Sicherheit nach Plan

Ein internationales Forscherteam untersucht, ob bauliche Eingriffe die Angst vor Kriminalität verringern

Der Blick aus dem 30. Stockwerk eines Hochhauses in der Berliner Gropiusstadt ist überwältigend - doch wohnen möchten viele hier nicht. Dabei sollten soziale und bauliche Rehabilitationsmaßnahmen Hochhausquartieren in den vergangenen Jahren europaweit auch ein besseres Image verpassen. Soziologen am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht und internationale Forscher haben nun untersucht, ob kriminelle Delikte zurückgegangen sind und sich Mieter dadurch tatsächlich sicherer fühlen.

Monotone Fassadenfronten und dunkle Häuserschluchten. Die Großwohnsiedlungen Marzahn im ehemaligen Ostberlin und Gropiusstadt im Westen der Stadt gelten als Problembezirke. Die Bewohner der Mietskasernen fühlen sich immer mehr bedroht - obwohl die Fallzahlen der Kriminalitätsstatistiken in beiden Arealen leicht sinken; eine offensichtliche Schere zwischen Wahrnehmung und Realität. Das zeigt auch die Studie, die eine internationale Gruppe aus England, Ungarn, Polen und Deutschland im Rahmen eines europäischen Förderprogramms durchgeführt hat. Der Soziologe Tim Lukas, Doktorand am Max-Planck-Institut für Strafrecht hat die Befragungen in Berlin geleitet. Die Forschungsfrage der Wissenschaftler war, ob baulich-architektonische Eingriffe in solchen Hochhausquartieren der Kriminalität entgegenwirken und ob die Bewohner dadurch auch weniger Angst vor Kriminalität haben. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Menschen vor fünf Jahren zufriedener gewesen sind als heute. Doch obwohl sich die Befragten in beiden Berliner Arealen im Jahr 2005 weniger sicher fühlten als in 2000, verblüfft Marzahn mit einer Erfolgsnachricht: Etwa 75 Prozent der Mieter finden ihre Gegend sogar attraktiv.

Dieses und andere Ergebnisse gewannen die Forscher in schriftlichen Befragungen. Jeweils 500 Bewohner über 18 Jahren gaben per Fragebogen Auskunft über ihre Einstellung zu Kriminalität und Unsicherheitsgefühlen. Die Forscher wählten dabei bewusst den Vergleich von zwei Hochhaussiedlungen, die im Osten und im Westen vor dem Mauerfall entstanden sind. "Viele Plattenbauten wurden damals hochgezogen und galten als Errungenschaften der Moderne", sagt Lukas. "Doch wenige Jahrzehnte später bröckelte der Lack."

Seit Mitte der 1980-er Jahre litten viele Großwohnsiedlungen unter Mieterschwund und Imageverlust. Jugendliche Gewalt und Vandalismus machten sich in den anonymen Häuserschluchten breit. Modernisierungsprogramme und städtebauliche Eingriffe sollten die Wende bringen und den Hochhauskomplexen einen Mieterschub verschaffen.

"Städtebauförderprogramme wie die Soziale Stadt zielten auf die Verbesserung des Lebensraumes ab und sollten das Image erhöhen", erklärt Lukas. Ein sicheres Lebensgefühl und geringe Kriminalität sollten folgen. Ob es tatsächlich so ist, erfragten nun die Forscher in den unterschiedlichen Ländern. Die Ergebnisse überraschen: Das Sicherheitsgefühl sank trotz hoher Investitionen. Neun von zehn Gropiusstädtern fahren nur mit ungutem Bauchgefühl nachts mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. In Marzahn sind dagegen weniger Menschen ängstlich. Das liegt nach Vermutung der Forscher an dem hohen Anteil älterer Mieter in Gropiusstadt. "Die sind grundsätzlich ängstlicher als jüngere Menschen", ergänzt Lukas.

Der Faktor Angst steht auch teilweise im Widerspruch zu leicht fallenden Kriminalitätsstatistiken. Obwohl in Gropiusstadt 2004 die Straftaten pro Einwohner mit 116 pro 1000 Einwohner unter den Anfangswert von 125 im Jahr 2000 gesunken sind, fühlen sich die Menschen dort erheblich unsicherer als im Ost-Pendant. In Marzahn sind die Straftaten im letzten Jahr leicht gesunken, aber immer noch knapp ein Viertel höher als in 2000. Diese unerwartete Zufriedenheit im Osten entsteht besonders durch die Bindung der Mieter an ihr Umfeld und die geringere Isolation.

Dieses Ergebnis gewannen die Forscher auch in Hochhaussiedlungen in Krakau und Budapest: Je höher die Bindung der Menschen an ihr Quartier, desto sicherer fühlen sie sich. Die Forscher wollten auch wissen, ob der Faktor Zeit die Bindung ans Quartier beeinflusst. "In der Literatur wird immer davon ausgegangen, dass die Nachbarschaftskontakte besser und die Bindung ans Viertel höher werden, je länger man dort wohnt", berichtet der Soziologe Lukas: "Das haben wir in unserer Befragung nicht verifizieren können."

Nach den Funden der Forscher muss nun eine Lösung gefunden werden, um die wachsenden Angstgefühle trotz stabiler Kriminalitätsstatistiken zu bekämpfen. Maßnahmen wie das Conciergemodell, eine Art multifunktionaler Hausmeister und Ansprechpartner, haben bereits Erfolg gezeigt und die soziale Kontrolle teilweise erhöht. Zusätzlich können gezielte Freizeitangebote und soziale Treffpunkte die Einwohner besser integrieren.

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