Forschungsbericht 2016 - Max-Planck-Institut für Astronomie
Planet in habitabler Zone um erdnächsten Stern entdeckt
In einer Entfernung von knapp mehr als vier Lichtjahren ist Proxima der nächste Stern außerhalb unseres Sonnensystems und damit schon lange ein Liebling der Science Fiction-Autoren. Ebenso interessant ist der Stern für all diejenigen, die sich für die längerfristige Zukunft der Raumfahrt interessieren. Aber eine Raumsonde in Richtung eines fernen Sterns zu schicken ist die eine Sache – noch weit interessanter ist es, wenn der Stern einen Planeten besitzt. Insbesondere falls es sich um einen Planeten handelt, der möglicherweise die richtigen Bedingungen für die Entstehung von Leben bieten könnte.
Neue Beobachtungen einer Gruppe von Astronomen unter Leitung von Guillem Anglada-Escudé (Queen Mary University of London) haben jetzt genau dies gefunden: einen Planeten, der Proxima Centauri mit einer Umlaufzeit von 11,2 Tagen umkreist, in einer Entfernung von nur 7 Millionen Kilometern vom Stern (entsprechend 5% der durchschnittlichen Entfernung von der Erde zur Sonne, und einem Achtel vom Sonnenabstand des Merkur) (Abb. 1).
Der indirekte Nachweis gelang mithilfe der Radialgeschwindigkeitsmethode, die es Astronomen erlaubt, eine untere Grenze für die Masse des Planeten abzuschätzen. Die Minimalmasse stellt zugleich einen guten Schätzwert für die Masse des Planeten dar. Für Proxima Centauri b ergibt sich auf diese Weise eine Masse von nur 1,3 Erdmassen.
Ist Proxima Centauri b lebensfreundlich?
Aus dem Umstand, dass Proxima Centauri b eine der Erdmasse vergleichbare Masse besitzt, folgt zwar noch lange nicht, dass auf diesem Planeten geeignete Bedingungen für Leben herrschen. Aber trotz seiner großen Nähe zu seinem Heimatstern befindet sich dieser Planet immerhin in der Region, die in der Astronomie habitable Zone genannt wird. Auf Planeten in der habitablen Zone rund um den Heimatstern können im Prinzip Temperaturen herrschen, welche die Existenz von flüssigem Wasser erlauben – eine entscheidende Voraussetzung für Leben, wie wir es von der Erde her kennen.
Grund dafür ist, dass es sich bei Proxima Centauri um einen sogenannten roten Zwergstern handelt (Spektraltyp M5.5Ve). Solche Sterne sind deutlich masseärmer und leuchtschwächer als unsere Sonne: Proxima besitzt nur rund 12% der Masse der Sonne und 0,17% ihrer Leuchtkraft. Zwischen 70 und 80 Prozent aller Sterne in der Nachbarschaft unseres Sonnensystems sind rote Zwerge und dieser Häufigkeitswert dürfte auch für den Rest unserer Heimatgalaxie repräsentativ sein.
Andererseits ist wahrscheinlich, dass die Nähe des Planeten Proxima Centauri b zu seinem Stern zu gebundener Rotation führt, also dazu, dass der Planet dem Stern immer dieselbe Seite zuwendet. Auf dieser Hälfte des Planeten würde damit ewiger Tag herrschen, mit entsprechend hohen Temperaturen, und auf der anderen ewige Nacht. Es ist unklar, wie Leben unter solchen ungünstigen Bedingungen entstehen kann.
Ungemütliche Umweltbedingungen
Rote Zwerge mit einem Drittel oder weniger der Sonnenmasse sind komplett konvektiv: ihre Materie ist unaufhörlich in Bewegung ähnlich jener in einem Topf kochenden Wassers, das durch intensives Brodeln komplett durchmischt wird.
Ein beträchtlicher Anteil roter Zwerge, darunter auch Proxima Centauri, besitzt außerdem vergleichsweise starke Magnetfelder und weist erhebliche stellare Aktivität auf. Dabei entstehen immer wieder sogenannte Flares: plötzliche Freisetzungen von magnetischer Feldenergie, die zu kurzen, deutlichen Anstiegen der Sternhelligkeit führen.
Die stellare Aktivität des Sterns führt außerdem zu hochenergetischen Teilchen und zu Röntgenstrahlung, die den Planeten bombardieren – auch das sind ungünstige Voraussetzungen für Leben auf Proxima Centauri b.
Konkretere Informationen über die Umweltbedingungen auf Proxima Centauri b sollten sich aus zusätzlichen Beobachtungen ergeben, wie sie die Entdeckung des neuen Planeten nach sich ziehen dürfte. Ein möglicher Nachweis von Leben, oder zumindest von chemischen Eigenschaften, welche die Existenz von Leben auf dem Planeten nahelegen, dürfte zwar noch einige Jahrzehnte auf sich warten lassen. Bis dahin sind die Beobachtungsergebnisse aber durchaus auch von allgemeinerem Interesse – nämlich als Möglichkeit, Näheres über einen Planeten zu erfahren, der einen Vertreter der häufigsten Sternsorte in unserer Galaxis umkreist. Für Astronomen, die sich für die Systematik der Planetenentstehung in unserer Heimatgalaxie interessieren, ein hochinteressantes Studienobjekt.
Eine geduldige Suche
Entdeckungen von Exoplaneten, also von Planeten um andere Sterne als die Sonne, sind heutzutage so häufig, dass bei weitem nicht mehr über jede davon in den Massenmedien berichtet wird. Mehr als 3.500 Exoplaneten haben Astronomen mittlerweile gefunden. Das legt die Frage nahe, warum Proxima Centauri b, unser neuester nächster Nachbar, nicht schon deutlich früher entdeckt wurde. Tatsächlich gibt es eine Kombination von Gründen für die späte Entdeckung.
Die meisten Entdeckungen von Exoplaneten gehen auf das Konto des NASA-Weltraumteleskops Kepler. Dieses Teleskop kann die Helligkeit vieler verschiedener Sterne mit großer Genauigkeit bestimmen. Planeten, deren Umlaufbahnen genau so orientiert sind, dass sie aus Sicht eines Beobachters auf der Erde vor ihren Heimatsternen vorbei laufen, schatten regelmäßig einen kleinen Teil ihres Sterns ab. Astronomen, die Sternhelligkeiten überwachen, können in solchen Fällen nachweisen, dass der entsprechende Stern in für solche Planetendurchgänge charakteristischer Weise vorübergehend etwas an Helligkeit verliert. Auch bei Proxima Centauri haben Astronomen in der Vergangenheit nach solchen systematischen Helligkeitsschwankungen gesucht, allerdings ohne Erfolg. Das schloss freilich nicht aus, dass Proxima einen Planeten besitzt, sondern zeigt nur, dass es dort keinen hinreichend großen Planeten gibt, der von der Erde aus gesehen genau vor Proxima vorbeiläuft.
Jüngst schuf ein seltenes Zusammentreffen sogar die Möglichkeit für eine ungewöhnliche Form des möglichen Nachweises von Exoplaneten: Im Oktober 2014 und Februar 2016 zog Proxima Centauri von der Erde aus gesehen sehr nahe vor je einem anderen, weiter entfernten Stern vorbei. Dabei hätte der sogenannte Mikro-Gravitationslinseneffekt zum Tragen kommen können: Besäße Proxima einen Planeten, der im entscheidenden Moment direkt vor einem der entfernteren Sterne vorübergezogen wäre, hätte die Masse des Planeten das Licht des Sterns abgelenkt und verstärkt – eine plötzliche, kurze Helligkeitszunahme auf Grundlage von Einstein’s Allgemeiner Relativitätstheorie. Dass auch dieser Nachweis nicht gelang heißt allerdings nicht, dass Proxima keinen Planeten besitzt, sondern nur, dass ein etwaiger Planet nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort war.
Die Suche nach winzigen Schwankungen
Damit bleibt eine weitere Standardmethode für den Nachweis von Exoplaneten übrig: die Radialgeschwindigkeitsmethode, die winzige Hin- und Herbewegungen des Sterns nachweist, wie sie sich ergeben, wenn ein Stern und ein Planet unter Einfluss der Schwerkraft um ihren gemeinsamen Schwerpunkt kreisen. Analog dazu, wie das Martinshorn eines Feuerwehr- oder Polizeiwagens allmählich seine Tonhöhe ändert, wenn solch ein Einsatzfahrzeug am Beobachter vorbeifährt, werden die Frequenzen von Sternenlicht ein wenig hin zum blauen Ende des Spektrums verschoben, wenn sich der Stern auf die Erde zu bewegt, und zum roten Ende hin, wenn sich der Stern von der Erde entfernt.
Die Spektren von Sternen – regenbogenähnliche Zerlegungen des Sternenlichts in unzählige Farbtöne, entsprechend unterschiedlichen Wellenlängen/Frequenzen – enthalten charakteristische Muster von tausenden von schmalen, dunklen Linien. Präzisionsmessungen, die zeitabhängige Blau- und Rotverschiebungen der Linien nachweisen, können die langsame, durch den umkreisenden Planeten hervorgerufene Bewegung des Sterns nachweisen und so einen indirekten Hinweis auf die Anwesenheit des Planeten geben.
Auch an Proxima Centauri wurden über die vergangenen Jahrzehnte hinweg entsprechende Messungen vorgenommen, freilich wiederum ohne, dass ein Planet hätte nachgewiesen werden können. Allerdings hängt das Ausmaß der Sternbewegung von der Masse des Planeten und vom Abstand zwischen Planet und Stern ab. Die erfolglosen Messungen können daher nur ausschließen, dass Proxima einen Planeten mit einer bestimmten Mindestmasse und in einem bestimmten Abstandsbereich vom Stern besitzt.
Die Sternbewegung, die der jetzt tatsächlich mit dieser Methode entdeckte Proxima Centauri b mit seiner vergleichsweise kleinen Masse hervorruft, liegt nahe der Messgrenzen heutiger astronomischer Instrumente. Sie kann nur mit einem Spektrografen nachgewiesen werden, der über Jahre hinweg konsistente, genaue Messungen vornehmen und Proxima hinreichend oft zu unterschiedlichen Zeiten beobachten kann.
Geduld und Genauigkeit
Die erste der Voraussetzungen erfüllt der Spektrograf HARPS am 3,6-Meter-Teleskop am La Silla-Observatorium der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile auf alle Fälle. Der Spektrograf wurde direkt auf die Erfordernisse der Planetenjagd mithilfe der Radialgeschwindigkeitsmethode hin ausgelegt und liefert seit 2003 zuverlässige und genaue Messwerte.
Im Jahre 2013 beobachteten Guillem Anglada-Escudé, der zu jener Zeit an der Universität Göttingen tätig war, und Kollegen den Stern Proxima Centauri mit HARPS und fanden Hinweise auf die mögliche Existenz von Planeten mit Umlaufzeiten von 11,2, 13,6 oder 18,3 Tagen. Die Daten waren allerdings nicht aussagekräftig genug, um definitiv auf die Existenz eines Planetenkandidaten schließen zu können. Die Astronomen konnten nicht ausschließen, dass es sich um einen Fall von falschem Alarm handelte: um Störeinflüsse, die das Vorhandensein eines Planeten lediglich vorspiegelten.
Die Daten reichten allerdings aus um Anglada-Escudé davon zu überzeugen, dass er eine gezielte Suche nach Planeten bei Proxima organisieren sollte. Er nannte sein Projekt „Pale Red Dot“ (nach der Bezeichnung „Pale Blue Dot“, bleicher blauer Punkt, die Carl Sagan einmal für den Blick von Ferne auf unsere Erde verwandte) und beantragte geeignete Beobachtungszeit für den Spektrografen HARPS. Unterstützt würde die Suche durch verschiedene kleinere Teleskope, welche die Helligkeit von Proxima überwachen und es so ermöglichen sollten, den Einfluss möglicher stellarer Aktivität besser zu berücksichtigen. Die HARPS-Messungen fanden an stolzen 54 Nächten zwischen dem 18. Januar und dem 30. März 2016 statt.
Anglada-Escudé, der zu jenem Zeitpunkt bereits an die Queen Mary University of London gewechselt hatte, traf dabei von Anfang an Vorbereitungen, um die Öffentlichkeit an seinem Projekt teilhaben zu lassen: auf den „Pale Red Dot“-Webseiten mit erklärenden Blogbeiträgen und mit weiteren Beiträgen, welche die Kampagne auf den sozialen Medien begleiteten.
Mit Fortgang der Beobachtungen zeigten sich immer stärkere Anzeichen für die Existenz eines Planeten. Guillem Anglada-Escudé sagt: „Ich habe die Beobachtungsdaten nach jeder Beobachtungsnacht unserer Pale-Red-Dot-Kampagne auf ihre Stimmigkeit überprüft. Die ersten zehn Nächte waren dabei bereits vielversprechend, die ersten zwanzig entsprachen unseren Erwartungen und nach 30 Nächten war das Ergebnis so sicher, dass wir uns daran machten, den entsprechenden Fachartikel zu entwerfen!“ (Abb. 2)
Planet oder stellare Aktivität?
Allerdings galt dabei auch: Weil der rote Zwerg Proxima Centauri aktiv ist und ein starkes Magnetfeld besitzt, erwarten die Astronomen, dass in seiner Atmosphäre häufig dunkle, kühlere Flecken auftreten sollten - die rote-Zwerg-Version der Sonnenflecken, die man durch ein (fachgerecht abgeschirmtes) Teleskop auf unserer Sonne beobachten kann. Solche Flecken beeinflussen die Radialgeschwindigkeitsmessungen: Sie verändern das Spektrum und können im ungünstigsten Falle die Anwesenheit eines Planeten vorspiegeln, wo gar keiner existiert.
Um die Beobachtungen abzusichern, müssen solche Effekte gebührend berücksichtigt werden. Ausgerechnet das Alpha-Centauri-System, ein Doppelstern das so nahe an Proxima steht, dass Proxima sogar der dritte Stern im Bunde sein könnte, bietet ein mahnendes Beispiel: Zwischen 2012 und 2015 waren zahlreiche Astronomen der Überzeugung, der erdnächste Planet außerhalb unseres Sonnensystems sei Alpha Centauri Bb, im Umlauf um Alpha Centauri B. Inzwischen herrscht breiter Konsens, dass es sich um einen Fehlnachweis handelte – eine Auswertung, die zeigt, wie schwierig es ist, Radialgeschwindigkeitsschwankungen aufgrund eines Planeten sauber von den diversen anderen Störeinflüssen (eben zum Beispiel Sternflecken) zu trennen.
Im Falle von Proxima Centauri ergibt sich letzte Sicherheit (soweit dies in der Wissenschaft möglich ist) aus älteren Beobachtungen, die Martin Kürster vom Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) und sein ehemaliger Doktorand Michael Endl (derzeit an der University of Texas at Austin) durchgeführt und gemeinsam mit Kürsters ehemaligem Doktoranden Mathias Zechmeister (damals am MPIA, jetzt an der Universität Göttingen) analysiert hatten. Die Beobachtungen waren Teil einer systematischen Suche nach Begleitern von M-Zwergen (wie Astronomen rote Zwergsterne nennen), vorgenommen im Zeitraum von 2000 bis 2007 mit dem UVES-Spektrografen am Very Large Telescope (VLT) der ESO.
Martin Kürster sagt: „Bereits in unseren alten Messungen zeigte sich ein Signal, das einem Planeten mit Umlaufdauer 11,2 Tagen entspricht. Aber es ist allein mit unseren Daten nicht möglich zu entscheiden, ob das Signal tatsächlich von einem Planeten stammt oder durch eine zufällige Kombination von Störeinflüssen entstanden ist. Kombiniert man unsere Daten dagegen mit den neuen Messungen, dann bestätigt sich, dass die Pale-Red-Dot-Kampagne tatsächlich einen echten Planeten gefunden hat. Ein Störsignal auf der Basis stellarer Aktivität wäre über die vergangenen 17 Jahre unmöglich so konstant geblieben.“
Hintergrundinformationen
Die hier beschriebenen Ergebnisse werden als G. Anglada-Escudé et al., „A terrestrial planet candidate in a temperate orbit around Proxima Centauri“, in der Ausgabe der Fachzeitschrift Nature vom 25. August 2016 veröffentlicht.
Zu den Koautoren gehören auch Martin Kürster vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, Michael Endl von der University of Texas at Austin und vom McDonald Observatory, Austin, Texas, USA, sowie Mathias Zechmeister (Universität Göttingen, ehemaliger Doktorand von Kürster am MPIA) deren Daten aus dem UVES/ESO M-Zwerg-Programm bei der Auswertung verwendet werden.
Weitere Bilder und Videos stehen zur Verfügung auf der
Video: AstroViews 17
herausgegeben von der Zeitschrift „Sterne und Weltraum“ und hergestellt von Dr. Klaus Jäger, Max-Planck-Institut für Astronomie
Exoplanet beim nächsten Stern entdeckt – hat Proxima Centauri eine zweite Erde?
Am 24. August 2016 wurde offiziell die Entdeckung eines Exoplaneten bei dem unserem Sonnensystem nächsten Stern – Proxima Centauri – bekannt gegeben. Eine Sensation, denn der Planet könnte den Messungen zufolge erdählich sein und umkreist den 4,2 Lichtjahre entfernten kosmischen Nachbarn offenbar in der sogenannten habitablen Zone. Dieser Bereich bezeichnet einen für flüssiges Wasser wohltemperierten Bereich um einen Stern. In einer kurzfristig produzierten Folge der AstroViews spricht Klaus Jäger mit Martin Kürster vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, der an der internationalen Kollaboration dieser Entdeckung beteiligt ist. Er berichtet darüber, wie diese Entdeckung zustande kam, was man momentan zur Natur dieses Planeten sagen kann und ob dieser möglichweise für Leben geeignet ist.
Seit 1995 wurden bereits Tausende von Exoplaneten entdeckt. Doch ein erdähnlicher Planet bei unserem direkten kosmischen Nachbarn ist wissenschaftlich natürlich eine außergewöhnliche Entdeckung.