Forschungsbericht 2012 - Max-Planck-Institut für Psycholinguistik

Wie wir mit Sprache malen

How to paint with language

Autoren
Dingemanse, Mark
Abteilungen
Sprache und Kognition
Zusammenfassung
Wörter entstehen nicht als Tintenkleckse auf Papier sondern in zwischenmenschlicher Interaktion. Dass das Wesen von Sprache fundamental interaktiv und vielschichtig ist, zeigt sich beim Studium von Ideophonen, anschaulich-sinnlichen Wörtern, die überall auf der Welt gebraucht werden. Wie präzise diese Lautbilder Kommunikation über sensorisches Wissen ermöglichen, wurde detailliert untersucht. Es zeigte sich, dass wir mit Sprache malen können und dass die Lautmalerei, die manchmal als kindlich abgetan wird, in Wahrheit ein bedeutendes Ausdrucksmittel ist, über das alle verfügen.
Summary
Words evolve not as blobs of ink on paper but in face to face interaction. The nature of language as fundamentally interactive and multimodal is shown by the study of ideophones, vivid sensory words that thrive in conversations around the world. The ways in which these Lautbilder enable precise communication about sensory knowledge has for the first time been studied in detail. It turns out that we can paint with language, and that the onomatopoeia we sometimes classify as childish might be a subset of a much richer toolkit for depiction in speech, available to us all.

Wörter

Wenige Berufe sind so vertraut mit dem Wesen der Wörter wie die akademischen. Wörter sind das A und O unserer Profession. Sie halten unseren kumulativen Fortschritt fest, an ihnen wird unsere Produktivität gemessen, wenn wir Ideen mit Hilfe von Büchern, Zeitschriften und Open-access-Portalen verbreiten. Wie leicht verliebt man sich in das gedruckte Wort, in schwarze Symbole auf einem weißen Blatt mit ordentlichen Abständen, die die einzelnen Gedanken voneinander abgrenzen.

Aber wie anders ist doch unser alltäglicher Umgang mit Wörtern. Wir rollen sie auf unserer Zunge, wenn wir sprechen, flüstern oder schreien. Sie werden geschmeidig, wenn wir sie vortragen, verlängern und wiederholen. Wir schmücken sie mit subtilen Meinungsschattierungen aus, wenn wir Kontrolle auf Tonhöhe, Schallstärke und Dauer ausüben. Wir integrieren sie meisterlich mit Gestik und Mimik in das, was Linguisten "kompositionelle Äußerungen" nennen [1]. Lange Zeit wurde das alles als Parasprache ausgegrenzt, als nicht Eigentliches, sondern als etwas am Rande, das uns nur ablenkt von der Wahrheit und Schärfe einer idealisierten formalen Sprache. Bei den Betrachtungen des Philosophen Gottlieb Frege über Sprache stehen ästhetische Freude und Streben nach Wahrheit in direkter Opposition.

Aber diese geringschätzige Ansicht ist inzwischen überholt, weil es Linguisten mehr und mehr klar wird, dass das geschriebene Wort nur ein mangelhaftes Modell für unsere wirkliche kommunikative Kompetenz ist. Sprache entstand in einer viel reichhaltigeren Umgebung und sie hat schon immer mehr für uns getan, als nur entkörperlichte Information zu liefern. Die Menschen benutzen Sprache, um soziale Beziehungen aufzubauen, um ihre Erfahrungen miteinander in Beziehung zu setzen und ihre Einstellungen auszudrücken. Sie informieren nicht nur, sie stellen dar. Dies erfordert eine erneute Untersuchung darüber, was Wörter leisten.

Ideophone

Will man eine neue Perspektive auf das Feld seiner Untersuchungen gewinnen, dann ist es oft am besten, radikal den eigenen Ausgangspunkt zu verändern. Sprachwissenschaftler am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik tun das, indem sie neue Primärdaten über wenig bekannte Sprachen sammeln. In der Abteilung “Sprache und Kognition” betreiben Wissenschaftler Langzeit-Feldforschung an mehr als zwanzig Standorten überall auf der Welt. Im Laufe der letzten Jahre wurden mehrere detaillierte Untersuchungen zu Wörtern durchgeführt, die als Ideophone bekannt sind. Mit ihrer charakteristischen Lautmalerei, der Onomatopoesie, kommen diese Wörter dem "Malen beim Sprechen" am nächsten. Sie galten lange als exotische und ungewöhnliche Wörter, aber neue Untersuchungen haben gezeigt, dass sie in Unterhaltungen überall auf der Welt gegenwärtig sind und in unerwarteter Art und Weise gebraucht werden.

Ideophone sind Wörter, deren Klang auf ihre Bedeutung hinweist. Bekannte Beispiele aus dem Englischen sind Wörter wie kerplop und boom, oder im Deutschen Wörter wie holterdiepolter und ticktack. Aber während es in europäischen Sprachen in aller Regel nur wenige solcher Wörter gibt, die meistens auf die Imitation von Geräuschen beschränkt sind, gibt es viele andere Sprachen auf der Welt, die über Hunderte oder gar Tausende solcher Ideophone verfügen, die ein weit größeres Spektrum an sinnlichen Bedeutungen abdecken. Hier sei nur verwiesen auf Wörter wie tunjil-tunjil ‘dümpeln, treiben’, ulakpulak ‘unausgeglichene, schreckerregende Erscheinung’ und c’onc’on ‘dichtgewebt’ aus dem Koreanischen; oder dhdnoh ‘wie immerwährendes Nicken’, praduk pradek ‘Geräusche vereinzelnter kleiner Regentropfen’ und greep ‘knusprig klingend’ aus dem Semai, einer Sprache, die auf der Halbinsel Malaysia gesprochen wird, oder mukumuku ‘murmelnde Mundbewegungen’, fuefue ‘elastisch, flexibel’ und kpotoro-kpotoro ‘Gehen wie eine Schildkröte’ aus dem Siwu, einer Sprache, die im Osten Ghanas gesprochen wird [2].

Bei der Analyse von auf Video aufgenommenen Unterhaltungen in solchen Sprachen (Abb. 1) sieht man, dass diese Wörter mit ihren eigentümlichen Formen und anschaulichen Bedeutungen nicht wie gewöhnliche Wörter gesprochen werden. Sie werden wie auf einer Bühne dargestellt. Sie machen Ereignisse auf eine Art und Weise lebendig, wie das gewöhnliche Wörter niemals tun. Wenn man ihren Gebrauch beobachtet, dann bekommt man einen Eindruck davon, was Karl Bühler gemeint hat, als er schrieb: “Wenn unter den Sachverständigen eine Abstimmung stattfände darüber, wer reicher ausgestattet sei mit Malmitteln: der Farbmaler oder ein Stimmaler, so gäbe ich unbedenklich dem zweiten meine Stimme.” [3]

Die Darstellung

Wie können die Menschen mit der Sprache malen? Die Ideophon-Systeme in den Sprachen der Welt verfügen über drei Möglichkeiten, wie Sprechen genutzt wird, um sinnlich/sensorische Bilder darzustellen – nämlich in drei Typen von Ikonizität. Die erste Möglichkeit besteht darin, ein Geräusch mit einem Laut zu imitieren, wie im Englischen boom als Geräusch einer Explosion. Dieser Typ wird DIREKTE IKONIZITÄT genannt. Es ist die einfachste Möglichkeit, aber auch die am meisten beschränkte. Schließlich sind nicht alle Ereignisse mit Geräuschen verbunden. Was aber alle Ereignisse gemeinsam haben, ist eine interne zeitliche Struktur. Hier kommt nun die zweite Möglichkeit ins Spiel: Die Struktur der Wörter kann der Struktur der Ereignisse gleichen. Bühler hatte das erkannt, als er notierte, dass Wörter “gestalt-treu” sind in Hinsicht auf die Ereignisse, die sie repräsentieren. Deshalb wird dieser Typ GESTALT-IKONIZITÄT genannt. Wörter können zum Beispiel verlängert werden, um Dauer auszudrücken, geschlossene Silben können das Ende von etwas hervorrufen und wiederholte Silben können Wiederholungen evozieren — wie in vielen der oben angeführten Beispiele. Drittens und letztens werden manchmal ähnliche Wörter für ähnliche Ereignisse gebraucht. Betrachten wir einmal die folgenden drei Wörter aus dem Semai: greep ‘Früchte kauen’, graap ‘Knuspriges kauen’, griip ‘Cassava kauen’. Sie teilen sich die gemeinsame Matrize gr_p, die man als ‘knuspriges Geräusch’ charakterisieren kann [4]. Weil ähnliche Wörter auf ähnliche Ereignisse passen, wird dieser Typ RELATIVE IKONIZITÄT genannt. Gemeinsam konstituieren diese drei Arten der Meinungs-Assoziationen den Malkasten des Wortmalers. Sie erlauben darstellenden Wörtern wie Ideophonen, wahrnehmbare Analogien zu Ereignissen zu bilden.

Aber woher weiß man, ob eine bestimmte Sprecheinheit als Ideophon – als ein Lautbild – intendiert ist und nicht als ein gewöhnliches Wort? Vergleichende Untersuchungen zeigen, dass sich hier Sprachen in bemerkenswerter Weise gleichen. So klingen Ideophone in allen Sprachen außergewöhnlich, weil sie besondere Freiheiten im Hinblick auf andere Wörter genießen. Sie verfügen über eine größere Bandbreite möglicher Silbenstrukturen und Wortformen und sie sind auf bemerkenswerte Art und Weise empfänglich für spielerische Wortbildungsprozesse, wie zum Beispiel Reduplikation und Dehnung. In gesprochenen Äußerungen fallen sie auf, weil sie ein großes Maß an syntaktischer Unabhängigkeit aufweisen, und es besteht die Tendenz, dass sie als eigene Intonationseinheit produziert werden. Und schließlich werden in vielen Sprachen mit Quotativmarkierungen, wie zum Beispiel mit “sagen” oder “tun”, Verben eingeführt, die ihre performative Eigenschaft hervorheben. All diese Merkmale tragen dazu bei, Ideophone als Darstellungen zu markieren, vergleichbar einem Rahmen um ein Gemälde, der uns sagt, dass wir es als Gemälde und nicht als Tapete interpretieren müssen.

Zum Gebrauch sinnlich/sensorischer Wörter

Wissenschaftler der Abteilung “Sprache und Kognition” am MPI für Psycholinguistik studieren Ideophone im Rahmen von Feldforschungen in etlichen Sprachen der Welt. Um zu untersuchen, wie diese Wörter sensorische Wahrnehmungen kodieren, benutzen sie speziell entwickelte und gestaltete Stimulus-Materialien. Sie machen dabei qualitativ anspruchsvolle Video- und Audio-Aufnahmen von alltäglichen Gesprächen, um zu verstehen, wie Menschen diese Wörter in der Interaktion von Angesicht zu Angesicht gebrauchen – in der Situation also, in der Sprache entstanden ist und in der sie sich auch stets noch weiter entwickelt. Im Verlauf dieser Untersuchungen zeigte sich, dass Ideophone keinesfalls die stilistischen Schnörkel und Floskeln sind, für die sie einmal gehalten wurden. Sie sind dediziert sensorische Wörter und stehen im Hinblick auf ihre Struktur und die Erfassung von sensorischen Räumen auf einer Stufe mit in der einschlägigen Industrie entworfenen sensorischen Vokabularien [5]. Sie werden benutzt, um Expertenwissen während gemeinsamer Arbeit zu kommunizieren und um Erfahrungen beim Erzählen von Geschichten zu teilen und zu interpretieren. In Sprachen, die über Tausende von Ideophonen verfügen, gilt ihr Gebrauch als Zeichen höchster Eloquenz.

Herausforderungen gewähren Möglichkeiten. Ideophone fordern uns dazu heraus, Theorien und Methoden zu erneuern, und bestärken uns darin, uns von einer Betrachtung der Sprache abzuwenden, die auf ideologischen oder akademischen Traditionen gründet, um so hin zu einer Perspektive auf Sprache zu gelangen, die sich auf so umfassende Daten wie möglich bezieht. Es sollte uns eigentlich nicht überraschen, dass im sprachlichen Leben Darstellung genauso wichtig ist wie Beschreibung. Selbst unsere eigenen Forschungsergebnisse werden nicht nur mit abstrakten Worten mitgeteilt. Wir illustrieren sie mit Gesten, präsentieren sie auf Konferenzen und bilden sie ab mit Figuren und Diagrammen. Der Satz, ein Bild sage mehr als tausend Worte, scheint sich zu bewahrheiten (Abb. 2). Aber was wir dabei möglicherweise übersehen haben, ist die Tatsache, dass unsere Wörter schon immer mit Bildern gewürzt waren.

Literaturhinweise

Enfield, N.
The anatomy of meaning: speech, gesture and composite utterances
Cambridge University Press (2009)
Dingemanse, M.
Advances in the cross-linguistic study of ideophones
Language and Linguistics Compass 6, 654-672 (2012)
Bühler, K.
Sprachtheorie: Die Darstellungsfunktion der Sprache
Jena: G. Fischer (1934)
Tufvesson, S.
Analogy-making in the Semai sensory world
The Senses and Society 6, 86-95 (2011)
Dingemanse, M.; Majid, A.
The semantic structure of sensory vocabulary in an African language
Proceedings of the 34th Annual conference of the Cognitive Science Society, ed. N. Miyake, D. Peebles & R.P. Cooper, 300-305. Austin, TX: Cognitive Science Society (2012)

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