Magnetismus kann Widerstand brechen

Magnetische Wechselwirkungen könnten bewirken, dass manche Supraleiter Strom schon bei relativ hohen Temperaturen verlustfrei leiten

Manches Problem können Forscher nur knacken, wenn sie es vereinfachen. Das versuchen Physiker des Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung in Stuttgart jetzt mit der Frage, warum einige Supraleiter Strom schon bei relativ hohen Temperaturen ohne Widerstand leiten. Sie haben festgestellt, dass Eisenarsenide, eine erst kürzlich entdeckte, Klasse von Supraleitern, die Erklärung erleichtern könnten: Die metallischen Eisenarsenide sind physikalisch einfacher zu verstehen und lassen sich theoretisch besser beschreiben als keramische Kuprate, die derzeit bei den höchsten, für viele Anwendungen aber immer noch unbrauchbaren Temperaturen supraleitend werden. Die Wissenschaftler haben zudem Hinweise gefunden, dass die Supraleitung in Eisenarseniden und somit vielleicht auch in den Kupraten über einen magnetischen Mechanismus entstehen könnte. Ein besseres Verständnis der Zusammenhänge wird letztlich dazu beitragen, Materialien zu finden, die bei noch höheren Temperaturen supraleitend werden. (Nature Physics, advance online publication, 20. Dezember 2009)

Bislang halten Supraleiter nicht ganz, was man sich von ihnen versprochen hat: Supraleitende Magnete ermöglichen in Forschung und Medizin zwar sehr genaue Messungen mit Kernspintomografen, sie halten die Protonen auf Spur, die durch den Large Hadron Collider flitzen, und in mehr oder weniger großen Pilotversuchen transportieren supraleitende Kabel auch schon Strom ohne Verluste. Doch als Johannes Georg Bednorz und Karl Alexander Müller vor 23 Jahren die Hochtemperatur-Supraleiter entdeckten, war die Euphorie groß, dass sie Strom bald im großen Stil ohne Verluste leiten würden. Diese Hoffnung haben sie bislang noch nicht erfüllt - weil selbst die Hochtemperatur-Supraleiter nur bei sehr tiefen Temperaturen den Widerstand verlieren. Den Rekord hält derzeit eine Keramik, die neben Kupfer und Sauerstoff auch Quecksilber, Barium und Kalzium enthält. Sie verliert ihren Widerstand bei einer Sprung-Temperatur von etwa minus 135 Grad Celsius. Als Stromkabel eignen sich die Keramiken zudem nicht gut, weil sie brüchig sind und keine besonders starken Ströme leiten.

Erklärungshilfe für Rekord-Supraleiter

Um gezielt nach Supraleitern suchen zu können, die Strom bereits bei alltagstauglichen Temperaturen verlustfrei leiten, wollen Physiker verstehen, wie die Supraleitung in den derzeitigen Rekordhalten entsteht. Dabei könnten die neuen Erkenntnisse der Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart sehr hilfreich sein. Ihre Untersuchungen helfen nämlich, die Supraleitung in Eisenarseniden zu erklären.

Erst seit etwa zwei Jahr ist bekannt, dass diese metallischen Materialien bei Temperaturen von bislang höchstens minus 220 Grad unter Null zu Supraleitern werden. Obwohl diese Sprungtemperatur relativ niedrig liegt, sind sie wegen ihrer mechanischen Eigenschaften und Verarbeitbarkeit für Anwendungen vielversprechend. Und für Physiker sind sie allemal interessant: "Wir vermuten, dass die Supraleitung hier auf ähnliche Weise entsteht wie in den Kupraten", sagt Vladimir Hinkov, der die aktuellen Untersuchungen am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung leitete.

Dafür spricht aus seiner Sicht unter anderem, dass beide trotz vieler Unterschiede erstaunlich ähnliche magnetische Eigenschaften besitzen (siehe Hintergrund) und dass sie wie die Kuprate in Schichten aufgebaut sind. In mancher Hinsicht scheinen die Eisenarsenide einfachen Metallen jedoch viel ähnlicher zu sein als die Kuprate, deren Eigenschaften irgendwo im Grenzland zwischen metallischen Leitern und Isolatoren liegen. "Metalle sind in Theorien leichter zu beschreiben", sagt Hinkov: "Daher hoffen wir, dass sich das Verhalten der Eisenarsenide leichter in Modelle fassen lässt."

Messung des magnetischen Verhaltens

Der Physiker hat gemeinsam mit Dmytro S. Inosov und weiteren Kollegen aus seiner Gruppe in der Abteilung Keimer sowie der Kristallzuchtgruppe von Chengtian Lin des Stuttgarter Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung das magnetische Verhalten eines Eisenarsenids untersucht, das als weitere Elemente Barium und Cobalt enthält und auf die chemische Formel BaFe1,85Co0,15As2 hört. In diesem Material hat das Forscherteam an der Forschungsneutronenquelle FRM-II der TU-München und am Laboratoire Léon Brillouin im französischen Gif-sur-Yvette, in Zusammenarbeit mit Forschern dieser Einrichtungen, Spinwellen angeregt.

Der Spin eines Elektrons gibt ihm ein magnetisches Moment und macht es zu einem winzigen Stabmagneten. Das ist für die Ursachenforschung der Hochtemperatur-Supraleitung interessant. Die magnetischen Wechselwirkungen könnten nämlich jeweils zwei Elektronen zu Cooperpaaren zusammen binden. Die Elektronenpaare flitzen im Gegensatz zu einzelnen Elektronen ungehindert durch das Kristallgitter eines Metalls oder einer Keramik, weil sie andere Quanten-Eigenschaften besitzen und damit für die Atome des Kristalls unsichtbar werden.

In einem magnetischen Material orientieren sich die magnetischen Momente der Spins parallel oder antiparallel. Parallel heißt: alle Nordpole zeigen in dieselbe Richtung; Bei der antiparallelen Ausrichtung weisen die Nordpole benachbarter Stabmagneten in entgegengesetzte Richtungen - wie zum Beispiel in den Eisenarseniden. Allerdings stehen die Spins nicht völlig still, sondern trudeln ein wenig auf der Stelle wie Kreisel, die an Schwung verlieren. Von einer Spinwelle sprechen Physiker, wenn die Spins jeweils um einen fixen Abstand versetzt kreisen wie rotierende Teller auf Stäben, die ein Jongleur nacheinander anstößt. Lassen sich in einem Material Spinwellen anregen, beweist dies magnetische Wechselwirkungen.

Solche Spinwellen hat das internationale Team jetzt auch in einem supraleitenden Eisenarsenid angeregt und genau untersucht. Dazu beschossen die Physiker die Probe mit unterschiedlich schnellen, also energiereichen Neutronen und versetzen so verschiedene Spinwellen in Schwung. Das Neutron wird dabei langsamer und ändert seine Richtung, und genau diese Veränderungen können die Physiker messen: Sie erhalten das sogenannte Spinwellenspektrum des Materials. Es gibt wieder, bei welchen Energien Neutronen Spinwellen anregen.

Messwerte geben Theoretikern Futter

"Da es sie gibt und sie sogar relativ stark sind, können magnetische Wechselwirkungen also prinzipiell auch die Supraleitung vermitteln", sagt Vladimir Hinkov. Dass sie diese Vermittlerrolle tatsächlich übernehmen, ist damit zwar noch nicht bewiesen. "Aber die Theoretiker stehen schon in den Startlöchern, um mit unseren Daten ihre unterschiedlichen Modelle zu testen.", so Hinkov.

Immerhin bietet sein Team den Theoretikern noch weitere Hilfestellung: "Für die Theoretiker ist auch wichtig, dass wir ihnen ganz konkrete Zahlen über das Spinwellenspektrum liefern, und somit wie stark der Magnetismus tatsächlich ist." Das klingt einfach, ist es aber nicht: Bei den Kupraten hat es über zehn Jahre gedauert, bis solche konkreten Ergebnisse vorlagen, was deren Verständnis erheblich erschwert hat. Die Eisenarsenide liegen sowohl in punkto Komplexität als auch mit ihrer Sprungtemperatur zwischen konventionellen Supraleitern und den Kupraten. "Vielleicht wäre es deshalb für das generelle Verständnis der Supraleitung besser gewesen, wenn die Eisenarsenide vor den Kupraten entdeckt worden wären", sagt Vladimir Hinkov.

Die Messwerte zu den Eisenarseniden können die Theoretiker nun in die Formeln einsetzen, mit denen sie die unkonventionelle Supraleitung zu beschreiben versuchen und prüfen, ob sie so zu sinnvollen Ergebnissen kommen. Stellen die Formeln einen korrekten Zusammenhang zwischen den Materialeigenschaften und der Sprungtemperatur der Hochtemperatur-Supraleiter her, ist das ein großer Schritt hin zum alltagstauglichen Stromtransport ohne Verluste. Dann können Physiker unter anderem schauen, an welchen Materialeigenschaften sie drehen müssen, um die Sprungtemperatur nach oben zu treiben.

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Hintergrund: Die Konventionen der Supraleitung

Konventionelle Supraleiter

Viele Metalle geben ihren Widerstand beim Stromtransport irgendwann auf - wenn sie nur kalt genug sind. Ab etwa Temperaturen unter minus 250 Grad Celsius, nur 23 Grad über dem absoluten Nullpunkt der Temperatur, schließen sich die Elektronen in ihnen zu Cooperpaaren zusammen. Bei welcher Temperatur genau die Cooperpaare entstehen, ist von Metall zu Metall verschieden. Diese Temperatur heißt Sprungtemperatur.

Die Cooperpaare verdanken ihren Namen dem US-Physiker Leon N. Cooper, der gemeinsam mit John Bardeen und John R. Schrieffer die allgemein akzeptierte und nobelpreis-gekrönte BCS-Theorie - das Akronym steht für die Initialen der Forscher - zur Supraleitung in Metallen aufgestellt hat. Demnach verkuppeln die Schwingungen des Metallgitters die Elektronen zu den Paaren, die verlustfreien Stromtransport ermöglichen.

In einem Metall streifen die Atome ihre äußeren Elektronen ab, die einen Elektronensee bilden und zum Beispiel den Stromfluss ermöglichen. Die zurückbleibenden positiv geladenen Atomrümpfe schwimmen in diesem Metallsee. Dabei sind sie zwar an ihren Platz gebunden, dort zittern sie aber je nach der Höhe der Temperatur mehr oder weniger heftig vor sich hin. In glühendem Metall sehr stark, nahe am absoluten Nullpunkt der Temperatur nur noch sehr träge. Dann spüren benachbarte Atomrümpfe auch, wenn sich gerade ein Elektron aus dem Elektronensee zwischen ihnen befindet. Das Elektron zieht sie nämlich mit seiner negativen Ladung an. So ergibt sich um das Elektron herum ein leichtes Übergewicht positiver Ladung, die wiederum ein zweites Elektron anlockt. Das bildet mit dem ersten ein Cooperpaar.

Immer wenn die Supraleitung nach diesem Mechanismus entsteht, nennen Physiker sie konventionell. Der Mechanismus funktioniert aber nur bei extrem tiefen Temperaturen, bei denen sich alle Teilchen in dem Metall nur noch sehr behäbig bewegen. Um solche Temperaturen zu erreichen, muss man die Metalle mit flüssigem Helium kühlen. Das ist sehr teuer, so dass diese Supraleiter für viele Anwendungen nicht in Frage kommen.

Unkonventionelle Supraleiter

Entsteht die Supraleitung nicht nach diesem Mechanismus, wird sie als unkonventionell bezeichnet. Schon in dem Attribut klingt die Ratlosigkeit an, mit der Physiker ihr zunächst gegenüberstanden: Über sie ließ sich lange nicht viel mehr sagen, als dass sich auch in ihnen Cooperpaare bilden, dass die Schwingungen des Kristallgitters hier nicht als Partnervermittler auftreten und dass auch hier zu starke thermische Bewegungen der beteiligten Teilchen die Paarbindung lösen. Als eine mögliche Ursache werden magnetische Wechselwirkungen diskutiert.

Wie die magnetischen Wechselwirkungen die Cooperpaare zusammenbringen könnten, ist noch schwieriger anschaulich zu beschreiben als die Vermittlung durch die Gitterschwingungen. Und selbst die Wissenschaftler diskutieren noch, wie der magnetische Mechanismus genau funktioniert. Eine Analogie zu den konventionellen Supraleitern kann davon vielleicht eine Vorstellung geben: In konventionelle Supraleiter binden die elektrischen Wechselwirkungen zwischen den Elektronen und ionischen Atomrümpfen die Elektronen zu Cooperpaaren zusammen. Auf ähnliche Weise könnten in unkonventionellen Supraleitern auch die magnetischen Wechselwirkungen zwischen den Teilchen die Cooperpaare erzeugen.

Als Hochtemperatur-Supraleiter gelten jene, die sich schon mit günstig herzustellendem flüssigem Stickstoff weit genug abkühlen lassen, damit sich die Cooperpaare formieren. Damit sie ihren Name auch gemessen an thermischen Alltagserfahrungen verdienen, müssten die bindungsstiftenden Kräfte - welcher Natur sie auch immer sind - die Elektronen auch dann noch zusammenhalten, wenn hohe Temperaturen die beteiligten Teilchen kräftig durchrütteln.

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