Brexit hat weitreichende privatrechtliche Folgen

7. November 2016

Der Brexit ist beschlossene Sache. Premierministerin Theresa May steht nun vor der Mammutaufgabe, den Austritt aus der Europäischen Union zu verhandeln. Aber das feingesponnene Netz aus EU-Richtlinien und Verordnungen, nationalem und EU-Recht zu entwirren, wird nicht leicht.

„So dürr der Text zur Austrittsmitteilung aus der EU im vielzitierten Art. 50 des Vertrags über die Europäische Union auch ist, er enthält doch folgenreiche Klarstellungen“, erklärt Jürgen Basedow, Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in seinem jüngst erschienen Leitartikel in der ZEuP (Zeitschrift für Europäisches Privatrecht). Wenn sich die EU und Großbritannien nicht binnen zwei Jahren einigen können, treten die Verträge einschließlich der darin verankerten Verkehrsfreiheiten außer Kraft. Die Aussicht darauf, durch bloßen Zeitablauf den Zugang zum Binnenmarkt und andere Verbürgungen des primären Unionsrechts zu verlieren, wird die britische Wirtschaft und Politik unter Druck setzen und schwächt die Verhandlungsposition gegenüber der EU. Dies war den britischen Wählern vor dem Referendum vermutlich nicht bewusst.

Durch den Austritt wird Großbritannien in der Terminologie des EU-Rechts zum Drittstaat. Das hat zur Folge, dass etliche Verordnungen und Richtlinien, die ausdrücklich nur auf Beziehungen innerhalb der EU anzuwenden sind, nach dem Austritt ihre Bedeutung verlieren. Unternehmen wie die britische Fluggesellschaft easyJet werden die Konsequenzen dann sehr schnell zu spüren bekommen. Sobald nach dem Austritt der Zugang zu den Flugstrecken innerhalb der Europäischen Union neu verhandelt wird, werden die Konkurrenten aus der verbleibenden EU, die über Jahre Marktanteile an den effizienten britischen Wettbewerber verloren haben, darauf drängen, dass easyJet der Weg zu innergemeinschaftlichen Flügen künftig verbaut bleibt.

Die Veränderung des Status Großbritanniens hat auch weitreichende Folgen für britische Gerichte. Ihre Urteile müssen dann nicht mehr in der gesamten Union vollstreckt werden, denn Art. 36 der Brüssel Ia-VO (VO Nr. 1215/2012), der die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen regelt, gilt nur für „in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidungen“. Wenn keine bilateralen Abkommen oder autonomes Anerkennungsrecht greifen, muss der internationale Rechtsverkehr „zurück auf Los“. Londoner Anwaltsfirmen, deren Geschäftsmodell auf dem simplen Versprechen beruht, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung London die Vollstreckung in ganz Europa garantiert, wird damit die Geschäftsgrundlage entzogen.

Die Austrittsverhandlungen werden eine Agenda von immensem Ausmaß haben. Wer bedenkt, dass die Beitrittsverhandlungen mit neuen Mitgliedstaaten, aufgeteilt in über 30 sog. Verhandlungskapitel, sich über viele Jahre hinziehen, wird zweifeln, ob die Verhandlungen über die Gegenrichtung, den Austritt, in den zwei Jahren, die Art. 50 Abs. 3 EUV vorgibt, abgeschlossen sind. Zudem werden mit dem Brexit die Karten im internationalen Wettbewerb neu gemischt. Dies ruft in der EU viele private Interessen auf den Plan, die gegenwärtig eher eine Vertiefung der Gräben im Wirtschafts- und Privatrecht begünstigen.

Literatur-Tipp:

Leitartikel von Jürgen Basedow in der ZEuP – Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 3/2016.

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