klassischen Meditationen in Dyaden. Dazu schlüpften sie gedanklich in die Rolle eines ihrer inneren Persönlichkeitsanteile – sei es die innere besorgte Mutter, das neugierige Kind oder der strenge Richter – und schilderten eine Situation aus deren Perspektive. Während also der Sprecher sich darin schulte, sich selbst besser zu verstehen, übte der Zuhörer sich darin, sich in die Perspektive und Gedankenwelt eines anderen hineinzuversetzen. Das Konzept der inneren Anteile bezieht sich hier auf die Arbeit von Richard Schwarz im Modell des „Inneren Familien-Systems“, welches von einer Vielzahl innerer Persönlichkeitsanteile bei jedem Menschen ausgeht. Die Teilnehmer der Studie erarbeiteten sich unter Anleitung der Trainer ihre jeweiligen Anteile als notwendige Übungsgrundlage.

Geübt wurde an sechs Tagen pro Woche, 30 Minuten täglich. Nach jeder der drei Einheiten untersuchten die Forscher trainingsbedingte Veränderungen der Teilnehmer mithilfe von Verhaltenstests. Zudem maßen sie mittels Magnetresonanztomographie (MRT) Veränderungen in der Hirnstruktur und kontrollierten das Stresssystem anhand zahlreicher Biomarker wie zum Beispiel der Menge des Stresshormons Cortisol im Speichel.

Jede Technik hat ihre eigenen Effekte auf die Gehirnplastizität

Und tatsächlich: „Je nachdem, welche mentale Trainingsmethode über drei Monate angewendet wurde, veränderten sich sowohl die Hirnstruktur in den assoziierten Bereichen als auch die dazugehörigen Verhaltensweisen. Das heißt, die Testpersonen zeigten nach dem ersten Trainingsmodul einen Zuwachs der Großhirnrinde, dem Cortex, in den Bereichen, die für die Aufmerksamkeit zuständig sind. Gleichzeitig hatte sich auch ihre Aufmerksamkeit in Computertests erhöht, hingegen ihr Mitgefühl oder ihre Fähigkeit zum Perspektivwechsel nicht. Dafür bedurfte es der sozialen Trainingsmodule“, erklärt Sofie Valk, Erstautorin der zugrundeliegenden Publikation, die im Fachmagazin Science Advances erschienen ist.

„Bei den beiden anderen Modulen, die entweder sozio-emotionale oder sozio-kognitive Fähigkeiten trainierten, beobachteten wir, dass sich in der Tat selektiv das Mitgefühl oder die kognitive Perspektivübernahme steigern ließen und dass diese verbesserten Sozialkompetenzen mit erhöhter Dicke des Cortex in den Regionen einhergingen, die Mitgefühl oder Perspektivwechsel verarbeiten“, so die gebürtige Niederländerin.

„Obwohl die Erforschung von der sogenannten Plastizität des Gehirns, also seiner Trainier- und Veränderbarkeit in den Neurowissenschaften schon immer eine zentrale Rolle spielte, wusste man bisher kaum etwas über die Plastizität des sozialen Gehirns“, erklärt Tania Singer, Leiterin des ReSource-Projekts. Unsere Befunde zeigen nun eindrücklich, dass kurzes und gezieltes tägliches mentales Training bei erwachsenen Menschen noch strukturelle Veränderungen im Gehirn bewirken kann, und dies wiederum zur Steigerung der sozialen Intelligenz führt. Da Eigenschaften wie Empathie, Mitgefühl und Perspektivwechsel essenziell für gelungene soziale Interaktionen sowie Konfliktlösung und Kooperation sind, könnten diese Befunde eine hohe Relevanz für unser Bildungssystem haben".

Auch der Stress verringert sich je nach Methode

Die verschiedenen Formen mentalen Trainings scheinen sich dabei nicht nur unterschiedlich auf unser Gehirn sondern auch auf unser Stresslevel auszuwirken. „Wir entdeckten, dass die Teilnehmer in einem Test, bei dem sie einer stressigen Leistungssituation ausgesetzt sind, bis zu 51 Prozent weniger des Stresshormons Cortisol ausschütteten - jedoch in Abhängigkeit von der zuvor trainierten mentalen Technik.“, erklärt Veronika Engert, Erstautorin einer weiteren aktuellen Publikation in Science Advances, die sich mit dem Zusammenhang zwischen mentalem Training und der akuten Stressreaktion beschäftigte. „Die beiden auf soziale Fähigkeiten fokussierten Trainingsmodule senkten die Cortisol-Konzentration deutlich.

Das allein praktizierte Modul zur Steigerung der Aufmerksamkeit und Achtsamkeit verminderte sozialen Stress auf hormoneller Ebene hingegen nicht. Wir vermuten, dass der Stresslevel besonders durch die täglichen zehnminütigen sozialen Interaktionen in den Dyaden-Übungen gesenkt wurde. Sich regelmäßig einer fremden Person gegenüber zu öffnen und zu lernen, vourteilsfrei einem anderen zuzuhören, hat wahrscheinlich zu einer Art sozialer Stress-Immunisierung geführt, da sozialer Stress ja vor allem durch die Angst vor negativer Fremdbeurteilung zustande kommt. Das gezielte Trainieren gesteigerter Aufmerksamkeit scheint diese Art des sozialen Stresses hingegen nicht zu reduzieren.“

Das Interessante dabei: Subjektiv betrachtet empfanden die Probanden nach jeder der drei Trainingseinheiten weniger Stress. Objektiv gesehen, das heißt gemessen an ihrem Cortisolspiegel, ist ihr Stresslevel jedoch lediglich signifikant gesunken, wenn die Teilnehmer im Rahmen der sozialen Trainingseinheiten in Interaktion mit anderen traten und intersubjektive Fähigkeiten schulten.

„Der Blick ins Gehirn, auf das Verhalten und auf die Stressantwort der Teilnehmer zeigt nicht nur, dass sich soziale Fähigkeiten üben und Stress reduzieren lassen. Er offenbart auch, dass sich unterschiedliche Formen des mentalen Trainings ganz unterschiedlich auf Gehirn, Gesundheit und Verhalten auswirken können“, erklärt Studienleiterin Tania Singer. „Wenn wir genau wissen, welche Meditationen und mentalen Techniken welche Effekte haben, können wir sie viel präziser in Trainingsprogrammen einsetzen, um unsere geistige und körperliche Gesundheit zu fördern.“ So würden die Ergebnisse etwa zeigen, dass derzeit oft angewendete basale Achtsamkeitstechniken zwar die geeignete Methode sind, um die eigene Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit in verschiedenen kognitiven Bereichen zu steigern. Wem es jedoch darum geht, im Alltag weniger anfällig auf sozialen Stress zu reagieren oder aber seine Sozialkompetenzen wie Empathie, Mitgefühl und Perspektivübernahme zu steigern, der sollte andere mentale Trainingstechniken anwenden, die einen stärkeren Fokus auf das „Wir“ und die soziale Verbundenheit zwischen uns Menschen setzen.

Das ReSource-Projekt untersucht, wie verschiedene Formen mentalen Trainings dazu beitragen können, soziale, emotionale und geistige Fähigkeiten zu fördern, und wie sich das wiederum auf Gesundheit, Körper und Gehirn auswirkt. Es ist das weltweit größte Projekt seiner Art.

Mehr dazu:

Tania Singer im Interview: "Ein mentales Training, um toleranter Weltbürger zu werden"

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