Ein Tag im Leben der Meere
Im Meer wimmelt es von Mikroorganismen. Doch die Lebensgemeinschaften sind vielfältig und noch wenig erforscht
Wissenschaftler um Frank Oliver Glöckner vom Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie und der Jacobs University in Bremen wollen nun der Nahrungsgrundlage alles Lebens in den Ozeanen auf den Grund gehen. Der Professor für Bioinformatik, der das von der EU geförderte Projekt Micro B3 (Marine Mikrobielle Biodiversität, Bioinformatik, Biotechnologie) leitet, sprach mit uns über die aufwendigen Vorbereitungen zum Ocean Sampling Day, die Koordination von mehr als 180 Messstationen und seine Forschungsziele.
Wenn wir an das vielfältige Leben in den Ozeanen denken, fallen uns zuerst die großen Meeressäugetiere, Wale und Delfine, ein. Wir haben Bilder im Kopf von Korallenriffen, Vulkanen der Tiefsee und Fischschwärmen. Was ist an Mikroorganismen so spannend?
Frank Oliver Glöckner: Mikroorganismen bilden einen wichtigen Bestandteil des marinen Planktons. Bereits in einem Tropfen Meerwasser befinden sich über eine Million Mikroorganismen. Als älteste Lebensform der Erde haben sie in den letzten vier Milliarden Jahren sämtliche ökologischen Nischen der Weltmeere besiedelt. Durch ihre große Vielfalt sind sie an allen biologischen Stoffkreisläufen beteiligt und beeinflussen somit direkt das Leben im Meer aber auch an Land. Speziell die Algen und Cyanobakterien produzieren – mit Hilfe von Sonnenlicht und Kohlendioxid – Biomasse und Sauerstoff. Fast 70 Prozent unseres benötigten Sauerstoffs wird von ihnen produziert und 50 Prozent des CO2 von ihnen verwertet.
Das Plankton ist darüber hinaus ein essenzieller Bestandteil der Nahrungskette. Alle kleineren Meeresorganismen ernähren sich davon. Darüber hinaus bauen die Mikroorganismen alles tote biologische Material ab und führen es in den Stoff- und Energiekreislauf zurück. Auch der schönste Delfin oder Wal wird am Ende seines Lebens von Mikroorganismen recycelt.
Obwohl die zentrale Rolle der marinen Mikroorganismen bekannt ist, steckt unser Wissen über diese, für das bloße Auge unsichtbaren, Meeresbewohner noch in den Kinderschuhen.
Frank Oliver Glöckner: Der Grund dafür liegt nicht nur in der mikroskopischen Größe der Organismen, sondern darin, dass nur zwischen ein und zehn Prozent von ihnen im Labor kultiviert werden können. Als Revolution erwies sich in den vergangenen Jahren die Anwendung von Methoden, die davon unabhängig sind, wie beispielsweise die Sequenzierung der gesamten genomischen DNA einer Probe. Zudem konnten wir mit den klassischen Sequenzierverfahren nicht viele Proben in kurzer Zeit analysieren und deshalb nur erahnen, welche ungeheure Vielfalt marine Mikroorganismen besitzen. Durch die rasante Fortentwicklung der Sequenzierverfahren ist dies nun möglich.
Was planen Sie am Ocean Sampling Day konkret?
Frank Oliver Glöckner: Meeresforscher werden am 21. Juni an mehr als 180 Stationen Wasserproben nehmen, diese filtern und dann die Proben nach Bremen schicken. Von jeder Probe werden wir etwa die Hälfte sequenzieren, die andere Hälfte wird in Amerika in einem Archiv des Smithsonian Institute of Natural History eingelagert. Wir werden diese zunächst nicht anfassen und vielleicht in einigen Jahren mit anderen Fragestellungen oder neuer Technologie anschauen. Darüber hinaus werden wir eine Vielzahl von Umweltparameter erfassen. Das wird der größte marine Datensatz werden, der je an einem einzigen Tag erhoben wurde.
Wo befinden sich die Messstationen?
Frank Oliver Glöckner: Viele der Messstationen befinden sich im Mittelmeerraum, zum Beispiel in Italien, Frankreich, Spanien, Marokko und Tunesien. Es werden jedoch auch Proben in Finnland, Norwegen, Island, Japan, Australien, Neuseeland sowie der Arktis und Antarktis genommen. China, Indien und Russland sind leider nicht mit dabei. Viele Wissenschaftler in diesen Ländern hätten gern mitgemacht, sind aber bislang an politischen oder rechtlichen Rahmenbedingungen gescheitert.
Wie aufwändig waren die Vorbereitungen?
Frank Oliver Glöckner: Das Projekt läuft bereits seit Januar 2012 und wird von der EU bis Dezember 2015 mit neun Millionen Euro gefördert. Wir hatten vier Testläufe, um die Messverfahren festzulegen und die Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten. Dies ist keine triviale Aufgabe angesichts der zahlreichen Teilnehmer, die über den ganzen Erdball verteilt sind. Die Probenahme erfolgt jetzt nach klar definierten Arbeitsschritten und standardisierten Protokollen. Diese haben wir in einem Handbuch zusammengefasst. Jeder, der Interesse hat, kann es sich auf unserer Webseite herunterladen.
Wie können sich Laien an dem Projekt beteiligen?
Frank Oliver Glöckner: Interessierte können uns im Rahmen unseres Citizen-Science-Projektes tatkräftig bei der Erhebung von Umweltdaten unterstützen. Dabei messen sie wichtige Parameter wie Luft- und Wassertemperatur mit einfachen Mitteln und laden diese in eine neu entwickelte App für Smartphones hoch. Wir hoffen darauf, dass viele sich daran beteiligen! Die gewonnenen Ergebnisse sollen später dann für alle öffentlich zugänglich sein.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Barbara Abrell