Die Macht des Nachahmens
Imitation fördert schon bei Kleinkindern soziales Verhalten
Imitation ist nicht nur ein Hilfsmittel, um von anderen zu lernen. Erwachsene kopieren regelmäßig und ganz automatisch den Bewegungsablauf, die Haltung und den Gesichtsausdruck anderer Menschen. Wenn uns jemand nachahmt, verhalten wir uns hilfsbereiter und großzügiger. Ein Wissenschaftlerteam vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hat nun den Einfluss von Imitation auf das Sozialverhalten von Kindern untersucht. Demnach helfen schon anderthalb Jahre alte Kleinkinder lieber den Erwachsenen, von denen sie zuvor imitiert wurden. In einer weiteren Studie fanden die Forscher heraus, dass fünf- bis sechsjährige Kinder eher den Menschen vertrauen, die sie zuvor imitiert hatten. Durch Nachahmen können Erwachsene also die Entwicklung von Vorschulkindern beeinflussen.
Die Max-Planck-Wissenschaftler haben das Verhalten von Kindern unterschiedlichen Alters in zwei Studien analysiert. In einer Studie mit rund 50 anderthalb Jahre alten Kleinkindern reagierte die Studienleiterin unterschiedlich auf Bewegungen der Kinder: Im einen Fall kopierte sie jede Bewegung der Kinder, im anderen führte die Studienleiterin als Antwort auf jede Aktion des Kindes eine andere Bewegung aus. Als sie oder ein anderer Erwachsener dann Hilfe beim Öffnen einer Schranktür oder beim Aufheben von Stöcken brauchten, waren die zuvor imitierten Kinder sehr viel eher zu spontaner Hilfe bereit als die nicht nachgeahmten Kinder. „Bereits im Kleinkindalter hat Imitation also positive soziale Auswirkungen: Es fördert eine allgemeine prosoziale Orientierung anderen Menschen gegenüber”, sagt Malinda Carpenter vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.
In einer zweiten Studie untersuchten die Forscher, wie sich Nachahmung auf die Empfänglichkeit von Vorschulkindern gegenüber sozialer Beeinflussung auswirken würde. Dazu nahmen fünf- bis sechsjährige Kinder zunächst an einer Imitationsphase teil, in der ihnen die Wissenschaftler Tierfotos zeigten. Nachdem sich die eine Hälfte der Kinder für ein Lieblingstier entschieden hatte, wählten die Studienleiterinnen ebenfalls ein Lieblingstier: entweder ein zur Wahl des Kindes identisches oder ein anderes Tier. Außerdem sollte ein Teil der Kinder eine faktische Frage zu den abgebildeten Tieren beantworten. Wieder imitierte eine der Studienleiterinnen die Entscheidung der Kinder, während die andere ihre eigene Wahl traf.
In anschließenden Tests wählten die Studienleiterinnen jeweils unterschiedliche Objekte aus und wendeten ein unbekanntes Wort auf eines von zwei unterschiedlichen Objekten an. „Die Kinder stimmten eher den Vorlieben und Tatsachenbehauptungen der Studienleiterin zu, die sie zuvor imitiert hatte”, sagt Harriet Over vom Leipziger Max-Planck-Institut. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Imitation einen starken sozialen Einfluss sowohl auf Kinder als auch auf Erwachsene hat. Sie beeinflusst zudem, wie stark Kinder durch die Vorlieben und Meinungen anderer Menschen beeinflusst werden.“ Vermutlich dient der menschliche Drang nachzuahmen dazu, gute Beziehungen zwischen Individuen herzustellen und dadurch den Zusammenhalt in der sozialen Gruppe zu stärken. In künftigen Forschungsarbeiten wollen die Wissenschaftler untersuchen, wie weit der Einfluss von Imitation geht und ob sie auch negative Konsequenzen haben kann.
SJ/HR