Leseproben aus dem Jahrbuch 2017
Unser Jahrbuch 2017 bündelt Berichte über Forschungsarbeiten der Max-Planck-Institute und vermittelt anschaulich die Vielfalt an Themen und Projekten. Wir haben sieben Beiträge ausgewählt.
Wirkstoffe gegen Parkinson
Neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson gehen mit Proteinklumpen einher, die sich in den Nervenzellen ablagern und stark toxisch wirken. Die betroffene Zelle büßt ihre Funktion ein und geht zugrunde. Im Fall der Parkinson-Erkrankung verklumpt das Protein alpha-Synuclein zu Lewy-Körperchen. Die Krankheit ist bislang nicht heilbar. Forscher suchen daher seit langem nach Therapien, die nicht nur auf die Symptome abzielen, sondern die Ursachen bekämpfen. Ein Team um Christian Griesinger am MPI für biophysikalische Chemie hat in Kooperation mit dem Team von Armin Giese an der LMU eine Substanz entdeckt, die direkt am Protein ansetzt und die Verklumpung hemmt. Der oral verfügbare Wirkstoff namens anle138b erwies sich im Mäuseversuch als vielsprechend: An Parkinson erkrankte Nager, die damit behandelt wurden, schnitten in Bewegungsexperimenten deutlich besser ab als ihre unbehandelten Artgenossen. Ab 2017 soll das Präparat in einer Phase-1-Studie am Menschen getestet werden.
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Raketentreibstoff in Bakterien
Ob als Bestandteil von Proteinen oder der Erbsubstanz – ohne Stickstoff gäbe es kein Leben. Im Stickstoffkreislauf wird das Element ständig umgewandelt und zwischen organischer Materie und Atmosphäre ausgetauscht. Einer der wichtigsten chemischen Schritte in diesem Kreislauf wurde erst in den 1990er-Jahren entdeckt: der Anammox-Prozess. Bestimmte Bakterien nutzen ihn, um aus Ammoniak und Nitrit molekularen Stickstoff herzustellen. Als Zwischenprodukt entsteht Hydrazin, eine extrem reaktionsfreudige Verbindung, die auch als Raketentreibstoff dient. Wie die Mikroben mit der brisanten Fracht umgehen beschäftigt Thomas Barends und seine Kollegen am MPI für medizinische Forschung. Im Fokus der Forscher steht das Enzym Hydrazinsynthase, das aus Ammoniak und Stickstoffmonoxid Hydrazin herstellt. Es besteht aus zwei aktiven Zentren, die über ein Tunnelsystem verbunden sind. Damit gleicht es einer Fabrik im Miniaturformat – inklusive Reaktionsgefäßen und Chemikalienleitungen.
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Gentechnik an der Wurzel gepackt
Woher weiß eine Pflanze, wann sie etwa Früchte bilden soll? Um dies zu steuern, müssen unterschiedliche Pflanzenteile miteinander kommunizieren. Eine wichtige Rolle dabei spielen mobile Messenger-Ribonukleinsäuren (mRNAs). Diese kleinen Signalmoleküle werden über die Leitbündel transportiert und an ihrem Zielort in Proteine übersetzt. Mehr als 2000 individuelle mRNAs haben Forscher bereits entdeckt. Friedrich Kragler und sein Team am MPI für molekulare Pflanzenphysiologie versuchen, die Signale zu entschlüsseln – entscheidend auch für die Pflanzenzucht: Viele Früchte, die wir essen, stammen von veredelten Pflanzen. Dabei werden die Früchte tragenden Teile einer bestimmten Sorte auf einen genotypisch andersartigen Wurzelstock gepfropft, um etwa den Ertrag zu steigern. Eine transgen veränderte Wurzel kann somit mRNA-Botschaften an eine nicht-transgene Blüte senden. So ließen sich die Pflanzen hochspezifisch modifizieren, ohne gentechnisch veränderte Früchte zu produzieren.
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Planet bei Proxima Centauri entdeckt
Proxima Centauri ist mit einer Entfernung von vier Lichtjahren der sonnennächste Stern. Mitte 2016 haben Astronomen, zu denen auch Martin Kürster vom Heidelberger MPI für Astronomie gehört, einen Planeten entdeckt, der Proxima Centauri alle 11,2 Tage in einem Abstand von sieben Millionen Kilometern umläuft. Der Planet, der etwa 1,3 Erdmassen schwer ist, befindet sich in einer Zone, in der es möglicherweise flüssiges Wasser und, bei Vorhandensein einer geeigneten Atmosphäre, die richtigen Bedingungen für Leben geben könnte. Allerdings gibt es zwei Einflüsse, die die Entstehung von Leben auf diesem Planeten vermutlich erschweren: Wahrscheinlich wendet der Planet seiner Sonne immer die gleiche Seite zu, so dass auf der einen Seite ewiger Tag, auf der anderen ewige Nacht herrscht. Außerdem ist Proxima Centauri ein sehr aktiver Stern: Er erzeugt zeitweise hochenergetische Strahlung, die den Planeten trifft – auch das eher ungünstige Voraussetzungen für Leben.
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Neuer Mechanismus der Lichtleitung
Wissenschaftlern um Philip Russell, Direktor am MPI für die Physik des Lichts in Erlangen, ist es das erste Mal gelungen, Licht durch eine kernlose Faser zu leiten. Glasfasern enthalten normalerweise einen lichtleitenden Kern, dessen Glas einen höheren Brechungsindex hat als das Glas der äußeren Hülle. Dadurch wird das Licht an der Hülle reflektiert und im Kern gehalten. Die Wissenschaftler erforschen photonische Kristallfasern, eine spezielle Art von Glasfasern, die regelmäßige Hohlräume aufweisen. Verdreht man diese Fasern entlang ihrer Längsachse, ist das Licht gezwungen, sich auf einer schraubenförmigen Bahn auszubreiten. Zur überraschung der Wissenschaftler zeigte sich, dass durch das Verdrehen auch kernlose photonische Kristallfasern in der Lage sind, Licht robust zu leiten. Die Wissenschaftler zeigten ebenfalls, dass es eine enge Verbindung zwischen dem Leitungsmechanismus und der Krümmung eines Raumes durch eine Masse in Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie gibt.
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Steueroasen unter Druck
Die Bekämpfung von Steueroasen ist seit Jahren auf der Tagesordnung der OECD und der G-20-Länder. Der Kampf gegen die Steuerflucht gestaltet sich allerdings schwierig. Der Finanzwissenschaftler Kai Konrad und sein Doktorand Tim Stolper vom MPI für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen haben die Rolle der Erwartungen der Anleger untersucht. Sie zeigen, dass mehrere Gleichgewichte unterschiedlicher Erwartungen existieren, die maßgeblich über den Fortbestand einer Steueroase bestimmen. Mithilfe eines Ansatzes aus der angewandten Spieltheorie leiten Konrad und Stolper eine eindeutige Gleichgewichtsprognose ab, deren wirtschaftspolitische Implikationen die Anreize für die individuellen Steuerzahler in den Vordergrund rücken. So hängt die Wirksamkeit des internationalen Drucks beispielsweise sehr davon ab, wie hoch die Gebühren für die Vermögensverwaltung in der Steueroase sind. Der Druck ist besonders wirksam, wenn die Gebühren sehr niedrig oder sehr hoch sind.
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Globale Tierrechtswissenschaft
Tierschutz durch Recht hat in Europa einen hohen Stellenwert. Das Tierwohl wurde im Recht der Europäischen Union in den vergangenen Jahren aufgewertet und Tierschutz 2002 als Staatsziel in das deutsche Grundgesetz aufgenommen. Auch heben immer mehr Staaten die Gleichsetzung von Tieren und Sachen im Recht auf. über das Tierschutzrecht hinaus geht es Rechtswissenschaftlern nun darum, ein neues Rechtsgebiet des „Globalen Tierrechts“ abzustecken und auszufüllen. Anne Peters und ihre Mitarbeiterin Saskia Stucki vom MPI für Völkerrecht in Heidelberg verfolgen die Forschungsagenda einer globalen Tierrechtswissenschaft. Rechtswissenschaft wird hier als eine gesellschaftsbezogene Wissenschaft verstanden, die zur Bekämpfung sozialer Missstände beitragen soll. Da Tierproduktion und Tierhandel meistens transnational sind, muss hierauf mit globalem Recht reagiert werden, also mit einer Kombination von internationalem und nationalem Recht.