Die Schleichwege der Malariaerreger

Erkenntnisse, wie sich die Parasiten durch das Bindegewebe in die Blutbahn des Menschen bewegen, könnten Ansatzpunkte für eine Therapie liefern

28. Oktober 2011

Malaria gehört zu den großen Plagen der Menschheit, gegen die es bis heute keinen Impfstoff gibt. Forscher des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart und von der Universität Heidelberg haben nun untersucht, wie die einzelligen Parasiten über ein künstliches Nanomaterial wandern. Dieses Material imitiert Eigenschaften des natürlichen Bindegewebes: Das müssen die Erreger nach dem Mückenstich zunächst erfolgreich durchqueren, um in den Blutkreislauf zu gelangen. Die Grundlagenforschung könnte eines Tages auch der Medizin zu wirksameren Malariamedikamenten verhelfen.

Über drei Milliarden Menschen sind laut Weltgesundheitsorganisation WHO dem Risiko einer Malariainfektion ausgesetzt. Jährlich erkranken an ihr nahezu 250 Millionen Menschen, 2009 fielen ihr fast 800 000 Menschen zum Opfer. „Leider sterben viele infizierte Kinder“, sagt Nadine Perschmann. Die junge Chemikerin erforscht in einem Heidelberger Team von Joachim Spatz, Direktor am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart, was – salopp gesagt – Malariaerreger mobil macht. Ihre Grundlagenforschung könnte eines Tages auch der medizinischen Forschung helfen. Wenn klarer ist, wie diese einzelligen Parasiten sich vom Mückenstich weiter in den Körper hinein schmuggeln, dann lassen sie sich vielleicht wirksamer stoppen.

Doch der Reihe nach. Die Plasmodien, wie die einzelligen Parasiten im Fachjargon heißen, durchlaufen in ihrem Lebenszyklus verschiedene Stadien. In den Anopheles-Mücken als Überträgern entstehen sie aus geschlechtlich gezeugten „Eiblasen“, den Oocysten. Beim Stich übertragen die Insekten mit ihrem Speichel dann die infektiöse und besonders mobile Form des Erregers: Diese sogenannten Sporozoiten sind das Forschungsobjekt von Nadine Perschmann. „Sie gelangen beim Stich aber nicht direkt ins Blut, wie viele meinen“, erklärt sie. Die kleinen Angreifer müssen sich zunächst durch das Gewebe zu den Blutgefäßen vorarbeiten. Mit dem Blut gelangen sie in die Leber. In infizierten Leberzellen und roten Blutzellen vermehren sie sich und die nächste Mücke kann sie bei ihrer Blutmalzeit aufnehmen. „In den Mücken schließt sich der Kreislauf“, erklärt Perschmann.

Die Chemikerin interessiert sich speziell dafür, wie die Erreger direkt nach dem Stich durch das Gewebe wandern. Allerdings arbeitet sie im Labor mit einem Malariaerreger, der Ratten befällt: „Er ist für Menschen ungefährlich.“ Mit den Sporozoiten sie von Friedrich Frischknechts Team am Hygiene-Institut der Universität Heidelberg versorgt. Die Erreger setzt die Forscherin auf künstliche Oberflächen, die verschiedene biologische, physikalische und chemische Eigenschaften imitieren. So kann sie beobachten, unter welchen präzisen Bedingungen die Sporozoiten, wie die Erreger wissenschaftlich heißen, sich schnell bewegen, eher abbremsen – oder nur anhaften. Diese Daten liefern auch Hinweise, welche Gewebearten und Umgebungen sie lieber schnell durchqueren und in welchen sie sich gerne einnisten.

Die Erreger bewegen sich wie Spannerraupen fort

„Die Plasmodien sind für Einzeller sehr schnell“, erklärt die Wissenschaftlerin: „Ihre Bewegung kann man unter dem Mikroskop mit dem Auge verfolgen.“ Bis etwa zwei Mikrometer (Millionstel Meter) pro Sekunde können die Sporozoiten vorangleiten. Da sie selbst in dieser Form nur bis zu zwölf Mikrometer klein sind, ist das also in einer Sekunde gut ein Fünftel ihrer Körperlänge. Interessant ist auch, wie die Einzeller sich bewegen. Wie eine Spannerraupe heften sie sich mit einem Ende an den Untergrund an und pendeln mit dem anderen Ende hin und her, bis sie auch dafür einen guten Kontakt gefunden haben. „Dann bilden sie in ihrer Mitte eine neue Kontaktstelle aus“, erklärt Perschmann. Sind die Bedingungen passend, dann fangen sie an zu gleiten. Aber wie machen sie das?

„Anders als manche andere Einzeller haben sie keine propellerartigen Geißeln oder sonstige Antriebshilfen“, erläutert die Chemikerin. Stattdessen kann die Zelle mit ihrer äußeren Hülle viele kleine Kontaktpunkte zum Untergrund ausbilden, die unter starker elektronenmikroskopischer Vergrößerung wie winzige Füßchen aussehen. Das zumindest geschieht auf den künstlichen Oberflächen, die eine Spezialität von Joachim Spatz‘ Team sind. Mit einem trickreichen Verfahren versehen die Max-Planck-Forscher ein folienartiges Material, ein sogenanntes Hydrogel, mit einem Muster an winzigen Goldkontakten.

Das Hydrogel selbst ist proteinabweisend, weshalb die Zellen keinen direkten Kontakt zu ihm aufnehmen können. Anders steht es mit der aufgeprägten Noppenwelt der Goldkontakte: Eine Schicht aus Biomolekülen, sogenannten Peptiden, macht sie für lebende Zellen anziehend. Die winzigen Goldkontakte haben einen Durchmesser von nur zehn Nanometern (Milliardstel Meter), denn der Schlüssel zur Zellenbewegung liegt weit unten in der Größenskala auf der Ebene biologischer Moleküle.

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