"Unmittelbare Not lindern"

Welche Herausforderungen das Welternährungsprogramm meistern muss

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen ist eine der größten Institutionen für humanitäre Hilfe weltweit. 2015 unterstützte es nach eigenen Angaben mehr als 76 Millionen Menschen in 81 Ländern mit Nahrungsmittelhilfen. Dabei finanziert es sich durch freiwillige Beiträge von Staaten, Organisationen wie der EU und durch private Spenden. Leonie Vierck vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht untersucht für ihre Doktorarbeit, wie das Welternährungsprogramm strukturiert und organisiert ist, um seine Aufgabe zu bewältigen. Im Interview erklärt sie, wie die Nothilfe funktioniert und warum in der humanitären Hilfe nicht jeder gespendete Euro direkt den Hilfsbedürftigen zugutekommen kann.

Frau Vierck, wenn heute in Haiti die Erde bebt, wie schnell ist das Welternährungsprogramm vor Ort?

Das Welternährungsprogramm ist äußerst reaktionsschnell: Wenn tatsächlich heute die Erde beben würde, könnten übermorgen die ersten Lieferungen eintreffen. Voraussetzung ist aber eine Anfrage der Regierung, denn als UN-Organisation achtet es das Prinzip der Staatensouveränität. Die Planung liegt dann bei der Verwaltung des Welternährungsprogramms. Wenn eine solche Anfrage vorliegt, gibt es einen Exekutivrat aller Mitglieder, der den Einsatz bewilligt.

Das klingt komplizierter als es ist: Am Hauptsitz des Welternährungsprogramms und zweier weiterer UN-Organisationen in Rom unterhält Deutschland zum Beispiel eine ständige Vertretung. Die hält neben anderen Ministerien den Kontakt zur Organisation und vertritt Deutschland in den drei förmlichen Sitzungen des Exekutivrats im Jahr und falls nötig in außerordentlichen Sitzungen. Wenn der Exekutivrat eine Anfrage positiv entscheidet, schließt das betroffene Land mit dem Welternährungsprogramm eine Vereinbarung und die Hilfe kann anlaufen. Im Notfall gibt es außerdem einen separaten Fonds, mit dem erste Lieferungen innerhalb von 48 Stunden organisiert werden können.

Hinter so großen Einrichtungen wie dem Welternährungsprogramm vermutet man oft eher eine große, schwerfällige Verwaltung. Was ist da Ihr Eindruck?

Das trifft für das Welternährungsprogramm nicht zu. Die Verwaltungskosten liegen bei circa sieben Prozent der Beitragszahlungen – das ist wirklich sehr niedrig. Wenn Sie zum Beispiel das bekannte deutsche Spendensiegel des DZI nehmen: Dort gelten bis zu 30 Prozent Werbungs- und Verwaltungskosten noch als vertretbar, wobei man in Deutschland zum Beispiel die vergleichsweise hohen Sozialabgaben für Personal berücksichtigen muss. Insgesamt sollte man sich bewusst machen, wie elementar gute Organisation und gut ausgebildete Mitarbeiter für jede Hilfsorganisation sind. Das kostet natürlich Geld, das dann nicht direkt an die Hilfsbedürftigen weitergegeben werden kann. Aber indirekt profitieren sie davon sehr. Beim Welternährungsprogramm hängen Millionen Menschenleben davon ab, dass die Verwaltung erfolgreich arbeitet. Das motiviert mich natürlich auch persönlich, mich wissenschaftlich mit dem Thema zu beschäftigen.

Wird die Arbeit des Welternährungsprogramms evaluiert?

Ja, es gibt sowohl verwaltungsinterne Richtlinien für Evaluationen als auch externe Überprüfungen durch die beitragszahlenden Staaten oder durch Nichtregierungsorganisationen. Das Welternährungsprogramm wird dabei oft positiv bewertet, wenn es um die Effizienz der verwaltungsinternen Abläufe geht. Wenn es Änderungsvorschläge gibt, dann übrigens oft nicht, weil zu viel Geld in die Verwaltung fließen würde, sondern eher, dass es mehr Personal braucht beziehungsweise mehr Personal mit spezifischen technischen Expertisen.

Ein Kritikpunkt am Welternährungsprogramm ist, dass Machthaber sich an Hilfslieferungen bereichern oder daraus politisch Profit schlagen wie der syrische Präsident Assad. Ist diese Kritik berechtigt?

Sicherlich können humanitären Hilfseinsätze unter politischen Druck geraten, weil sie nicht gegen den Willen der nationalen Regierungen in den betroffenen Ländern stattfinden können. Die Zusammenarbeit mit den Strukturen vor Ort ist sogar unvermeidbar. Die humanitäre Hilfe versucht, sich an den humanitären Prinzipien Humanität, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit zu orientieren. Das Welternährungsprogramm will also der notleidenden Bevölkerung erst einmal ungeachtet der jeweiligen politischen Situation helfen. Zugleich beansprucht es, unabhängig zu agieren. Man kann sich vorstellen, welche Spannung zwischen diesen beiden Prinzipien entstehen kann – das ist letztlich immer ein Balanceakt.

Selbstverständlich gibt es auch interne Regelungen im Welternährungsprogramm, die echten Missbrauch verhindern sollen. Zum Beispiel muss jede Regierung erlauben, dass Personal des Welternährungsprogramms die Lieferungen begleitet, es gibt Vorgaben für die Beschaffung und interne Kontrollen. Und wenn ein begründeter Verdacht geäußert wird, dass gegen die Regeln verstoßen wurde, wird dem im Rahmen eines Untersuchungsverfahrens nachgegangen.

Wie nachhaltig kann die Hilfe des Welternährungsprogramms sein?

Das Kernmandat des Welternährungsprogramms ist, humanitäre Soforthilfe zur Ernährungssicherung zu organisieren. Die UN gehen dabei arbeitsteilig vor und andere UN-Organisationen kümmern sich um angrenzende Mandate. Das Welternährungsprogramm bemüht sich, humanitäre Hilfe prinzipiell mit Blick auf langfristige Entwicklungsziele zu leisten. So wird bei der Nahrungsmittelnothilfe eine lebhafte Diskussion geführt, in welchem Verhältnis Direktlieferungen, Lebensmittelmarken und Bargeldtransfers optimal eingesetzt werden können.

Außerdem versucht das Welternährungsprogramm beispielsweise, Nahrungsmittel lokal anzukaufen, um Kleinbauern vor Ort zu unterstützen. Aber auf Anbaubedingungen einzuwirken stellt die Organisation auch vor ganz neue Herausforderungen. Zugleich ist das Welternährungsprogramm bei seiner Hauptaufgabe im Moment immens gefordert. Es gibt gerade sechs Krisenherde höchster Stufe. Neben den Konflikten in Syrien, im Irak und in Jemen sind das die humanitären Notlagen in Nigeria durch den Terror der Boko Haram und im südlichen Afrika durch eine langanhaltende Dürre.

Insgesamt agiert das Welternährungsprogramm ja recht erfolgreich, und das obwohl es auf freiwillige Beiträge angewiesen ist.

Die Beitragszahlungen sind zwar freiwillig, aber insgesamt sehr hoch: Das Budget des Welternährungsprogramms lag 2015 bei mehr als fünf Milliarden US-Dollar. Die deutschen Beiträge sind in den letzten Jahren exponentiell gestiegen. Der Erfolg der Organisation ist sicher auch dem Umstand geschuldet, dass Soforthilfe mit Lebensmitteln grundsätzlich relativ ideologiefrei ist. Es geht im Kern darum, erst einmal unmittelbare Not zu lindern.

Das Gespräch führte Mechthild Zimmermann.

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