Forschungsbericht 2015 - Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion

Wasserstoff aus Sonnenenergie: Stand der Forschung und Zukunftsperspektiven

Autoren
van Gastel, Maurice; Lubitz, Wolfgang; Neese, Frank
Abteilungen
Molekulare Theorie und Spektroskopie (van Gastel, Neese)

Biophysikalische Chemie (Lubitz)

Zusammenfassung
Wie produziert die Natur Wasserstoff? Sind die natürlichen Systeme für die Wasserstofferzeugung in einer zukünftigen Wasserstoffwirtschaft geeignet? Welche Anforderungen sollen Katalysatoren für die Wasserstofferzeugung auf industrieller Ebene haben? Wie funktionieren die bis jetzt bekannten Katalysatoren auf molekularer Ebene? Sind die katalytischen Mechanismen ausreichend gut verstanden, und wie können die Katalysatoren verbessert werden? Das MPI für Chemische Energiekonversion widmet sich diesen Grundfragen der chemischen Energieumwandlung und Energiespeicherung. 

Energiewende

Die Menge molekularen Wasserstoffs (H2) in der Erdatmosphäre beträgt weniger als 1 ppm (part per million). Dennoch kommt die Menschheit ohne H2 nicht mehr aus, da H2 ein wichtiger Grundstoff für viele chemische Prozesse ist, etwa für die weltweit im großen Stil betriebene Ammoniaksynthese, 

N2 + 3 H2 ⇌ 2NH3.

Im sogenannten Haber-Bosch-Verfahren wird diese Reaktion durch Metallkatalysatoren begünstigt. Jährlich werden weltweit über 450 Millionen Tonnen Ammoniak produziert, der vornehmlich als Dünger Anwendung findet. Über 50 Prozent der Stickstoffatome des menschlichen Körpers sind zumindest einmal durch das Haber-Bosch-Verfahren gelaufen. Die Ammoniaksynthese ist zur Sicherung der Nahrungsversorgung der Menschheit absolut essentiell.

In der Industrie wird molekularer Wasserstoff im Wesentlichen aus Methan (Erdgas) hergestellt. Dieses wird über ein weiteres katalytisches Verfahren, die Dampfreformierung (steam reforming), in einer Größenordnung von Millionen Tonnen pro Jahr in H2 umgesetzt. Nebenprodukte der Reaktion sind Kohlenmonoxid und das Treibhausgas CO2.

Beide Verfahren haben gemein, dass der Mechanismus der katalytischen Reaktionen nicht vollständig aufgeklärt ist. Ein besseres Verständnis der Funktion dieser Katalysatoren, inklusive deren Mechanismus und gegebenenfalls auch deren Deaktivierung ist daher ein zentrales Anliegen der Grundlagenforschung. Eine vollständige Aufklärung der strukturellen und mechanistischen Grundlagen dieser Katalysatoren ist aber auch die Voraussetzung für die rationale Entwicklung neuer, optimierter Prozesse zur großtechnischen Anwendung. Insbesondere ist es wünschenswert und notwendig, in Zukunft von Erdgas als H2-Quelle abzurücken und über Solarenergie aus Wasser erzeugtes H2 in die katalytischen Prozesse einzubringen. Am MPI für Chemische Energiekonversion werden die Grundlagen dieser chemischen Prozesse im atomaren Detail erforscht, um Wege zur Entwicklung neuartiger, im globalen Maßstab einsetzbarer Katalysatoren aufzuzeigen. Dafür ist es wichtig, die heterogene, die homogene sowie biologische Katalysen gleichberechtigt zu betrachten, um Brücken zwischen diesen oftmals voneinander isolierten Forschungsgebieten zu schlagen. In den Studien ist neben der synthetischen Chemie der Einsatz einer Vielzahl von fortgeschrittenen spektroskopischen Methoden im Zusammenspiel mit quantenchemischen Rechnungen von entscheidender Bedeutung.

H2-Erzeugung in der Natur

Alle für die Energieforschung wichtigen chemischen Prozesse laufen in der Natur mittels enzymatischer Katalyse unter mildesten chemischen Bedingungen (das heißt unter Normaldruck, bei Raumtemperatur, bei neutralem pH-Wert) ab. Dabei fällt auf, dass alle beteiligten Enzyme Metallionen der ersten Übergangsreihe (mit Ausnahme des Molybdäns) in ihren aktiven Zentren tragen. Anders als etwa Edelmetalle, stehen diese Metalle in großem Maßstab und preisgünstig zur Verfügung. Ein Verständnis der katalytischen Mechanismen der beteiligten Enzyme kann demnach zur Entwicklung technisch einsetzbarer Katalysatoren wichtige Impulse liefern. Im Gegensatz zur industriellen Anwendung, bei der die katalytischen Prozesse auf ungeschützten Metalloberflächen durchgeführt werden, benutzt die Natur allerdings raffiniert konstruierte metallhaltige katalytische Zentren, welche durch eine Proteinmatrix gut geschützt sind und deren Reaktivität auf subtile Weise durch die Proteinumgebung gesteuert wird.

Proteine, die für die natürliche Wasserstofferzeugung und auch Wasserstoffumsetzung zuständig sind, heißen Hydrogenasen. Die größte Klasse der Hydrogenasen enthält Nickel und Eisen in ihren aktiven Zentren. Wie in Abbildung 1 gezeigt, enthält das aktive Zentrum ein Nickelion, ein Eisenion sowie die in der Biologie extrem ungewöhnlichen Liganden CN- und  CO. Das aktive Zentrum wird durch vier Cysteine gebunden. Die H2-Umsetzung findet am Ni statt, welches eine offene Koordinationsstelle besitzt. Der Elektronentransport zum aktiven Zentrum wird durch drei Eisen-Schwefel-Cluster bewerkstelligt, für die Protonen und den molekularen Wasserstoff gibt es Kanäle im Protein. Für den katalytischen Zyklus sind drei Zustände relevant, welche am MPI für chemische Energiekonversion intensiv mittels spektroskopischer und theoretischer Methoden charakterisiert worden sind (siehe Abb. 1) [1].

Unter sauren Bedingungen wird das aktive Zentrum in dem NiII-SIa-Zustand (silent active) nach Reduktion des NiII (Elektron von FeS-Cluster) protoniert. In dem dabei entstehenden Ni-C-Zustand liegt das Ni-Ion in der Redoxstufe NiIII vor. Das Proton befindet sich in Form eines Hydridions (H-) in der verbrückenden Koordinationsstelle zwischen Nickel und Eisen (X in Abbildung 1). Anschließend finden eine zweite Reduktion des Zentrums sowie eine Protonierung statt. Nach spektroskopischen und strukturanalytischen Ergebnissen wird dabei das Schwefelatom eines terminalen Cysteins protoniert, wodurch der reduzierte sogenannte Ni-R-Zustand erreicht wird, der mit hochauflösender Röntgenkristallographie im MPI strukturell charakterisiert wurde [2]. Dieser zerfällt unter Abgabe von H2, wodurch der katalytische Zyklus geschlossen und das Aktivzentrum wieder in den NiII-SIa zurückgeführt wird. Die experimentellen Daten zum katalytischen Zyklus stimmen sehr gut mit quantenchemischen Rechnungen überein [3,4].

Für die Katalysefunktion müssen die Redoxpotenziale des NiFe-Zentrums und der FeS-Cluster aufeinander abgestimmt sein. Mit detaillierten quantenchemischen Berechnungen konnten Forscher des MPI für chemische Energiekonversion die elektronische Struktur und die thermodynamischen Parameter der Intermediate im katalytischen Zyklus ermitteln. Eine wichtige Beobachtung ließ sich hier nur durch die Kombination spektroskopischer und theoretischer Methoden machen, nämlich dass der entstandene H2 nicht sofort dissoziiert, sondern zunächst an das Nickelion gebunden bleibt. Dies ermöglicht die Rückreaktion (Wasserstoffspaltung) und erklärt die für viele Hydrogenasen bekannte regulierende Rolle bezüglich der Protonenkonzentration in einer lebenden Zelle. Viele Hydrogenasen werden allerdings von Sauerstoff irreversibel deaktiviert.

Biomimetik und Katalyse

Ausgehend von diesen Beobachtungen an den natürlichen Enzymen ergibt sich die Möglichkeit, die besonderen Eigenschaften der Hydrogenasen in biomimetischen Verfahren nachzubauen. Viele Forschungsgruppen weltweit haben bereits Katalysatoren für die Wasserstoffproduktion hergestellt. Dabei sind folgende Eigenschaften ausschlaggebend:

Kriterien für den Mechanismus:

  1. Der Katalysator muss zwei Elektronen aufnehmen können (Elektronenspeicherfunktion).
  2. Der Katalysator muss zwei Protonen aufnehmen können, und zwar metallgebunden mit einem Proton als H- und einem weiteren in unmittelbarer Nähe als H+.
  3. Keines der Intermediate darf im Vergleich zum anderen Intermediat thermodynamisch sehr stabil sein. Denn dies führt zu niedrigen Umsatzraten. 

Kriterien für die industrielle Anwendung:

  1. Die Katalysatoren sollen möglichst leicht herstellbar sein und keine teuren Rohstoffe enthalten.
  2. Die Katalysatoren sollen eine Langzeitstabilität und eine hochspezifische Reaktivität aufweisen.
  3. Die Katalysatoren sollen stabil gegenüber molekularem Sauerstoff und Wasser sein.

Der derzeit effizienteste homogene Katalysator für die H2-Erzeugung stammt aus der Arbeitsgruppe von Daniel DuBois (Pacific Northwestern National Laboratories, PNNL; USA) [5]. Der Katalysator basiert auf einer Nickelverbindung, welche die meisten der wünschenswerten Eigenschaften aufweist; ihre katalytische Aktivität ist sogar mit denen der biologischen Hydrogenasen vergleichbar. Leider ist ein Kriterium, nämlich die Sauerstoffstabilität, ebenso wie bei den Hydrogenasen, oft nicht erfüllt.

In Zusammenarbeit mit den Forschern um DuBois und insbesondere durch die Anwendung der Elektronen-Spinresonanz-Spektroskopie (ESR) in Kombination mit quantenchemischen Studien konnten wir ein kritisches Intermediat im Zyklus dieser Katalysatoren vollständig charakterisieren (siehe Abb. 2) und damit dazu beitragen, den Mechanismus dieser Reaktionsfolge aufzuklären [6].

Im Vergleich zur natürlichen Hydrogenase ließ sich in einigen der untersuchten Verbindungen ein wichtiger Unterschied bezüglich Reversibilität nachweisen: insbesondere am Katalysator aus der Gruppe von Anne Jones (Arizona State University) [7] wird der produzierte Wasserstoff sofort nach der Entstehung vom katalytischen Zentrum dissoziiert. Daher katalysieren diese Systeme nur die H2-Erzeugung und nicht dessen Oxidation. Dieser Katalysator arbeitet im Gegensatz zu den Hydrogenasen und zu dem DuBois-Katalysator also nicht reversibel und ist daher für die gezielte Wasserstofferzeugung umso relevanter (siehe Abb. 3).

Vom Elektrokatalysator zum Photokatalysator

Bei den bisher beschriebenen Systemen einschließlich der Hydrogenasen handelt es sich um Elektrokatalysatoren; sie benötigen Elektronen für die H2-Erzeugung. Die Bereitstellung der Elektronen, also die Reduktion der Katalysatoren etwa durch Verwendung von Elektroden in der Katalysatorlösung, ist der energieaufwändigste Schritt der Katalyse. Alternativ lassen sich reaktive Elektronen durch Bestrahlung geeigneter Materialen mit Licht erzeugen. Diese Methode wird auch am MPI für Chemische Energiekonversion untersucht. Lässt sich der hergestellte Katalysator unter Beibehalt der erwähnten Eigenschaften an eine Metalloberfläche (Elektrode oder auch ein Nanopartikel) binden, könnte man auch Sonnenlicht für die Elektronenproduktion einsetzen.

In der Arbeitsgruppe von Olaf Rüdiger am MPI für Chemische Energiekonversion sind Hydrogenasen bereits an Elektrodenoberflächen angebunden worden [8]. Ferner zeigten die Forscher, dass die Einbettung des Enzyms in ein redoxaktives Hydrogel dessen Stabilität gegenüber oxidativer Deaktivierung und dessen Sauerstofftoleranz stark erhöht. Weitere Studien am MPI für Chemische Energiekonversion haben ergeben, dass sich auch der DuBois-Katalysator in eine vor Sauerstoff schützende Polymermatrix einbetten lässt. Die katalytischen Eigenschaften dieser Polymermatrix werden zurzeit charakterisiert und optimiert.

Ausblick

Die Prozesse der homogenen Katalyse zur Wasserstofferzeugung sind inzwischen mit Hilfe der am MPI für Chemische Energiekonversion durchgeführten Untersuchungen recht gut verstanden. Eine offene Frage ist allerdings, ob sich diese homogenen Katalysatorsysteme auch für die Anwendung im großtechnischen Maßstab eignen. Hier ist insbesondere das Problem der Wasser- und Sauerstoffempfindlichkeit zu lösen, entweder durch weitere Optimierung des Katalysators oder durch erfolgreiche Einbettung in Materialen wie beispielsweise Redoxpolymere, die vor Sauerstoff schützen. Im Vergleich zu heterogenen Systemen, die ebenfalls zur Wasserstofferzeugung zum Einsatz kommen, lässt sich die Reaktion in den homogenen Systemen viel besser kontrollieren. Ob die Effizienz molekularer Katalysatoren auf Oberflächen mit jener der heterogenen Katalyse konkurrieren kann oder diese sogar übertrifft, wird sich in der Zukunft zeigen. Großes Potenzial liegt auch in der Anbindung von Katalysatoren an Nanopartikel, welche als Elektronenspeicher dienen können. Die Möglichkeiten, die in dieser Technologie liegen, werden derzeit in einer Kooperation zwischen dem MPI für Chemische Energiekonversion und der Universität Duisburg-Essen untersucht. Erste erfolgreiche Modellstudien, unterstützt durch Schwingungsspektroskopie an Oberflächen, wurden bereits durchgeführt.

Literaturhinweise

Lubitz, W.; Reijerse, E. J.; van Gastel, M.
[NiFe| and [FeFe] Hydrogenases Studied by Advanced Magnetic Resonance Techniques
Chemical Reviews 107, 4331-4365 (2007)
Ogata, H.; Krämer, T; Wang, H. X.; Schilter, D.; Pelmenschikov, V.; van Gastel, M.; Neese, F.; Rauchfuss, T. B.; Gee, L. B.; Scott, A. D.; Yoda, Y.; Tanaka, Y.; Lubitz, W.; Cramer, S.P.
Hydride Bridge in [NiFe]-Hydrogenase observed by Nuclear Resonance Vibrational Spectroscopy
Nature Communications 6, 7890 (2015)
Ogata, H.; Nishikawa, K.; Lubitz, W.
Hydrogens Detected by Subatomic Resolution Protein Crystallography in a [NiFe] Hydrogenase
Nature 520, 571-574 (2015)
Krämer, T.; Kampa, M.; Lubitz, W.; van Gastel, M.; Neese, F.
Theoretical Spectroscopy of the NiII Intermediate States in the Catalytic Cycle and the Activation of [NiFe] Hydrogenases

ChemBioChem 14, 1898-1905 (2013)

DuBois, D. L.
Development of Molecular Electrocatalysts for Energy Storage
Inorganic Chemistry 53, 3935-3960 (2014)
Kochem, A.; O'Hagan, M.; Wiedner, E. S.; van Gastel, M.
Combined Spectroscopic and Electrochemical Detection of a Ni...H Bonding Interaction with Relevance to Electrocatalytic H2 Production
Chemistry - A European Journal 21, 10338-10347 (2015)
Gan, L.; Groy, T. L.; Tarakeshwar, P.; Mazinani, S. K. S.; Shearer, J.; Mujica, V.; Jones, A. K.
A Nickel Phosphine Complex as a Fast and Efficient Hydrogen Production Catalyst
Journal of the American Chemical Society 137, 1109-1115 (2015)
Plumeré, N.; Rüdiger, O.; Oughli, A. A.; Williams, R.; Vivekanathan, J.; Poller, S.; Schuhmann, W.; Lubitz, W.
A Redox Hydrogel Protects Hydrogenase from High-Potential Deactivation and Oxygen Damage
Nature Chemistry 6, 822-827 (2014)

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