Ein Preis - zwei Preisträger

Von 2004 bis 2016 wurde der Max-Planck-Forschungspreis jährlich an zwei international renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verliehen - je ein Preis an eine Forscherin oder einen Forscher, der oder die in Deutschland tätig ist und eine Forscherin oder einen Forscher, der im Ausland arbeitet.

Die Ausschreibung erfolgte in jährlichem Wechsel für spezielle Teilgebiete der Natur- und Ingenieurwissenschaften, der Lebenswissenschaften oder der Geistes- und Sozialwissenschaften. Mit ihrem gemeinsamen Forschungspreis verfolgten Max-Planck-Gesellschaft und Alexander von Humboldt-Stiftung das Ziel, jenen Fachgebieten Impulse zu geben, die in Deutschland noch nicht etabliert waren oder weiter ausgebaut werden sollten.

Preisträger 2016
Bahnbrechende Forschung über die Sinneswahrnehmung von Organismen

Bonnie Bassler

Prof. Dr. Bonnie Bassler

Princeton University
Dept. of Molecular Biology
New Jersey
08544 USA

Die Preisträger des Max-Planck-Forschungspreises 2016 beschäftigen sich mit der Frage, wie Organismen ihre Umwelt wahrnehmen können. Bonnie L. Bassler  arbeitet mit Bakterien. Die US-Amerikanerin hatte einen entscheidenden Anteil an der Entdeckung, dass die Einzeller über Signalstoffe miteinander kommunizieren. Je mehr Zellen in der Umgebung vorhanden sind, desto mehr Signalmoleküle werden produziert. Diese können dann von der Bakteriengemeinschaft registriert werden. Die Zellen verändern daraufhin das Aktivitätsmuster ihrer Gene und stimmen ihr Verhalten aufeinander ab.

Der Hawaiianische Zwergtintenfisch Euprymna scolopes nutzt symbiotische Bakterien als Tarnkappe. Wenn er in Vollmondnächten nahe der Meeresoberfläche auf die Jagd geht, erzeugen Bakterien in einem speziellen Organ des Tiers ein Licht, das den Kopffüßler mit dem Mondlicht verschwimmen lässt. Dadurch wirft er keinen Schatten und ist für Räuber unsichtbar. Die Mikroben kommunizieren dabei miteinander, zählen die benachbarten Zellen und handeln dann als Kollektiv. So können sie das Licht gemeinsam ein- und ausschalten.

Heute wissen wir, dass die Fähigkeit zur Kommunikation und Gruppenverhalten nicht nur bei solch exotischen Einzellern vorkommt, sondern bei Bakterien die Norm ist. Diese als „quorum sensing“ bezeichnete Eigenschaft hat Bonnie Bassler wegweisend mit erforscht. Ihre Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass Bakterien Botenstoffe abgeben, die von anderen Bakterien wahrgenommen werden können. Je mehr Zellen in der Umgebung vorhanden sind, desto mehr Signalmoleküle werden produziert. Diese können dann von der Bakteriengemeinschaft registriert werden. Die Zellen verändern daraufhin das Aktivitätsmuster ihrer Gene und stimmen ihr Verhalten aufeinander ab.

Bassler und ihre Kollegen haben darüber hinaus entdeckt, dass Bakterien mehrsprachig sind. Jede Bakterienart besitzt nicht nur eigene „Molekülworte“, die nur sie selbst verstehen kann. Sie beherrscht darüber hinaus noch eine Universalsprache – also eine Art Bakterien-Esperanto. Mit den Informationen, die die Mikroorganismen aus diesem inner- und zwischenartlichen Austausch erhalten, können sie sich an ihre Umgebung anpassen und im Kollektiv Aufgaben wirkungsvoller erfüllen als alleine.

Basslers Forschung hat also die Vorstellung von Bakterien als Einzelgänger widerlegt, die isoliert voneinander agieren. Diese kommunizieren vielmehr intensiv untereinander und koordinieren ihr Verhalten gegenseitig. Manche Forscher sehen in solchen Bakteriennetzwerken denn auch die Vorläufer zu vielzelligen Organismen.

Das „quorum sensing“ der Bakterien hat auch für die Medizin enorme Bedeutung, denn es spielt eine wichtige Rolle bei bakteriellen Infektionen. So hat Bassler herausgefunden, dass Bakterien nur dann zusammen ihre krankmachenden Substanzen abgeben, wenn sie das Immunsystem ihres Wirts überwältigen können. Mit dem „quorum sensing“ können sie also einen koordinierten Angriff gegen einen viel größeren Gegner starten. Bassler und ihren Kollegen ist es gelungen, mit künstlichen Hemmstoffen die Kommunikation verschiedener Krankheitserreger zu blockieren. Nach diesem Prinzip sollen künftig neue Antibiotika entwickelt werden. Sie arbeitet zudem daran, die Kommunikation von Bakterien für die Landwirtschaft oder für Anwendungen in der Industrie zu nutzen.

Martin Wikelski

Prof. Dr. Martin Wikelski

Max-Planck-Institut für Ornithologie, Teilinstitut Radolfzell
Am Obstberg 1
78315 Radolfzell

Auch Martin Wikelski erforscht die Sinnesleistungen von Organismen: Vögeln, Fledermäusen, Galapagos-Schildkröten und Schmetterlingen. Er möchte wissen, wie diese Tiere ihre Umwelt mit ihren Sinnesorganen wahrnehmen und sich in ihr zurecht finden. Sein Motto dabei: „Raus aus dem Labor, rein in die Natur!“ Mit dem Satelliten-gestützten Beobachtungssystem Icarus will er künftig Tiere auf ihren Reisen begleiten.

Martin Wikelski erforscht die Sinnesleistungen von Organismen: Vögeln, Fledermäusen, Galapagos-Schildkröten und Schmetterlingen. Er möchte wissen, wie diese Tiere ihre Umwelt mit ihren Sinnesorganen wahrnehmen und sich in ihr zurecht finden. Sein Motto dabei: „Raus aus dem Labor, rein in die Natur!“ Er untersucht die Sinneswahrnehmung also nicht unter künstlichen Bedingungen, sondern in der natürlichen Umgebung der Tiere. Damit hat er über die Jahre wertvolle Erkenntnisse darüber gewonnen, wie Tiere sich auf ihren mitunter tausende Kilometer langen Reisen orientieren und an ihr Ziel finden.

So hat er beispielsweise erstmals nachgewiesen, dass Zugvögel einen Magnetsinn besitzen, den sie jeden Abend von neuem eichen. Dies geschieht anhand des Winkels, mit dem die Sonne über dem Horizont untergeht,  denn dort ist immer Westen. Er konnte auch zeigen, dass andere Tiere wie Fledermäuse ebenfalls ihren Magnetkompass am Sonnenuntergangswinkel kalibrieren. Sie können diesen Sinn auch nachts in kompletter Dunkelheit zur Orientierung nutzen, zum Beispiel wenn sie lange Strecken im Nebel oder in Wolken fliegen. 

Die Wahrnehmung der Magnetrichtung ist aber nicht der einzige Sinn, auf den sich Zugvögel verlassen: Auf langen Strecken folgen sie ihrer Nase. In aufwändigen Freiland-Experimenten konnten Wikelski und seine Kollegen nachweisen, dass Heringsmöwen und Tauben ohne ihren Geruchssinn Abweichungen von ihrem natürlichen Flugkorridor nicht ausgleichen können. Welchen Gerüchen die Vögel dabei folgen, wissen die Forscher noch nicht. Klar ist nur: Die Gerüche müssen mindestens 300 Kilometer weit durch die Luft übertragen werden. Einzelne Geruchsposten auf der Route geben wohl die grobe Flugrichtung vor. Der Licht-unabhängige Magnetkompass zeigt den Zugvögeln die Richtung an, während ihnen der Geruchssinn sowie in der Jugend eingeprägte Wegmarken Hinweise auf den Aufenthaltsort geben. Im Falle der Heringsmöwen funktioniert dieses Karte-Kompass System über fast 8000 Kilometer hinweg.

Eine große Herausforderung dabei ist, den Tieren zu folgen. Wikelski rüstet seine Untersuchungsobjekte dafür mit Sendern aus, die ihm den Aufenthaltsort der Tiere verraten. Singvögeln fuhr er dabei schon nächtelang mit dem Auto hinterher, für die Verfolgung von Insekten und Fledermäusen setzte er sich sogar selbst ins Cockpit eines Kleinflugzeugs – mühsam und nicht sehr effektiv, denn so lassen sich natürlich nur wenige Individuen auf ihren Reisen beobachten.

Preisträger 2015
Religion und Moderne - Säkularisation, gesellschaftliche und religiöse Pluralität

Hans Joas

Prof. Dr. Hans Joas

Humboldt-Universität
Berlin

Zwischen Religion und Moderne entstehen oft Spannungsfelder, in denen sich nicht-gläubige und religiös geprägte Menschen verständnislos, wenn nicht gar feindlich gegenüber stehen; ebenso Angehörige unterschiedlicher Religionen. Hans Joas betrachtet nicht die Gräben, sondern sucht nach dem Verbindenden.

Ein wichtiger Ansatz, den er dazu entwickelt hat, ist ein Stufenmodell, mit dem man religiöse Erfahrungsmuster deuten und beschreiben kann. Den Ausgangspunkt aller religiösen Erfahrung sieht Joas in der Selbsttranszendez. Damit meint er die psychologische Beschreibung eines Phänomens, das wohl jeder Erwachsene in seinem Leben schon erfahren hat: beispielsweise als Naturerfahrung mit dem Gefühl am Meer, auf einem Berggipfel oder im tiefen Wald mit der Natur zu verschmelzen. Sich-verlieben zählt Joas ebenfalls zu dieser Kategorie, ebenso wie den Tod eines nahestehenden Menschen zu erleben. Indem er die Erfahrungen der Selbsttranszendenz ins allgemeine Bewusstsein ruft, schafft Joas eine Basis für ein wechselseitiges Verständnis von Gläubigen und Nicht-Gläubigen.

Der religiöse Glaube geht allerdings weit über die Erfahrung der Selbsttranszendenz hinaus. Gläubige Menschen deuten sie anders und können dadurch das erleben, was Joas „sakramentale Erfahrung“ nennt, die zweite Stufe in seinem Modell. Sehr anschaulich hat Joas das einmal in einem Interview am Beispiel des Gebets erklärt: „Wir wissen, dass viele nicht-gläubige Menschen eine leichte Tendenz haben, gelegentlich einmal zu beten. Für den Gläubigen aber, der wirklich annimmt, dass da ein Gegenüber ist, ein Gott, besteht die Möglichkeit, dass er eine Antwort bekommt. Insofern erweitert der Glaube die Erfahrungsmöglichkeiten des Menschen.“

In der dritten Stufe des Modells kommt schließlich Transzendenz im religiösen Sinn ins Spiel. Transzendenz bedeutet, dass Gott, die Götter oder das göttliche Prinzip nicht einfach Teil des menschlichen Universums, seines Wissens und Erfahrungshorizonts sind, sondern darüber stehen. So, wie es auch in der Bibel heißt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Die Idee der Transzendenz kam in der Antike, in der sogenannten „Achsenzeit“ zwischen 800 und 200 vor Christus auf, in der auch die großen Weltreligionen, wie Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus ihre Wurzeln haben. Joas sieht die Transzendenz als „tiefe Gemeinsamkeit“ zwischen Weltreligionen, die einen friedlichen Dialog ermöglicht.

Hans Joas ist jedoch viel zu sehr Realist, als dass er sein Modell für die Lösung der aktuellen religiös aufgeladenen Konflikte halten würde. Wie er betont, lässt sich der politische Islamismus keinesfalls rein aus religionssoziologischer Sicht verstehen. Stattdessen müsse man das gesamte Geflecht historischer, politischer und militärischer Faktoren in den Blick nehmen. Die Zukunft, betonte Joas im Interview, sei weniger abhängig von einem interreligiösen Dialog als von politischen Entscheidungen.

In jüngerer Zeit hat Hans Joas mit einem weiteren Ansatz Aufmerksamkeit erregt, mit dem er wiederum Religion und Moderne zusammenführt. Dabei geht es um die Menschenrechte, ihre Herleitung und damit auch ihre universelle Gültigkeit. Bisher wurde der Ursprung der Menschenrechte meist in der Aufklärung und der christlichen Tradition gesehen. Dadurch bekommen die Menschenrechte jedoch schnell das Etikett „westlich“. Sehr leicht lässt sich damit begründen, sie seien in anderen Kulturkreisen nicht anwendbar.

Joas setzt dem eine ganz neue Herleitung entgegen: Er legt dar, dass die Menschenrechte im 18. Jahrhundert durch eine kulturelle Veränderung entstanden sind: nämlich der Vorstellung von der Sakralisierung des Menschen. Nach und nach habe sich die Ansicht durchgesetzt, dass jede einzelne Person in ihrer Individualität als einzigartig und damit in gewisser Weise als heilig gilt. Joas zeigt mit diesem Ansatz, dass die Menschenrechte in den säkularisierten Ländern Europas wie Glaubenssätze wirken. Die Basis für diese Sakralisierung sieht Joas schon lange vor Christus: in der antiken Philosophie und der Bibel, aber zusätzlich auch in anderen Kulturräumen wie in Indien im Buddhismus oder in China im Konfuzianismus.

Bryan Stanley Turner

Prof. Dr. Bryan Stanley Turner

City University of New York
New York
USA

Es ist ein breites Spektrum an Themen, mit dem sich Bryan S. Turner auseinandergesetzt hat: vom Islam über die Zusammenhänge von Religion und Politik bis hin zu einer Soziologie der Menschenrechte. Damit gilt Turner weltweit als einer der bedeutendsten Religionssoziologen unserer Zeit.

Bereits mit seiner ersten größeren Veröffentlichung hat Bryan S. Turner Standards gesetzt: Mit „Weber and Islam: A Critcal Study“ von 1974 begann er, den Islam als Thema soziologischer Analysen zu etablieren – und das zu einer Zeit, als diese wichtige Weltreligion kaum wissenschaftliche Beachtung fand. Er hat sich seither immer wieder mit dem muslimischen Glauben befasst und dafür zahlreiche Faktoren wie Kapitalismus, Orientalismus, Moderne, Gender und das Bürgertum einbezogen.

Während Religionen im ausgehenden 20. Jahrhundert kaum eine Rolle spielten, änderte sich das schlagartig mit den Anschlägen vom 11. September 2001. Turners Analysen waren plötzlich gefragt. „Das war eines dieser Ereignisse, für das die Redewendung ‚danach war nichts mehr, wie es vorher war‘, tatsächlich zutrifft“, beschreibt der Soziologe, wie er 9/11 erlebte. „Alle Religionen stehen jetzt in der öffentlichen Aufmerksamkeit, und sie schaffen ein neues politisches Klima, das bedrohlich wirken kann. Aber sie eröffnen auch neue Chancen für die Entwicklung der Zivilgesellschaft.“

Neben dem Islam als neues Forschungsfeld hat Bryan S. Turner die gesamte Religionssoziologie nachhaltig geprägt. Eine elementare Rolle spielte dabei, dass er die Bedeutung des Körpers in die Untersuchung von Religionen wiedereinführte. Zuvor war das Verständnis ganz wesentlich vom Protestantismus geprägt, der Religion ausschließlich über Werte, Normen und die Kultur charakterisiert. Turner hat dagegen die Körpergebundenheit von religiösen Zeremonien und Praktiken herausgearbeitet und sie erfolgreich in die sozialwissenschaftliche Debatte eingebracht. Gerade vor dem Hintergrund religiöser Konflikte hat diese Sicht auf die Körperlichkeit heute eine große Bedeutung für das Verständnis religiös motivierter Gewaltbereitschaft.

Bryan S. Turner befasst sich darüber hinaus mit den Zusammenhängen von Religion, Moderne und Säkularisierung sowie mit den sozialen Konsequenzen dieser Prozesse. Er betrachtet dabei vor allem, wie sich die soziale Kohäsion ändert, wenn Religion als Bindeglied wegfällt und die Gesellschaft zunehmend pluralistischer wird. Dadurch – so lautet seine Feststellung – stellen sich für viele bisher vermeintliche Selbstverständlichkeiten des Zusammenlebens ganz neue Fragen, etwa für sozialpolitische Maßnahmen.

Angesichts religiöser, sozialer und kultureller Pluralisierung analysiert Turner, wie eine soziale Ordnung gesichert werden kann. Die Antwort gibt Turner mit seinem Konzept des „legal pluralism“: Er rückt damit das Recht als zentrale und entscheidende Institution moderner Gesellschaften in den Mittelpunkt, insbesondere die Bürger- und Menschenrechte. In der Argumentation dafür kommt wiederum Turners Verständnis von Körperlichkeit zu Tragen. Denn er sieht in der Verletzlichkeit des menschlichen Körpers die Letztbegründung für die Gültigkeit der Menschenrechte, da alle Menschen körperliche Wesen sind, denen Leid angetan werden kann. Auf dieser Grundlage findet Bryan S. Turner eine Perspektive für das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Religionen und Konfessionen.

Preisträger 2014
Pionierleistungen auf dem Gebiet der Quanten-Nanowissenschaft

Robert J. Schoelkopf

Prof. Dr. Robert J. Schoelkopf

Yale University
Department of Applied Physics
Becton Center 401
New Haven, CT 06511
USA

Robert J. Schoelkopf, Professor an der Yale University ein Erfinder der supraleitenden Qubits. Supraleiter transportieren Strom ohne elektrischen Widerstand. Die Qubits, die Robert Schoelkopf gemeinsam mit seinen Kollegen Michel Devoret und Steve Girvin an der Yale University entwickelt hat, bestehen aus supraleitenden Stromkreisen. Bei sehr tiefen Temperaturen verhält sich ein solcher widerstandsloser Stromkreis in gewissem Sinn wie ein einzelnes Atom: Obwohl darin rund eine Billion Elektronen ungehindert ihre Bahnen ziehen, kann der Stromkreis definierte Energiezustände einnehmen, die denen eines Atoms sehr ähneln. Die untersten beiden können die „0“ und „1“ eines Datenbits ebenso codieren wie die Orientierung des Spins in einem Magnetfeld.

Mit den supraleitenden Qubits, die im Durchmesser einige Mikro- oder gar Millimeter messen können, hat Schoelkopfs Team die Grenzen des Quantenregimes von der Nanodimension hin zu größeren Objekten verschoben. Lange gingen Physiker davon aus, dass sich die teils bizarren Quanteneffekte nur in allerkleinsten Dimensionen beobachten lassen. Demnach gebe es in größeren Systemen zu viele Störungen, die gerade die meist fragilen Quantenzustände, die für Anwendungen in einer neuartigen Informationsverarbeitung interessant sind, kaputt machen. Derzeit testen Physiker noch aus, wie groß Systeme tatsächlich sein können, sodass sie noch den Quantengesetzen unterliegen. Robert Schoelkopf hat bei dieser Suche nach den Grenzen der Quantenwelt mit den supraleitenden Qubits eine Marke gesetzt.

„Wir haben es geschafft unsere supraleitenden Qubits sehr robust gegen Störungen von außen zu machen“, erklärt der Physiker Schoelkopf. Inzwischen haben er und seine Mitarbeiter aus verschränkten widerstandslosen Stromkreisen auch elementare Quantenregister geschaffen, die einfache Rechenoperationen ausführen und die Keimzelle eines Quantencomputers bilden. So wundert es nicht, dass sich die supraleitenden Qubits unter den möglichen Kandidaten für die kleinsten Recheneinheiten eines Quantencomputers eine aussichtsreiche Ausgangsposition verschafft haben und Jörg Wrachtrup sagt: „Es ehrt mich zusätzlich, dass ich den Max-Planck-Forschungspreis zusammen mit Robert Schoelkopf erhalte, der mit den supraleitenden Qubits ein ganz neues Feld geöffnet hat.“

Jörg Wrachtrup

Prof. Dr. Jörg Wrachtrup

Universität Stuttgart
3. Physikalisches Institut
70569 Stuttgart

Jörg Wrachtrup, Professor der Universität Stuttgart und Fellow des Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung, gelang es erstmals, die Orientierung eines einzelnen Spins in einem Diamanten auszulesen und zu schalten. Die einzelnen Spins finden sich im Diamanten dort, wo ein Stickstoff- statt eines Kohlenstoffatoms in dessen Kristallgitter eingebaut ist. Der Spin eines solchen NV-Zentrums – kurz für Nitrogen-Vacancy- oder Stickstoff-Leerstellen-Zentrum – reagiert sehr empfindlich auf andere Spins in seiner Umgebung. Wrachtrups Team arbeitet daran, auf dieser Basis einen nanoskopischen Kernspintomografen für einzelne Zellen zu entwickeln – so wie inzwischen manche andere Forschungsgruppe in der Welt. Der sensible Kern dieses Kernspintomografen wird der einzelne Spin eines Diamanten sein.

„Einzelne Zellen werden wir in wenigen Jahren untersuchen können“, sagt Jörg Wrachtrup. „Ich halte es aber auch für realistisch, einen künstlichen Nanodiamanten als Sensor für Kernspin-Untersuchungen in einer Zelle zu verwenden.“ Da kommt Jörg Wrachtrup das Preisgeld des Max-Planck-Forschungspreises gerade recht, weil sich damit ein Projekt auch über einen längeren Zeitraum unterstützen lässt. So kann er sich vorstellen, die Mittel zu verwenden, um die Nanodiamanten für solch diffizile Einsätze weiterzuentwickeln.

Die Spins der NV-Zentren eignen sich aber nicht nur als Sonden eines nanoskopischen Kernspintomografe, sondern auch als Quantenbit oder Qubit, also als kleinste Recheneinheit eines Quantencomputers. Denn in der Orientierung des Spins lässt sich die „0“ und „1“ eines Datenbits speichern. Jörg Wrachtrups Team hat an einem solchen NV-Zentrum bereits ein einfaches Rechenregister aus verschränkten Qubits erzeugt und damit grundlegende Operationen einer Quantenrechnung ausgeführt.

Preisträger 2013
Forschung zum Einfluss des Klimawandels auf Ökosysteme

Chris Field

Prof. Dr. Chris Field

Abteilung für Globale Ökologie der Carnegie Institution
Stanford University
260 Panama St.
Stanford, CA 94305
USA

Chris Field untersucht, wie viel Biomasse durch Photosynthese aufgebaut wird. Die Forschung von Chris Field kennzeichnet der Brückenschlag zwischen Feldversuchen beziehungsweise Laborstudien und globaler Analyse, so wie er auch für Reichsteins Arbeit zum Klimafaktor Boden wesentlich ist. Field hat am kalifornischen Grasland zunächst auf der Ebene einzelner Pflanzen untersucht, wie sich deren Produktivität mit dem Klimawandel ändert. In diesem Zusammenhang hat er auch erforscht, wie die Stärke der Photosynthese mit der Menge des absorbierten Lichts zusammenhängt, sodass sich anhand des von Pflanzen absorbierten Lichts abschätzen lässt, wie viel Biomasse sie aufbauen.

Die Ergebnisse dieser Studien dienten Chris Field als experimentelle Grundlage, um biogeochemische und ökologische Zusammenhänge in globalen Modellen zu repräsentieren, mit denen sich auch der Einfluss des Klimawandels auf die Biosphäre bestimmen lässt. So veröffentlichte er bereits im Jahr 1998 eine der ersten Abschätzungen der weltweiten Nettoprimärproduktion: der Biomasse, die Pflanzen und Photosynthese betreibende Einzeller produzieren und nicht wieder in der Zellatmung zu Kohlendioxid und Wasser umsetzen. Diese Arbeit gilt bis heute als bahnbrechend für alle folgenden Modelle, die Reaktionen des Erdsystems auf den globalen Wandel wiedergeben und prognostizieren.

Die Nettoprimärproduktion ist nicht zuletzt wichtig, um die Größe von Kohlenstoffsenken wie etwa von Wäldern abschätzen zu können. Kohlenstoffsenken entziehen der Atmosphäre dauerhaft Kohlendioxid. Chris Field berechnete die Größe der Kohlenstoffsenken in den USA und löste auf diese Weise das Rätsel, warum die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre langsamer steigt als die Menge an Treibhausgasen, die weltweit durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe freigesetzt werden.

Chris Field gründete im Jahr 2002 die Abteilung für globale Ökologie der Carnegie Institution, die er seither leitet. Seit 2008 hält er die Melvin und Joan Lane Professur für interdisziplinäre Umweltstudien an der Stanford University, und seit 2005 ist er Professor für Biologie an der Stanford University und Fakultätsdirektor des biologischen Schutzgebietes Jasper Ridge. Er studierte Biologie an der Harvard University und erhielt seinen PhD in Biologie an der Stanford University. Chris Field ist Ko-Vorsitzender der Arbeitsgruppe II (Auswirkungen, Anpassungen und Schadensanfälligkeit) des International Panel of Climate Change (IPCC), war einer der koordinierenden Leitautoren des vierten IPCC-Sachstandberichtes und Mitglied der Delegation des IPCC, die im Jahr 2007 den Friedensnobelpreis erhielt.

Markus Reichstein

Dr. Markus Reichstein

Max-Planck-Institut für Biogeochemie
Hans-Knöll-Str. 10
07745 Jena

Markus Reichstein erforscht den Stoffhaushalt unterschiedlicher Ökosysteme. Mit seiner Forschung hat Reichstein es erstmals ermöglicht, den weltweiten Austausch von Kohlendioxid und Wasser zwischen der Atmosphäre und Land-Ökosystemen zu bestimmen. Zu diesem Zweck hat er zum einen den engen Zusammenschluss von FLUXNET, einem globalen Netz von Messstationen, mitinitiiert und damit eine Datenbasis über den Stoffhaushalt sehr unterschiedlicher Ökosysteme geschaffen. Er hat mit seiner Gruppe zum anderen die mathematischen Werkzeuge geliefert, um diese Daten mit anderen Erdbeobachtungsdaten zusammenzuführen und daraus zu etwa ermitteln, wie viel Kohlendioxid und Wasser zwischen der Biogeosphäre und der Atmosphäre ausgetauscht wird. Anhand von Langzeitbeobachtungen lässt sich so auch der Einfluss des Klimawandels auf den Kohlenstoff- und Wasserhaushalt der Biogeosphäre bestimmen.

In diesem Zusammenhang steht die Frage, wie sich die Produktivität – die Menge des von Pflanzen in der Photosynthese aufgebauten organischen Materials – und die Treibhausgas-Emissionen von verschiedenen Land-Ökosystemen bei extremen Klimaereignissen ändern. Markus Reichstein koordiniert ein umfassendes Forschungsprogramm der Europäischen Union, das dieser Frage nachgeht. Erste Ergebnisse belegen, dass weltweit insbesondere Dürren einen großen Einfluss auf die Kohlenstoffbilanz der Ökosysteme haben, weil die Photosynthese darauf stärker reagiert als die Atmung der Organismen, bei der organisches Material letztlich zu Kohlendioxid und Wasser abgebaut wird.

Ein Schlüsselfaktor bei der Wechselwirkung zwischen Klima und Biosphäre ist der Boden. Markus Reichstein entwickelt mit seiner Arbeitsgruppe auf der Grundlage von Freilandmessungen und Laborexperimenten Modelle, die Vorhersagen erlauben, wie viel Kohlenstoff bei einem sich ändernden Klima in Böden gespeichert beziehungsweise abgebaut und freigesetzt wird.

Markus Reichstein leitet seit dem Jahr 2012 die Abteilung "Biogeochemische Integration" am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. Er wurde am 25. September 1972 in Kiel geboren, studierte Landschaftsökologie, Botanik, Chemie und Informatik an der Universität Münster und promovierte 2001 an der Universität Bayreuth. Bis 2003 war er Mitarbeiter der Abteilung Pflanzenökologie der Universität Bayreuth. Nachdem er sich zwischen 2003 und 2006 zur Forschung an den Universitäten von Tuscia (Italien), Montana (Missoula, USA) und Californien (Berkeley, USA) aufhielt, leitete er zwischen 2006 und 2012 eine Max-Planck-Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Biogeochemie.

Preisträger 2012
Forschung zur Regulierung internationaler Finanzmärkte

Katharina Pistor

Prof. Dr. Katharina Pistor

Columbia University Law School
Michael I. Sovern Professor of Law
435 W. 116th St.
New York NY 10027
USA

Katharina Pistor lehrt und forscht als Rechtsprofessorin seit 2001 an der Columbia University School of Law in New York. Nach Abschluss des ersten juristischen Staatsexamens an der Universität Freiburg 1988 studierte sie in London und Harvard und wurde an der Universität München promoviert. Zunächst übte sie ihre Forschungs- und Lehrtätigkeit am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg und der Kennedy School of Government (Harvard) aus; sie war Gastprofessorin am Institute for Law and Finance (Frankfurt), der University of Pennsylvania und der New York University. Katharina Pistor ist Mitglied des Center of Economic Policy Research und des European Corporate Governance Institute (z.Zt. im Aufsichtsrat). Ihre gutachterlichen Tätigkeiten für die Weltbank, die Asiatische Entwicklungsbank und die Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung weisen sie auch als wirtschaftspolitisch einflussreiche Forscherin aus.

Katharina Pistor ist eine international führende Expertin auf dem Gebiet des vergleichenden Gesellschafts- und Finanzmarktrechts und der vergleichenden Rechts- und Institutionenökonomik. Herausragende und innovative Arbeiten hat sie zur Rechts- und Finanzmarktentwicklung in Transformations- und Schwellenländern geleistet. Sie erhält den Preis insbesondere für ihre interdisziplinäre Forschung zwischen Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Die Auswahlentscheidung fiel darüber hinaus in Anerkennung und Erwartung an Katharina Pistor, wie bisher Brücken zwischen der europäischen und der amerikanischen Rechtskultur zu schlagen.

Martin Hellwig

Prof. Dr. Martin Hellwig

Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern
Kurt-Schumacher-Str. 10
53113 Bonn

Der Auswahlausschuss bewertete Martin Hellwig als einen der einflussreichsten deutschen Ökonomen seiner Generation. Er ist seit 2004 Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn. Zuvor war er an den Universitäten Stanford, Princeton, Bonn, Basel, Harvard und Mannheim tätig. Er erwarb 1970 an der Universität Heidelberg ein Diplom in Volkswirtschaftslehre und promovierte 1973 am Massachusetts Institute of Technology.

Martin Hellwig erhält den Preis für seine Arbeiten zu den gesamtwirtschaftlichen Aspekten der Bankenregulierung, insbesondere zur Rolle kollektiver Risiken, zu konjunkturellen Rückwirkungen der Bankenregulierung und zu systemischen Rückkopplungseffekten im Finanzsektor. Zu diesen Themen hat er in den neunziger Jahren grundlegende Arbeiten verfasst. Auf der Grundlage der damals gewonnenen Erkenntnisse sind seit 2008 weitere wichtige Arbeiten zur Erklärung der Finanzkrise, zur Reform der Bankenregulierung und zum Umgang mit Banken in Schieflagen entstanden. Diese haben maßgeblichen Einfluss auf die wissenschaftliche und politische Diskussion zur Finanzkrise und zur Reform der Bankenregulierung. Martin Hellwig ist auch in der wissenschaftlichen Politikberatung tätig, so 1998 bis 2006 als Mitglied und zeitweise Vorsitzender der Monopolkommission. Derzeit ist er Vorsitzender des Beratenden Wissenschaftlichen Ausschusses des European Systemic Risk Board.

Preisträger 2011
Intelligente Systeme

Sebastian Thrun

Prof. Dr. Sebastian Thrun

Computer Science Department
Stanford University
353 Serra Mall
Gates Building 154
Stanford, CA 94305-9010
USA

Sebastian Thrun lehrt und forscht an der Stanford University. Seit 2004 leitet er das Stanford Institut für Künstliche Intelligenz, eines der größten und bedeutendsten Institute auf diesem Gebiet weltweit. Der 43-jährige Informatiker arbeitet an der Schnittstelle von künstlicher Intelligenz und Robotik.

Sein Hauptinteresse gilt lernfähigen Robotiksystemen, die sich selbständig bewegen können. So hat er beispielsweise gezeigt, dass es möglich ist, ohne Vorwissen mit einem mobilen Roboter eine Karte der Umgebung zu erstellen und dabei die Position und Orientierung des Roboters effektiv zu schätzen. Darüber hinaus eröffnen seine Arbeiten Robotern neue Einsatzbereiche außerhalb der industriellen Massenfertigung.

So entwickelte er 1997 den Roboter „Rhino“, der autonom durch das Deutsche Museum Bonn führen konnte. Der Nachfolger „Minerva“ wurde 1998 im Smithsonian-Museum in Washington getestet. Weitere Roboter-Modelle können mit Menschen über Sprache kommunizieren oder Bergwerke kartieren. Sebastian Thrun hat damit wissenschaftlich äußerst bedeutsame Erkenntnisse zur Orientierungsfähigkeit mobiler Systeme erbracht.

Bernhard Schölkopf

Prof. Dr. Bernhard Schölkopf

Max-Planck-Institut für Metallforschung
Spemannstr. 38
72076 Tübingen

Bernhard Schölkopf war Direktor am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen und ist im Zuge der Neuausrichtung des Max-Planck-Instituts für Metallforschung in Stuttgart umberufen worden. Das dortige Institut wird ein weiteres Standbein in Tübingen erhalten und im Zuge der Neuausrichtung - vorbehaltlich der Zustimmung des Senats - in "Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme" umbenannt. Der 43-jährige Mathematiker und Physiker ist einer der führenden Forscher in Europa auf dem Gebiet des maschinellen Lernens. Er erforscht Rechenverfahren, sogenannte Algorithmen, mit denen Computerprogramme so programmiert werden können, dass sie flexibel auf neue Situationen reagieren können.

Bernhard Schölkopfs Forschungsergebnisse haben die Algorithmen für maschinelles Lernen effizienter gemacht. Damit können statistische Schätzprobleme so weit generalisiert werden, dass sie genauso auf biologisch-medizinische Fragestellungen angewendet werden können wie auf sozialwissenschaftliche und philosophische Probleme.

Preisträger 2010
Evolution

Timothy George Bromage

Prof. Dr. Timothy George Bromage

New York University College of Dentistry

Department of Biomaterials and Biomimetics

345 East 24th Street

NY 10010 New York

USA

Timothy Bromage ist seit 2004 Professor am New York University College of Dentistry. Er forscht unter anderem im afrikanischen Malawi daran, wie sich Lebensumstände des frühen Menschen aus der Struktur von Knochen und Zähnen ablesen lassen.

Besonders aufschlussreich sind anatomische Befunde auf der Mikroebene, die bisher nur von wenigen Forschern untersucht wurden. Bromage erhofft sich dadurch eine Lösung schwer zu beantwortender Fragen, ob Knochen und Zähne zu einem männlichen oder weiblichen Individuum gehören und ob es zu dessen Lebzeiten eine oder zwei Regenzeiten pro Jahr gab. Dabei entdeckte er einen neuen Mechanismus, nachdem der lamellenartige Aufbau von Knochen Rückschlüsse auf die Wachstumsgeschwindigkeit und individuelle Lebensgeschichte zulässt.

Der Preis soll Bromage dabei unterstützen, die Untersuchung von Knochen und Zähnen zu einem noch wichtigeren Instrument bei der Erforschung der menschlichen Evolution zu machen. Gegenwärtig erstellt er eine Datenbank, mit deren Hilfe er den Stoffwechsel und die Struktur des Knochens heutiger Affen und Menschen vergleicht. Für seine wissenschaftliche Arbeit wurde er unter anderem von der National Science Foundation (2009, 2007), der National Geographic Society (2008) und vom National Institute of Health ausgezeichnet.

Michael Tomasello

Prof. Dr. Michael Tomasello

Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig

Abteilung für vergleichende und Entwicklungspsychologie

Deutscher Platz 6

04103 Leipzig, Sachsen

Deutschland 

Der in Bartow, Florida (USA) geborene Psychologe Michael Tomasello ist Direktor am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Dort leitet er die Abteilung für Vergleichende und Entwicklungspsychologie. An der Grenze zwischen den Geistes- und Naturwissenschaften gilt sein Hauptinteresse der Entstehung von Sprache und der kulturellen Evolution beim Menschen.

In zahlreichen empirischen Studien mit Kleinkindern und Menschenaffen geht Tomasello der Frage nach, über welche kognitiven Fähigkeiten Menschen im Unterschied zu den ebenfalls hoch entwickelten Menschenaffen verfügen, die es ihnen ermöglichten, eine traditionsfähige Kultur zu schaffen. Ein Schlüsselelement dafür sei die Fähigkeit des Menschen, sich in die Perspektive seiner Artgenossen hineinzuversetzen und deren Verhalten sowie die damit verknüpften Absichten zu imitieren, ist der Wissenschaftler überzeugt.

Tomasello wurde für seine Forschungsarbeiten unter anderem mit dem Preis für Kognitionswissenschaften der Fyssen Stiftung (2004), dem Jean-Nicod-Preis für Philosophie und Kognitionswissenschaften (2006), dem Oswald-Külpe-Preis der Universität Würzburg (2009) und dem Hegel-Preis der Stadt Stuttgart (2009) ausgezeichnet. Als wissenschaftlicher Gastgeber im Netzwerk der Humboldt-Stiftung arbeitete er mit mehreren Humboldt-Forschungsstipendiaten sowie dem Sofja Kovalevskaja-Preisträger Brian Hare zusammen.

Preisträger 2009
Gedächtnisgeschichte

Aleida Assmann

Prof. Dr. Aleida Assmann

Universität Konstanz

Anglistik & Amerikanistik

Universitätsstraße 10

78457 Konstanz

Deutschland

Aleida Assmann ist Professorin für Englische Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz. Sie gilt als Pionierin der Gedächtnisgeschichte und steht mit ihrer Forschung für eine interdisziplinäre Verknüpfung der Geschichtswissenschaft mit Fächern wie der Psychologie, der Neurobiologie und der Literaturwissenschaft.

Sie ist eine der prominentesten Literaturwissenschaftlerinnen weltweit. Mit ihren auch von einer breiteren Öffentlichkeit beachteten Arbeiten gibt sie gesellschaftliche Impulse zu den Debatten über die Erinnerung an den Holocaust oder über die Schaffung einer europäischen Erinnerungskultur. Mit dem Preisgeld wird sie ihre Forschung zur europäischen Gedächtnisgeschichte vertiefen und das internationale Netzwerk der Universität Konstanz in der Gedächtnisforschung ausbauen.

Karl Galinsky

Prof. Dr. Karl Galinsky

The University of Texas at Austin

Department of Classics

1 University Station

Texas 78712 Austin

USA

Karl Galinsky ist Professor für Klassische Philologie an der University of Texas in Austin, USA, und einer der vielseitigsten und innovativsten Köpfe auf dem Gebiet der Kulturforschung, in der er Gebiete wie die Latinistik oder die Kunst- und Sozialgeschichte mit der Religions- und Altertumswissenschaft verknüpft.

So stellte er viel beachtete Verbindungen her zwischen der Antike und ihrer Rezeption in der modernen Kultur, sowie aktuelle Themen wie Architektur, Politikverdrossenheit oder Multikulturalität. Mit den Mitteln des Preises will Galinsky am Seminar für Klassische Philologie der Ruhr-Universität Bochum auf dem Gebiet der interdisziplinären Gedächtnisforschung sowie der Religionsgeschichte arbeiten und eine Forschungsgruppe mit Nachwuchswissenschaftlern aufbauen. Galinsky war 1993 bereits mit dem Humboldt-Forschungspreis ausgezeichnet worden und kooperierte als Preisträger mit Kollegen in Berlin und Mainz.

Preisträger 2008
Biomaterialien

Peter Fratzl

Prof. Dr. Peter Fratzl

Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung

Biomaterialien

Am Mühlenberg 1

D-14476 Potsdam-Golm

Deutschland

Prof. Dr. Peter Fratzl leitet seit 2003 die Abteilung "Biomaterialien" am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung und ist einer der Pioniere auf dem Gebiet biologischer und biomimetischer Werkstoffe.

Der Biophysiker versucht zu verstehen, warum Knochen und Holz so extrem stabil und gleichzeitig verformbar sind. Aufgrund seiner originellen experimentalphysikalischen Arbeiten und mehrfach ausgezeichneten interdisziplinären Forschung ist Fratzl einer der exponiertesten Vertreter biomimetischer Materialforschung. Kürzlich hat der Wissenschaftler die Verbreitung von wildem Weizen durch einen Motor- und Steuermechanismus der Grannen entdeckt. Der Preis soll der weiteren Erforschung mechanischer Eigenschaften von biologischen und biomimetischen Materialien dienen sowie biomimetische Materialien stärker ins Blickfeld der Wissenschaft rücken.

Robert S. Langer

Prof. Dr. Robert S. Langer

Massachusetts Institute of Technology in Boston (MIT)

Department of Chemical Engineering

77 Massachusetts Ave

MA 02139-4307 Cambridge

USA

Seit 2005 ist Prof. Dr. Robert Langer Institutsprofessor für Chemie-Ingenieurwesen und Medizintechnik am Massachusetts Institute of Technology in Boston (MIT), USA. Langers wissenschaftliche Werke konzentrieren sich vorwiegend auf die Übertragung biologischer Funktionen auf Materialien.

Richtung weisend für die Forschung auf seinem Gebiet sind vor allem seine Arbeiten, die sich mit der kontrollierten Freisetzung von Arzneistoffen befassen. Die Auszeichnung Langers soll biologisch komponierte Materialien im Bereich der biotechnologischen und biomedizinischen Forschung stärker fördern.

Preisträger 2007
Neuromodulation und Verhalten

Raymond Joseph Dolan

Prof. Dr. Raymond Joseph Dolan

University College London & Wellcome Trust Centre for Neuroimaging

Kognition und Emotionen

12 Queen Square

WC1N 3BG London

Großbritannien

Er erforsche die Anatomie der Emotionen, sagt Raymond Dolan gern, wenn er in aller Kürze erklären soll, worum sich seine Arbeit dreht. Anatomie und Emotionen – das sind zwei Begriffe, die aufs erste Hören so gar nicht zueinander zu passen scheinen. Oder lassen sich Gefühle etwa in einem kalten Sektionssaal sezieren?

Auch wenn es ganz soweit noch nicht ist: Tatsächlich kann Raymond Dolan die Lage von Gefühlen im Gehirn beschreiben. Wie und wo entstehen Gefühle eigentlich? Wie verarbeitet unser Gehirn sie? Und warum fühlen verschiedene Menschen so unterschiedlich? Das sind die zentralen Fragen, die Raymond Dolan bewegen. Damit hat er sich gewiss keine leichte Aufgabe gesucht. Schließlich gelten Emotionen als jener Bereich des Bewusstseins, der sich am wenigsten leicht erforschen lässt – aus dem einfachen Grund, dass emotionale Zustände nun einmal von Grund auf subjektiv sind.

Raymond Dolan ist ihnen trotzdem auf die Schliche gekommen – mit ebenso intelligenten wie innovativen Ansätzen. Er gilt als Pionier der modernen Neuroverhaltensforschung. Er hat das Feld revolutioniert, indem er den Ursprung der Gefühle mit Bildtechniken wie der funktionellen Kernspintomographie entzaubert hat. Auf diese Weise kann er dem Gehirn quasi beim Arbeiten zuschauen. Die bildgebenden Verfahren stellen die Spuren optisch dar, welche die Emotionen in unseren Köpfen hinterlassen. Wenn etwas Ergreifendes passiert, findet im Gehirn eine ganze Kaskade von Ereignissen statt. Vor allem feuern die Nervenzellen in einem Hirnbereich wie wild, der Amygdala oder auch Mandelkern genannt wird und als Ort der Gefühlsverarbeitung gilt. Das Erlebte wird aber nicht nur emotional empfunden, sondern auch mitsamt den Gefühlen ins Gedächtnis überführt. Dieses emotionale Gedächtnis konnte Raymond Dolan im Kopf verorten: Zwei Hirnregionen werden einbezogen, wenn Gefühle zur Erinnerung werden – der schon erwähnte Mandelkern und der Hippocampus, der auch beim kognitiven Gedächtnis eine Rolle spielt.

Wenn sich Raymond Dolan für ein Gefühl besonders interessiert, dann ist das die Angst. Der Neuropsychiater will vor allem den Unterschied zwischen angeborener und erworbener Angst erforschen. Angeborene Angst zeigt sich beispielsweise, wenn ein Mensch eine giftige Schlange erblickt. Erworbene Angst hingegen kann schon auftreten, wenn nur jemand anderes von einer Schlange erzählt. Die angeborene Angst entsteht durch die Aktivierung des Mandelkerns, wie Raymond Dolan belegen konnte. Sie lässt sich nicht kontrollieren, selbst wenn man weiß, dass sich die Schlange hinter sicherem Panzerglas befindet. Denn die Verbindung zwischen Bewusstsein und Gefühlen ist in diesem Fall abgeschaltet. Anders ist das bei der erworbenen Angst. Hier tritt neben dem Mandelkern auch der Thalamus in Aktion – das „Tor zum Bewusstsein“ also. Raymond Dolan konnte zeigen, dass es möglich ist, eine verstärkte emotionale Erinnerung zu blockieren, indem er Testpersonen pharmakologisch aktive Substanzen gab. Dies könnte einmal Eingang in die Behandlung von Menschen finden, bei denen sich traumatische Ereignisse so fest in das Gedächtnis eingebrannt haben, dass eine Posttraumatische Belastungsstörung entstanden ist.

In jüngster Zeit hat sich Raymond Dolan auf ein weiteres komplexes Feld eingelassen – nämlich auf die Frage, wie Menschen eigentlich Entscheidungen treffen. Dabei zeigte er, dass die Vernunft keineswegs so vernünftig ist, wie sie zu sein verspricht. Es sind die Emotionen, welche die Entscheidungsfindung erheblich beeinflussen – selbst in durchweg ökonomischen Situationen. Beim Fällen einer Wirtschaftsentscheidung sind keineswegs nur die rationalen Strukturen im Gehirn aktiv, wie Dolan zeigen konnte, sondern auch der für die Gefühle zuständige Mandelkern.

Es sind meist bekannte Phänomene, mit denen sich Raymond Dolan beschäftigt. Wir alle wissen, dass wir uns schon schütteln, wenn uns jemand etwas Grässliches erzählt. Und wenn wir ehrlich sind, wissen wir auch, dass unser Verstand die Entscheidung nur gut begründet, die unser Gefühl längst getroffen hat. Es ist das Verdienst von Raymond Dolan, herausgefunden zu haben, wie und wo diese bekannten Phänomene im Gehirn verarbeitet werden.

Hans-Christian Pape

Prof. Dr. Hans-Christian Pape

Westfälische Wilhelms-Universität

Institut für Physiologie I des Universitätsklinikums Münster

Robert-Koch-Str. 27 a

48143 Münster

Deutschland

Der Atem geht schnell, das Herz klopft, Schweiß bricht aus: Gleich, welche Ursachen Angst hat – sie äußert sich immer gleich. Hans-Christian Pape aber genügen diese Erkenntnisse aus der Physiologie nicht. Er will wissen, was im Gehirn passiert, wenn wir in Panik geraten.

Denn Furcht ist zwar zunächst eine ganz natürliche und auch sinnvolle Reaktion auf Bedrohliches. Nur allzu oft aber ist sie unangemessen stark oder tritt aus unpassendem Anlass auf – beim Anblick einer Spinne etwa oder wenn ein Mensch, der vor Jahren bei einer Explosion seine Hand verlor, eine Tür knallen hört. Dann kann sich eine Angst- oder Zwangserkrankung entwickeln, die nur schwer behandelbar ist. Bessere Therapien aber wären möglich, wenn die neurologischen und molekularen Prozesse der Angst genauer verstanden werden.

Eben das ist das Ziel von Hans-Christian Pape. Auf seiner Suche nach den Spuren der Angst im Gehirn hat der Neurophysiologe uns auf eine Weise in den Kopf geschaut, wie das zuvor niemand getan hat. Dabei macht er sich zunutze, dass das Furchtverhalten entwicklungsgeschichtlich sehr alt ist. Es läuft in allen Säugetieren ausgesprochen ähnlich ab, sodass Experimente mit Mäusen Aufschluss über die hirnbiologischen Grundlagen von Angsterkrankungen beim Menschen liefern können. Hans-Christian Pape verfügt über ein großes Repertoire verschiedenster Methoden, die er so intelligent kombiniert, dass er die hochkomplexen Funktionen im Gehirn durch Experimente erfassbar machen kann.

Die Angst – sie ist demnach ein rhythmisches Blinken im flackernden Lichtermeer. Dank Hans-Christian Pape wissen wir, dass Nervenzellen im Gehirn synchron aktiviert werden, wenn ein Lebewesen Angst aussteht. Dabei arbeiten Bereiche in jenen Hirnteilen rhythmisch zusammen, in denen Gefühle, Erinnerung und Vernunft beheimatet sind. Am besten lässt sich die komplizierte Kommunikation mit einem gigantischen Weihnachtsbaum mit Tausenden von Kerzen verdeutlichen. Diese Kerzen seien die Nervenzellen, ihr Flackern spiegelt ihre Aktivität wider. Wenn die Kerzen unkoordiniert flackern, erkennen wir nur Flackern. Sobald sich aber einige Kerzen rhythmisch synchronisieren, blinken sie als auffälliges Muster aus dem Meer der Lichter heraus. Es ist ein solches Muster, mit dem die synchronisierten Nervenzellen dem Körper signalisieren, dass gerade etwas Furchteinflößendes passiert. So lösen sie auch den beschleunigten Pulsschlag, den erhöhten Blutdruck und den Angstschweiß aus – Mechanismen, welche schließlich dazu führen, dass sich ein Lebewesen verteidigt oder die Flucht ergreift.

Kreist die rhythmische Aktivität aber zu lange in den Netzwerken der Nervenzellen weiter, brennt sie sich quasi in das Gehirn ein – ein Furchtgedächtnis bildet sich. Fortan genügt eine Situation, die nur schwach an ein schreckliches Ereignis erinnert, um das gesamte Angstprogramm wieder in Gang zu setzen. Unfallopfer oder Kriegszeugen können diesem Programm nur schwer entkommen. Weil Hans-Christian Pape aber das Funktionsprinzip des Furchtnetzwerks erkannt hat, wird es in Zukunft immer besser gelingen, das Furchtgedächtnis bei traumatisierten Menschen wieder zu löschen. Denn wenn der synchrone Rhythmus unterdrückt oder aber eine übergeordnete Station aktiviert wird, kann das Furchtgedächtnis überschrieben werden.

Der Rhythmus des Schlafens Ein rhythmisches Zusammenwirken tausender Nervenzellen gibt es nicht nur bei der Verarbeitung von Emotionen, wie sie in einem sehr alten Hirnbereich namens Amygdala stattfindet. Auch im Thalamus, dem „Tor zum Bewusstsein“, gibt es rhythmische Aktivität. Durch dieses Tor gelangen äußere Reize, wie sie die Sinnesorgane ständig aufnehmen, in die Tiefen des Endhirns – solange wir wach sind. Auch im Schlaf aber ist das Gehirn keineswegs abgeschaltet. Vielmehr verlangsamen die Nervenzellen des Thalamus dann ihren Rhythmus. Dadurch halten sie die Reize der Außenwelt von unserem Bewusstsein weitgehend fern, bis sie beim Aufwachen diesen Rhythmus wieder aufgeben. Das Verständnis der dabei wirkenden Regelprozesse verdanken wir zum großen Teil Hans-Christian Pape. Ohne ihn wüssten wir vielleicht bis heute nicht so recht, was unser Gehirn bei den alltäglichen Zuständen von Wachsein und Schlaf eigentlich so treibt.

Preisträger 2006
Kunstgeschichte

Horst Bredekamp

Prof. Dr. Horst Bredekamp

Humboldt-Universität zu Berlin

Institut für Kultur- und Kunstwissenschaften

10099 Berlin

Deutschland

„Ich spreche von Bildern, nicht von Kunst“, schrieb Horst Bredekamp schon 1974 in seiner Dissertation über „Bilderkämpfe von der Spätantike bis zur Hussitenrevolution“. Seit nunmehr drei Jahrzehnten forscht Bredekamp über die Macht der Bilder. Nach dem Iconic Turn reklamiert er für die Kunstgeschichte universelle Deutungskompetenz. Als viele schon vom „Tod der Kunstgeschichte“ sprachen, gab er der Disziplin neues Selbstvertrauen.

Selbst das von Linguisten beherrschte Feld der Film- und Medienanalyse sei genuines Aufgabengebiet einer historischen Bildwissenschaft. Schließlich habe das Fach in den letzten zweihundert Jahren ein feines Instrumentarium entwickelt, Bedingungen und Bedeutungen von Bildern kritisch zu reflektieren.

Bredekamps Schaffen ist erstaunlich vielseitig. Seine Kennerschaft reicht von der mittelalterlichen Skulptur bis zur Netzkunst. In dichter Folge publiziert der Renaissance- und Manierismusspezialist inspirierende Essays zu kulturgeschichtlichen Fragen, die Kunst und Technik, Naturwissenschaften, Philosophie sowie Politik miteinander verknüpfen. Nicht dickleibige Coffee-Table-Books der Kunsthistorie, sondern handliche Begleiter für intellektuelle Abenteurer sind sein Medium. Sandro Botticellis berühmtes Gemälde „La Primavera /Der Frühling“ entschlüsselt er genauso als politisches Bekenntnis der Medici wie die Choreographie des Calcio, des Florentinischen Fußballspiels. Kunstförderung und Fußballbegeisterung waren eben zwei Seiten einer Medaille.

Ob Bredekamp in den Kupferstichen zu Thomas Hobbes’ „Leviathan“ die Staatstheorie bereits vorgebildet sieht oder ob er in einer ungelenken Skizze einer Koralle von Charles Darwin das konstitutive Urbild der Evolutionstheorie identifiziert, stets geht es dem Grenzgänger darum, das Bild nicht nur als Illustration, sondern als Aktivposten philosophischen und naturwissenschaftlichen Denkens zu verstehen.

In der vielbesuchten Ausstellung „Theatrum naturae et artis“ im Martin-Gropius-Bau 2001 konnte er zusammen mit Johannes Brüning die diversen Studiensammlungen der Humboldt-Universität zurückführen auf jene Kunstkammer im Berliner Schloss, die Gottfried Wilhelm Leibniz gerne zu einem Palast der Sinne und des vergnüglichen Wissens ausgebaut hätte. Die entsprechende Studie „Die Fenster der Monade. Gottfried Wilhelm Leibniz’ Theater der Natur und Kunst“ (2004) macht nochmals deutlich, welche zentrale Rolle dem assoziativen Sehen in der modernen Philosophie zukommt.

Zunehmend wendet sich Bredekamp der Bedeutung der Bilder in den Naturwissenschaften zu. Je abstrakter die Forschungsgebiete, desto wichtiger das Bild, das – wie in der Nanotechnologie – zu einem wesentlichen Bestandteil der Forschung wird. Obwohl konstruiert, erscheinen die Darstellungen allgemein als „authentische“ Illustrationen einer nie gesehenen Wirklichkeit. Im Sinne einer umfassenden Aufklärung über die Kultur der sehenden Erkenntnis gründete Bredekamp zusammen mit Mathematikern und Mediävisten, Medienwissenschaftlern und Informatikern, Kulturwissenschaftlern und Philosophen das interdisziplinäre Hermann-von-Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik an der Humboldt-Universität.

Dort ist auch jenes zukunftsweisende Projekt angesiedelt, in dem erstmals technische Bilder seit dem 16. Jahrhundert gesammelt, geordnet und analysiert werden sollen. Der digitale Bildatlas – nicht unähnlich dem utopischen Atlas der Einbildungskraft, den Leibniz plante – umfasst inzwischen über 2000 Objekte. Das Gesamtprojekt ist vorerst auf acht Jahre angelegt. Dabei sollen unter anderem Realmodelle der Chemie und Physik oder Uhren als Weltmodelle untersucht werden. Die Analyse von Biobildern verspricht genauso spannend zu werden wie die Erkundung von Architektursoftware oder Computerspielen.

Immer geht es um Metaphern unseres historischen Weltverständnisses. Der Max-Planck-Forschungspreis wird diese einmalige, international vernetzte und für den Forschungsstandort Deutschland wegweisend transdisziplinäre Arbeit voranbringen.

Alina A. Payne

Prof. Dr. Alina A. Payne

Harvard University Cambridge, Mass.

Department of History of Art and Architecture

MA 02138 Cambridge, Mass., USA

USA

Ornament, ein Verbrechen? Adolf Loos’ Purismus-Manifest von 1908 war ein Fanal. Nicht nur die Architekten der Moderne, sondern auch die Architekturhistoriker des frühen 20. Jahrhunderts wollten vom Ornament nichts mehr wissen. Die Baukunst der Renaissance erschien den Forschern Resultat einer rein mathematischen Harmonielehre. So wurde lange übersehen, welch zentrale Rolle dem Dekor in der Architekturtheorie und -praxis der Renaissance zukommt. Die Architektin Alina A. Payne nahm bezeichnenderweise Ende der 80er-Jahre ihr Kunstgeschichtsstudium auf, als die Postmoderne ihren Zenit erreicht hatte. Das Ornament und die Säule hatten wieder Konjunktur. So kam mancher zu dem Schluss: „Man kann nicht die Geschichte nicht kennen.“

Payne wollte der Geschichte auf den Grund gehen. Angeregt von ihrem Professor an der University of Toronto, dem angesehenen Alberti-Kommentator Hans-Karl Lücke, begann sie sich mit den Texten auseinanderzusetzen, die am Anfang aller Architekturtheorie standen: Allen voran die „Zehn Bücher über Architektur“ von Vitruv (circa 30 v. Chr.). Dieses einzige vollständig überlieferte Werk der Kunsttheorie der Antike galt von der Renaissance bis ins 17. Jahrhundert hinein als sakrosanktes Regelwerk, das jedoch aufgrund seiner rätselhaften Terminologie nicht nur zu Interpretationen, sondern zu Erfindungen herausforderte. Zumal auch die von den Archäologen freigelegten Bruchstücke antiker Architektur kaum mit dem Geschriebenen übereinstimmten. So beklagte schon Leon Battista Alberti die wirren Formulierungen Vitruvs und entschloss sich, eine eigene Theorie, die erste der Neuzeit, zu entwickeln (1452, gedruckt 1485).

„Close reading“ nennt Payne ihre Methode, die bekannten und auch die übersehenen Architekturtraktate der Renaissance von Alberti bis Vicenzo Scamozzi (1615) einer subtilen Revision zu unterziehen. Mit dem literaturwissenschaftlichen Instrumentarium und einer hohen Sprachsensibilität für das Lateinische wie das Italienische vermag Payne Erstaunliches zu entdecken: Die Autoren der Traktate – Philosophen, Künstler, Archäologen – übernahmen Fragestellungen und Argumentation der Rhetorik und Poetik, der damaligen Leitkultur. So benutzte Sebastiano Serlio (1537) Wortfelder der Beredsamkeit zur Beschreibung der Bauornamentik. Auch führte er den Begriff der licentia, der künstlerischen Freiheit, von dort in die Architekturtheorie ein. Über den Imitatio-Begriff der Poetik vermochte sich die Architektur auch als mimetische Kunst zu definieren. Ja, ob eine Fassade gut ist, beruht letztlich auf Fiktion! Wie in der Rhetorik der Redeschmuck, so sollen in der Architektur die Säulenordnungen, Architrave, Friese – also die „Ornamente“ – der angenommenen Sache „angemessen“ sein. Damit ergaben sich Spielräume für Innovationen vor allem im Bereich des Ornaments.

Mit derselben Sorgfalt, mit der Payne die Architekturtraktate neu gelesen hat, unterzog sie die Standardwerke der Renaissanceforschung einer kritischen Lektüre. In ihrem preisgekrönten Aufsatz über Rudolf Wittkower, dessen „Architectural Principles in the Age of Humanism“ (1949) noch immer zu den meistzitierten Werken der Kunstgeschichte gehört, konnte sie nachweisen, wie sehr dessen Wahrnehmung von der Ästhetik der Moderne geprägt war. Paynes literarische Studien bereichern die Tradition deutsch-amerikanischer Architekturhistorie um überraschende Sichtweisen. Ihr Ziel ist es, die Architekturgeschichte und -theorie, die seit der Moderne an den Rand der kunsthistorischen Fächer gedrängt und weitgehend an die praktisch ausbildenden Architekturfakultäten delegiert wurde, wieder zentral zu positionieren. Paynes Forschung scheint auf eine Geschichte der künstlerischen Ästhetik der Architektur der Neuzeit zu zielen. Die Frage nach der Rolle des lange verpönten Ornaments wird Leitthema bleiben: Wesen oder Beiwerk, das ist die Frage. Damit verbunden beschäftigen Payne zunehmend die Architekturdebatten der Moderne.

Preisträger 2005
Astrophysik

Christopher Carilli

Dr. Christopher Carilli

National Radio Astronomy Observatory Socorro

PO Box O, Socorro NM

87801 Socorro, New Mexico

USA

Vor rund 13,7 Milliarden Jahren nahmen mit dem Urknall Raum und Zeit ihren Anfang. Doch wie entstanden die ersten Strukturen im Universum – Sterne, Galaxien, Galaxienhaufen und letztlich auch die Planeten, darunter die Erde? Einer, der Antworten auf diese Fragen zu finden versucht, ist Christopher Carilli.

Sein Beobachtungsinstrument ist eines der größten der Welt und sein Arbeitsplatz einer der schönsten, die Hochebene von Socorro in New Mexico, USA. 27 Radioteleskope, jedes 30 Meter im Durchmesser, fangen Signale auf, die das Rätsel unserer Existenz lösen könnten. Anders als die meisten Radioteleskope können diese auf Schienen bewegt und ihre Entfernung voneinander verändert werden. Zusammengeschaltet erreicht das Very Large Array (VLA) die Empfindlichkeit und Leistungsfähigkeit eines Riesenteleskops, das so wohl nie gebaut werden könnte. Die Einzelteleskope zu synchronisieren und die Daten zusammenzuführen, erfordert höchste technische Präzision und ein hohes Maß an wissenschaftlicher Kreativität. Christopher Carilli vereint beides und versteht es so, die Grenzen des Beobachtbaren immer weiter hinauszuschieben. Als Radioastronom hat sich Christopher Carilli mit einem breiten Spektrum an Themen befasst, so mit Radiogalaxien, Quasistellaren Objekten und Galaxienclustern.

Christopher Carillis bemerkenswert kreative wissenschaftliche Arbeit, zusammen mit seinem hohen technischen Verständnis, hat ihn an die Spitze der führenden Radioastronomen gebracht. So hat Carilli eine der wenigen Methoden entwickelt, um die Rotverschiebung von Radioobjekten abzuschätzen. Er ist auch maßgeblich an der Entwicklung der nächsten Generation von Radioteleskopen beteiligt, wie etwa dem Square Kilometre Array (SKA). Mit diesen Teleskopen sollen jene Daten gewonnen werden, um die noch ausstehenden Antworten auf die großen kosmologischen Fragen zu finden. Dr. Christopher Carilli wird das Preisgeld zur Unterstützung junger Nachwuchswissenschaftler einsetzen, insbesondere für das Studium der kosmischen Reionisierung, jener Zeit, in der die Sterne entstanden und sich erste Strukturen im Universum gebildet haben.

Christof Wetterich

Prof. Dr. Christof Wetterich

Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Institut für Theoretische Physik

69117 Heidelberg

Deutschland

Wo das Kleine auf das Große trifft, könnten in naher Zukunft schon die großen Fragen der Kosmologie entschieden werden. Während Astronomen mit immer größeren Teleskopen in die Tiefen des Weltalls blicken, suchen Teilchenphysiker mit gigantischen Beschleunigern nach den kleinsten Bestandteilen der Materie. Christof Wetterich, Teilchenphysiker und theoretischer Physiker, versucht eines der großen Geheimnisse des Universums zu ergründen: die Dunkle Energie.

Sie hat sich bislang Laborexperimenten entzogen, auch Detektoren sprechen nicht auf sie an. Gleichmäßig über den Raum verteilt, scheint die Dunkle Energie das Universum zu beherrschen. Bemerkbar macht sie sich vor allem dadurch, dass sie die Expansion des Universums in den letzten fünf Milliarden Jahren beschleunigt hat. Was steckt hinter dieser mysteriösen Dunklen Energie? Nur wenn es gelingt, ihre Natur zu ergründen, werden auch Vorhersagen über die Zukunft des Universums möglich sein.

Christof Wetterich schlug erstmals die Existenz einer dynamischen Dunklen Energie vor, die später Quintessenz getauft wurde. Mit dem Quintessenz-Modell hat er eine der schlüssigsten und auch populärsten Erklärungen für die beschleunigte Expansion des Universums geliefert. Seitdem liegt ein Forschungsschwerpunkt Wetterichs auf der Frage, welche die Physiker immer wieder beschäftigt: die mögliche Unterscheidung von dynamischer Quintessenz und statischer Dunkler Energie.

Wetterich hat bei den theoretischen und phänomenologischen Überlegungen zu dieser entscheidenden kosmologischen Fragestellung eine führende Stellung eingenommen. Es ist abzusehen, dass diese in Zukunft weiter ausgebaut wird. Der Max-Planck-Forschungspreis ermöglicht Wetterich den Aufbau einer Arbeitsgruppe zur Interpretation und Zusammenführung der unterschiedlichsten astronomischen Beobachtungen und zur Bewertung verschiedener kosmologischer Modelle, so dass bereits in naher Zukunft ein vertieftes Verständnis der Dunklen Energie zu erwarten ist. Die Dunkle Energie stellt die Wissenschaft vor eine große Herausforderung.

Preisträger 2004
Bioinformatik

Eugene W. Myers

Prof. Dr. Eugene W. Myers

University of California in Berkeley
775 Soda Hall 94720-1776
Berkeley
USA

Die vollständige Entschlüsselung des menschlichen Erbguts mit seinen rund drei Milliarden Bausteinen gilt als Meilenstein der Wissenschaft. Eugene W. Myers, Professor für Computerwissenschaften an der University of California in Berkeley und Pionier der Bioinformatik, hatte daran entscheidenden Anteil.

Als Leiter der Bioinformatik-Abteilung des US-Unternehmens Celera Genomics entwickelte er Verfahren für die Aneinanderreihung der bei der Sequenzierung zunächst entstehenden Genabschnitte (Klone). Myers erkannte als Erster, dass das Problem der richtigen Anordnung (Assemblierung) von Genabschnitten durch vorhergehende Größenselektion der Klone behandelbar ist. Mithilfe von Simulationen demonstrierte er, dass bei Verwendung von Klonen zweier definierter Größen die Überlappungen der Sequenzen für das gesamte Humangenom aufgelöst werden konnten - der Schlüssel zur Darstellung des gesamten Genoms.

Martin Vingron

Prof. Dr. Martin Vingron

Max-Planck-Institut für molekulare Genetik

Abt. Computational Molecular Biology

Ihnestrasse 63 - 73

14195 Berlin

Deutschland

Die Bioinformatik vereinigt so unterschiedliche Forschungsdisziplinen wie Molekularbiologie, Statistik, Informatik und Genetik. Prof. Martin Vingron, Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin, gehört zu den weltweit führenden Wissenschaftlern auf diesem Gebiet.

Seine Hauptinteressen umfassen die Expression von Genen, d.h. die Umsetzung genetischer Information in Genprodukte, sowie die Regulation der Genaktivität. Viele Krankheiten oder auch Krankheitsstadien können durch das spezifische Aktivitätsmuster ("Genexpressionsprofil") der ca. 30.000 Gene des menschlichen Organismus charakterisiert werden. Mithilfe von "DNA-Microarrays" oder "Gen-Chips" kann künftig das Erbgut eines einzelnen Patienten auf kleinste Veränderungen untersucht und auf Grundlage der Ergebnisse gezielt therapiert werden - eine Entwicklung, die kurz vor dem Übergang in den medizinischen Alltag steht. Vingrons Arbeiten bilden dafür eine wesentliche Grundlage.

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