Moleküle maßgeschneidert
Lichtaktivierbare Ionenkanäle, die sogenannten Channelrhodopsine, können Nervenzellen aus- und einschalten
Die einzellige Grünalge Chlamydomonas reinhardtii sieht nicht viel mit ihrem nur aus lichtempfindlichen Rhodopsin-Molekülen bestehenden Auge. Das Algenrhodopsin hat es aber trotzdem in sich. Es hat in den letzten Jahren eine Revolution in der Neurobiologie ausgelöst. Ernst Bamberg vom Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt hat mitgeholfen, es berühmt zu machen. Er erforscht nun die Moleküle und entwickelt neue Varianten für die Grundlagenforschung und die Medizin.
Text: Catarina Pietschmann
Zum Sehen braucht Chlamydomonas lediglich eine Ansammlung von Proteinen – den sogenannten Augenfleck. Unter dem Mikroskop erscheint er als gelber Punkt in der ansonsten grünen Algenzelle. Damit sieht Chlamydomonas, was sie sehen muss – Hell, Dunkel und ein paar Schattierungen dazwischen. So kann sie je nach Lichtverhältnissen auf oder abtauchen.
Der Augenfleck setzt sich aus rund 200 verschiedenen Proteinen zusammen, darunter lichtempfindliche Rhodopsin-Moleküle. Rhodopsine kommen in ähnlicher Form auch im menschlichen Auge vor, genauer gesagt: in den Lichtsinneszellen, und wandeln das einfallende Licht in ein elektrisches Signal um, das zur Weiterverarbeitung ins Gehirn geleitet wird.
Rhodopsine bestehen aus zwei Komponenten: dem Protein Opsin und einem lichtempfindlichen Molekül, dem Carotinoid Retinal. Das Sehen im Auge beginnt, wenn Licht die im Dunklen abgeknickte Form des Retinals in eine lang gestreckte Form umwandelt. Dies aktiviert beim Menschen und anderen Säugetieren das Rhodopsin und blockiert über einen mehrstufigen Prozess das Einströmen von positiven Ionen in die Zelle.
Lichtrezeptor und Ionenkanal in einem
2002 haben Bamberg und Georg Nagel zusammen mit Peter Hegemann von der Humboldt-Universität zu Berlin herausgefunden, wie die Algenrhodopsine funktionieren. Die Forscher übertrugen das Rhodopsin-Gen auf Eizellen des Krallenfrosches und stellten fest, dass die Proteine Lichtrezeptor und Ionenkanal in einem einzigen Protein vereinen. Das Algenrhodopsin funktioniert also anders als die Rhodopsine der Säugetiere: Das Opsin bildet selbst einen Ionenkanal, der durch Licht geöffnet werden kann und durch den dann die Ionen fließen können. Dadurch werden Lichtreize in der Algenzelle schneller in ein elektrisches Signal umgewandelt als im menschlichen Auge.
Die Forscher gaben dem Protein den Namen Channelrhodopsin bzw. Kanalrhodopsin. Schnell war ihnen klar, dass das Protein der Wissenschaft ungeahnte Möglichkeiten eröffnen würde. In einer umfangreichen Patentschrift nach ihrer Entdeckung haben sie bereits detailliert mögliche Anwendungen für die Neurobiologie und Biomedizin aufgezählt. „Aus jetziger Sicht war das damals beinahe etwas anmaßend, aber es hat sich mittlerweile fast alles bestätigt. Es gibt bis heute kaum eine Anwendung für die Channelrhodopsine, die nicht in unserem Patent enthalten ist“, sagt Ernst Bamberg. So wurde bereits eine Teillizenz zur Behandlung von Augenkrankheiten an einen großen Pharmakonzern vergeben.
Es klingt ganz einfach, und mit den Methoden der modernen Molekularbiologie ist es das auch: Wird das Gen für eines der verschiedenen Channelrhodopsine, das Channelrhodopsin-2, in eine Nervenzelle eingeschleust, produziert die Zelle fortan den Ionenkanal und baut ihn in ihre Zellmembran ein. Die Zelle kann nun durch blaues Licht angeschaltet werden und beginnt, elektrische Impulse zu produzieren. „Bis dahin konnte man Nervenzellen nur durch Mikroelektroden aktivieren. Das Channelrhodopsin-2 macht diese vergleichsweise umständliche Prozedur bei vielen neurobiologischen Fragestellungen insbesondere im lebenden Tier überflüssig“, erklärt Bamberg. „Nun ist es beispielsweise möglich, die Aktivität von Nervenzellen im Gehirn einer Maus mit einem Laserstrahl zu verändern und das daraus resultierende Verhalten auf zellulärer Ebene zu analysieren.“
Fehlt eigentlich nur noch ein Knopf zum Ausschalten. Auch den liefert die Natur quasi frei Haus: Das Bakterium Natronomonas pharaonis, das in den 1980er-Jahren in einem ägyptischen Salzsee entdeckt wurde, kann der hohen Salzkonzentration in seinem Lebensraum nur trotzen, weil es in seinem Inneren noch mehr Salz anreichert. Mit der lichtempfindlichen Ionenpumpe Halorhodopsin befördert es aktiv negativ geladene Chloridionen in die Zelle. Solange das Halorhodopsin aktiv ist, befindet sich diese im Ruhezustand und kann elektrisch nicht aktiviert werden. Die Transporteigenschaften des Proteins hatte Bamberg bereits Jahre zuvor untersucht. Das Halorhodopsin wird ebenfalls von Licht aktiviert, allerdings von gelbem – und nicht von blauem Licht wie das Channelrhodopsin-2.
Nervenzellen mit den Genen für Channelrhodopsin-2 und Halorhodopsin können also nach Belieben mit Licht an- und ausgeschaltet werden: Blaues Licht lässt positive Natrium- und Calciumionen einströmen und macht die Zelle dadurch positiver. Gelbes Licht öffnet die Tore für negative Chloridionen und verschiebt das Zellpotenzial ins Negative. „Der große Vorteil dieser Vorgehensweise liegt darin, dass wir einzelne elektrisch erregbare Zellen wie Nerven- und Muskelzellen ohne Elektroden in Kultur und im lebenden Tier einfach mit Licht verschiedener Wellenlänge an- und abschalten können – und das auch noch mit hoher zeitlicher und bis dahin ungekannter räumlicher Auflösung“, stellt Bamberg fest.
Mit diesen molekularen Lichtschaltern konnten Bamberg und Nagel 2005 und 2007 zusammen mit Alexander Gottschalk von der Universität Frankfurt erstmals das Verhalten eines lebenden Organismus mit Licht steuern. Sie statteten Nerven- und Muskelzellen des Fadenwurms C. elegans mit Channelrhodopsin- 2 und Halorhodopsin aus. Blaues Licht ließ den Wurm vorwärtsschlängeln, gelbes Licht machte ihn bewegungslos. Parallel dazu zeigten die Forscher gemeinsam mit Karl Deisseroth von der Universität Stanford, dass die beiden Rhodopsine auch Nervenzellen in Zellkultur an- und ausschalten können.
Noch lichtempfindlicher, noch schneller
Bamberg ist Experte für Ladungstransporte an Zellmembranen, jenen Barrieren, die zugleich Schutzwall und Schnittstelle der Zelle zur Außenwelt sind. Einer der jetzigen Schwerpunkte in Bambergs Forschung ist es, neue Rhodopsin-Varianten mit optimierten Eigenschaften zu entwickeln. Dafür musste er jedoch noch genauer verstehen, wie der Kanal arbeitet. Zunächst untersuchte er deshalb, was die Durchlässigkeit des Kanals für bestimmte Ionen festlegt und wie die Empfindlichkeit für unterschiedliche Wellenlängen des Lichts die Kanalaktivität beeinflusst. Damit schuf Bamberg die Voraussetzungen für die Suche nach Rhodopsinen, die beispielsweise nur für bestimmte Ionen durchlässig sind oder durch andere Wellenlängen aktiviert werden.
Zusammen mit Kollegen am Frankfurter Max-Planck-Institut und von der Universität Osnabrück hat er beobachtet, welche Abschnitte von Channelrhodopsin-2 zur Öffnung des Kanals notwendig sind. „Dies liefert uns Hinweise darauf, wie das Channelrhodopsin aussehen müsste, damit es neue Eigenschaften bekommt“, erklärt Bamberg. Die Forscher verändern dafür gezielt das Channelrhodopsin-Gen und erzeugen neue Varianten des Proteins. Parallel dazu durchkämmen die Wissenschaftler auch weitere Channelrhodopsine, die inzwischen von anderen Algenarten bekannt sind, nach potenziellen Molekülen für die Optogenetik.
Zunächst übertragen sie die Kandidaten auf Eier des südafrikanischen Krallenfrosches Xenopus laevis oder auf menschliche Nierenzellen in Zellkultur. In diesen Zellen können die Channelrhodopsine leicht untersucht werden. Danach erst folgen Nervenzellen. Jedes Rhodopsin wird darauf getestet, welche Wellenlänge des Lichts es aktiviert, welche Ionen es passieren lässt und wie schnell sich der Kanal öffnet und wieder schließt.
Auf diese Weise hat Bamberg mit seinen Kollegen unter anderem die Channelrhodopsin-Variante CatCh entwickelt, die Nervenzellen schon mit etwa 70-mal weniger Licht aktivieren kann. Der Kanal kann auch zur Aktivierung von Calcium-abhängigen Ionenkanälen genutzt werden.
Eine weitere Neuheit aus der Abteilung Bamberg ist ein gekoppelter Ein- und Ausschalter für Nervenzellen. Die Forscher haben dafür ein Channelrhodopsin- und ein Halorhodopsin-Molekül miteinander fusioniert. Ein zwischengeschaltetes Protein koppelt die Schalterproteine aneinander und verankert sie stabil in der Zellmembran. „Werden ein Channelrhodopsin- und ein Halorhodopsin-Gen getrennt voneinander in das Erbgut der Zelle eingefügt, produzieren die Zellen unterschiedliche Mengen der beiden Proteine, sodass meist eines davon dominiert. Mit unserem gekoppelten Protein können wir sicherstellen, dass Ein- und Ausschalter immer im Verhältnis eins zu eins am gewünschten Ort in die Zellmembran eingebaut werden“, erklärt Ernst Bamberg. Auf diese Weise lässt sich die Aktivität einer Zelle unter besser definierten Bedingungen und mit größerer Präzision mit blauem Licht anund mit gelbem Licht ausschalten.
Bamberg und sein Team entwickeln aber nicht nur neue Moleküle, sie treiben auch deren Einsatzmöglichkeiten voran: Die Optogenetik könnte Menschen wieder zum Sehen verhelfen, denen das natürliche Rhodopsin im Auge verloren gegangen ist. Doch dazu müssen die Wissenschaftler zuerst einmal im Tierversuch andere Zellen in der Netzhaut dazu bringen, das Channelrhodopsin zu produzieren. Doch wie lassen sich Gene für ein Algenprotein auf Säugetiere übertragen? Mit Viren! Dabei wird eine Klasse von Viren eingesetzt, die bereits bei anderen gentherapeutischen Ansätzen erfolgreich war. Sie werden mit dem Channelrhodopsin-Gen bepackt und können dieses in das Erbgut einer Zelle einschleusen.
Damit ist allerdings noch nicht gesagt, dass das Algenrhodopsin im menschlichen Auge funktioniert. Denn so ähnlich die Rhodopsine auch sind, ihre Funktion ist doch recht unterschiedlich. Während die Channelrhodopsine bei Lichteinfall das elektrische Potenzial über der Zellmembran ins Positive verschieben, bewirkt Licht im menschlichen Auge genau das Gegenteil: Es macht die Sehzellen im Innern negativer. Dies aktiviert die sogenannten Bipolarzellen – sie werden dadurch im Innern wiederum positiver. Über das Nervenzell-Netzwerk im Auge wird das Signal weiterverarbeitet und über den optischen Nerv an das Gehirn weitergeleitet.
Erblindete Mäuse finden zum Licht
Die Wissenschaftler aus Basel und Paris greifen deshalb zu einem Trick und bauen Channelrhodopsin-2 in die ursprünglich nicht lichtempfindlichen Bipolar- oder Ganglionzellen von Mäusen ein. Die abgestorbenen Lichtsinneszellen werden dadurch umgangen. Die Versuche verliefen positiv: Durch den Verlust von Lichtsinneszellen erblindete Mäuse, die mit einem Channelrhodopsin-Gen ausgestattet worden waren, liefen nach kurzer Zeit wieder zielstrebig auf eine Lichtquelle zu. Zudem behalten die Tiere nach der Therapie ihre Sehfähigkeit dauerhaft, denn die Nervenzellen mit dem Rhodopsin-Gen produzieren das Algenprotein lebenslang.
Das ist umso verblüffender, da die Zellen mit dem Gen nur die Bauanleitung für den Proteinteil des Channelrhodopsins erhalten. Das lichtempfindliche Retinal ist dagegen kein Protein und wird deshalb nicht aus dem Gen abgelesen. Trotzdem ist es in den Bipolarzellen vorhanden, denn jede Zelle bildet den Ausgangsstoff für das Retinal – das Vitamin A. Fast alle Säugetierzellen bilden also Retinal. Sie liefern die Lichtantenne also quasi frei Haus! „Wir hatten einfach Glück, dass ein Rhodopsin aus Pflanzen oder Bakterien bei einem Säugetier genauso gut funktioniert wie in der ursprünglichen Zelle selbst“, sagt Bamberg.
Bambergs Team forscht zusammen mit den Kollegen aus Basel und Paris schon seit einiger Zeit an einer gentherapeutischen Therapie für Netzhauterkrankungen. Bamberg möchte dafür maßgeschneiderte Rhodopsine herstellen. Im Fokus steht die altersbedingte Makuladegeneration. Bei dieser Erkrankung gehen die Lichtsinneszellen im schärfsten Punkt des Auges zugrunde.
Gentherapie fürs Auge
Die Gentherapie könnte auch bei anderen Netzhauterkrankungen zum Einsatz kommen, denn es gibt mehrere Erkrankungen, die zum Absterben der Sehzellen führen. „Das Faszinierende an der Optogenetik ist, dass die Behandlung mit den Algenrhodopsinen gar nicht die Entstehung der Erkrankung beeinflusst, sondern deren Endergebnis beseitigt. Eine einzige Therapie könnte deshalb gegen mehrere Erkrankungen eingesetzt werden.“
Ein Problem stellt noch die Anpassung an verschiedene Lichtintensitäten dar. Das menschliche Auge hat einen dynamischen Bereich für die Lichtintensität von zehn bis zwölf Größenordnungen. Das ermöglicht uns sowohl im gleißenden Licht auf dem Gletscher als auch im dunklen Keller zu sehen. Der dynamische Faktor der Channelrhodopsine liegt aber nur bei etwa einer Größenordnung. Um diese Schwierigkeit zu umgehen, werden Brillen entwickelt, die mithilfe einer Kamera mit großem dynamischem Bereich das Bild aufnehmen und es an Fotodioden weiterleiten. Diese projizieren es dann mit einer für die Channelrhodopsine optimalen Intensität auf die Netzhaut.
Aber nicht nur im Auge könnten die optogenetischen Werkzeuge segensreiche Wirkung entfalten. „Grundsätzlich funktionieren sie in allen elektrisch erregbaren Zellen, also in erster Linie Muskel- und Nervenzellen“, sagt Ernst Bamberg. Und so präsentiert der Forscher eine lange Liste möglicher Anwendungen in der Medizin. Sie reicht von Hirnstimulation bei Parkinson-Patienten, die mit feinen Lichtleitern und Channelrhodopsinen präziser zu bewerkstelligen ist, über lichtgesteuerte Herzschrittmacher bis zu Implantaten für das Innenohr. So haben Forscher an der Uniklinik Göttingen Bambergs CatCh-Protein erfolgreich in das Innenohr von Mäusen eingesetzt. Auch bei manchen Formen der Epilepsie könnte eine hemmende Ionenpumpe die unkontrollierten elektrischen Impulse von Neuronen in der Hirnrinde unterdrücken.
Glänzende Aussichten also für die Optogenetik. Und selbst die Alge geht nicht ganz leer aus: Die Deutsche Botanische Gesellschaft hat Chlamydomonas reinhardtii zur „Alge des Jahres 2014“ gekürt. Nicht nur, weil ihr besonderer Augenfleck die Optogenetik erst möglich gemacht hat. Chlamydomonas kann noch mehr: Mit ihren zwei fadenförmigen Geißeln zieht sie relativ zur Körpergröße zwölfmal schneller durchs Wasser als die meisten Profi-Brustschwimmer über die 50-Meter-Strecke.
Auf den Punkt gebracht
Neue Channelrhodopsin-Varianten mit verbesserten Eigenschaften sollen der Optogenetik weitere Anwendungsgebiete eröffnen. Forscher entwickeln deshalb maßgeschneiderte Rhodopsin-Varianten für die Grundlagenforschung in der Neurobiologie und mögliche biomedizinische Anwendung in der Neuroprothetik.
Channelrhodopsine könnten eines Tages Menschen mit einer Schädigung der Netzhaut das Augenlicht zurückgeben.
Glossar
Makuladegeneration: Augenerkrankung, bei der die Sehzellen am Ort des schärfsten Sehens (Macula lutea) in der Netzhaut zugrunde gehen. Lesen, Autofahren oder das Erkennen von Gesichtern werden mit fortschreitender Erkrankung immer schwieriger. Nur das Sehvermögen im äußeren Gesichtsfeld bleibt erhalten. Die altersbedingte Makuladegeneration ist die Hauptursache für eine Erblindung bei Menschen über 50. In Deutschland leiden rund zwei Millionen Menschen an einer Form der Makuladegeneration.
Rhodopsin: Das Pigmentmolekül in den Sehzellen von Wirbeltieren und Wirbellosen besteht aus einem Proteinteil (Opsin) und einem daran gebundenen kleinen lichtempfindlichen Molekül, dem Retinal. Die Wirbeltier-Rhodopsine aktivieren eine Kette von Enzymen, die schließlich zum Öffnen oder Schließen von Ionenkanälen führt. Darüber hinaus besitzen verschiedene Mikroorganismen wie Bakterien, Algen und Pilze ebenfalls Rhodopsine. Diese aktivieren nicht andere Enzyme, sondern sind selbst Ionenkanäle oder -pumpen.