eRosita bestätigt Standardmodell der Kosmologie

Ergebnisse der Durchmusterung des Röntgenhimmels beseitigen Unstimmigkeiten zwischen konkurrierenden Messungen der Struktur des Universums

Das deutsche eRosita-Konsortium unter Leitung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik stellt präzise Messungen des gesamten Materiegehalts des Universums und seiner Verklumpung vor. Diese basieren auf einer Analyse, wie sich Galaxienhaufen, die größten Strukturen im Universum, im Laufe der kosmischen Zeit entwickeln haben. Diese Ergebnisse bestätigen das kosmologische Standardmodell und entschärfen Unstimmigkeiten in vorherigen Messungen anderer Instrumente. Gleichzeitig geben sie Aufschluss über die schwer fassbare Masse der Neutrinos und die Zustandsgleichung der dunklen Energie.

Vor zwei Wochen veröffentlichte das deutsche eRosita-Konsortium die Daten seiner ersten vollständigen Himmelsdurchmusterung. Das Hauptziel der Mission ist ein besseres Verständnis der Kosmologie mittels der Messung, wie sich Galaxienhaufen - einige der größten Strukturen in unserem Universum - im Laufe der kosmischen Zeit entwickeln. eRosita beobachtet die Röntgenstrahlung, die von heißem Gas in Galaxienhaufen emittiert wird, und kann damit sowohl die Gesamtmenge der Materie im Universum als auch deren Verklumpung präzise messen. Die eRosita-Messungen beseitigen frühere Unstimmigkeiten zwischen bisherigen Messungen der Verklumpung mit verschiedenen Techniken, insbesondere dem kosmischen Mikrowellenhintergrund und dem schwachen Gravitationslinseneffekt.

Ein Instrument der Präzisionskosmologie

"eRosita etabliert damit die Messung der Entwicklung von Galaxienhaufen als Instrument für die Präzisionskosmologie", sagt Esra Bulbul vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, die das eRosita-Team für Galaxienhaufen und Kosmologie leitet. "Die kosmischen Parameter, die wir aus Galaxienhaufen messen, stimmen mit den modernsten Daten des kosmischen Mikrowellenhintergrunds überein und zeigen, dass das gleiche kosmologische Modell von kurz nach dem Urknall bis heute gilt."

Zoom auf einige Galaxienhaufen

Dieses Video zeigt sowohl den gesamten eRosita-Galaxienhaufen-Katalog (siehe Abbildung oben) als auch einen Zoom auf einige bekannte Galaxienhaufen, darunter den nahe gelegenen Virgo-Haufen, den Shapley-Superhaufen (eine große überdichte Region von Galaxienhaufen), den Centaurus-Haufen, das interagierende System von Galaxienhaufen A3391/95 und schließlich den Fornax-Haufen.

Nach dem kosmischen Standardmodell, dem sogenannten Lambda Cold Dark Matter (ΛCDM)-Modell, war das junge Universum ein extrem heißes, dichtes Meer aus Photonen und Teilchen. Im Laufe der kosmischen Zeit wuchsen winzige Dichteunterschiede zu den großen Galaxien und Galaxienhaufen, die wir heute sehen. Die Beobachtungen der eRosita-Galaxienhaufen zeigen, dass alle Arten von Materie (sichtbare und dunkle) 29 % der Gesamtenergiedichte des Universums ausmachen - in hervorragender Übereinstimmung mit Werten aus Messungen der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung aus der Frühzeit des Universums.

Ein Materienetz durchzieht das Universum

Neben der Messung der Gesamtmateriedichte hat eRosita auch die Verklumpung der Materieverteilung mit Hilfe eines Parameters namens S8 gemessen. Der Parameter S8 ist ein Maß für die Dichteschwankungen der Materie im Universum auf sehr großen Skalen, nämlich 8 Megaparsec, entsprechend 26 Millionen Lichtjahren. In den letzten Jahren hat sich in der Kosmologie die so genannte "S8-Spannung" herausgebildet. Diese besteht darin, dass bei Studien basierend auf dem kosmischen Mikrowellenhintergrund ein höherer S8-Wert gemessen wird als bei kosmologischen Durchmusterungen aufgrund des schwachen Gravitationslinseneffekts. Dies hätte auf eine neue Physik hindeuten können, wenn eRosita nicht für Entspannung gesorgt hätte. "eRosita sagt uns, dass sich das Universum während der gesamten kosmischen Geschichte verhalten hat wie erwartet", sagt Vittorio Ghirardini, Postdoktorand am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik und verantwortlich für die kosmologische Studie.

Die größten Strukturen im Universum enthalten zudem Informationen über die kleinsten Teilchen: Neutrinos. Diese Leichtgewiche sind fast unmöglich zu entdecken. "Es mag paradox klingen, aber wir haben durch die Häufigkeit der größten Halos aus dunkler Materie im Universum enge Grenzen für die Masse der leichtesten bekannten Teilchen gefunden", sagt Ghirardini. Obwohl Neutrinos klein sind, sind sie "heiß", sie bewegen sich also fast mit Lichtgeschwindigkeit. Daher neigen sie dazu, die Verteilung der Materie zu glätten - was durch die Analyse der Entwicklung der größten kosmischen Strukturen untersucht werden kann. "Wir stehen sogar kurz vor einem Durchbruch bei der Messung der Gesamtmasse der Neutrinos, wenn wir sie mit Neutrinoexperimenten auf der Erde zusammenbringen", fügt Ghirardini hinzu. Die Häufigkeit der Haufen in den eRosita-Daten allein ergibt eine Obergrenze für die Gesamtmasse von 0,22 eV; in Kombination mit den Daten des kosmischen Mikrowellenhintergrunds verringert sich diese sogar auf 0,11 eV (bei 95 prozentiger Wahrscheinlichkeit). Dies ist die bisher genaueste kombinierte Messung aus allen kosmologischen Beobachtungen.

Dehnt sich das Universum langsamer aus als von Einstein gefordert?

eRosita kann uns aber noch mehr über die Beschaffenheit des Universums verraten. Die Gravitationstheorien sagen voraus, dass große kosmische Strukturen im Laufe der Entwicklung des Universums mit einer bestimmten Geschwindigkeit wachsen sollten. Mit den eRosita-Daten kann diese Wachstumsrate gemessen werden. Obwohl es noch zu früh ist, um mit Sicherheit eine Aussage treffen zu können, scheint die Rate zu späten Zeiten etwas langsamer zu sein, als Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie vorhersagt. "Wir könnten kurz vor einer neuen Entdeckung stehen", sagt Emmanuel Artis, ein Postdoktorand am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik. "Wenn das bestätigt werden kann, wird eRosita den Weg für neue spannende Theorien jenseits der Allgemeinen Relativitätstheorie weisen."

All diese Ergebnisse basieren auf einem der bisher größten Kataloge von Galaxienhaufen, der Teil der Veröffentlichung ist. In der Hälfte der ersten eRosita-Himmelsdurchmusterung entdeckten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 12.247 Galaxienhaufen. "8.361 davon sind Neuentdeckungen - mehr als 80%", staunt Matthias Kluge, Postdoktorand am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik. "Das zeigt das enorme Entdeckungspotenzial von eRosita."

Bezieht man die Entfernung der Galaxienhaufen mit ein, so befinden sich diese an den Schnittpunkten des sogenannten kosmischen Netzes. Der ebenfalls heute veröffentlichte Superhaufen-Katalog kartiert die Galaxienhaufen und wie sie mit großräumigen Filamenten miteinander verbunden sind. "Wir haben mehr als 1300 Superhaufensysteme gefunden, was dies zur bisher größten Sammlung von Röntgen-Superhaufen macht", sagt Ang Liu vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik.

Ein weiteres Erfolgsgeheimnis dieser Studie war die korrekte Reproduktion der eRosita-Beobachtungen durch umfangreiche Computersimulationen. "Auf diese Weise konnten wir die Haufen in den eRosita-Daten vollständig erfassen, indem wir verstanden, welche wir übersehen haben", sagt Nicolas Clerc, Forscher am IRAP in Toulouse. "Der Umgang mit diesen so genannten 'Selektionsfehlern' war eine zusätzliche Schwierigkeit bei unserer Arbeit".

Um die Masse der einzelnen Sternhaufen zu messen, nutzten die Forschenden des eRosita-Teams ein schwaches Gravitationssignal, das aus drei optischen Durchmusterungen stammt: der von Europa geleiteten KiloDegree-Survey, der von den USA geleiteten Dark Energy Survey und das von Japan geleitete Hyper Suprime-Cam Subaru Strategic Program. Der so genannte schwache Gravitationslinseneffekt tritt auf, wenn das Licht von Hintergrundgalaxien durch gravitative Wechselwirkungen mit dem Haufen im Vordergrund verzerrt wird. Die Kosmologinnen und Kosmologen entschlüsseln diese Verzerrungen, um die Masse der Galaxienhaufen zu bestimmen.

"Während wir die monumentale Leistung des eRosita-Teams würdigen, sind wir gespannt auf die aufregenden weiteren Entdeckungen, die unser Verständnis der Ursprünge und der Entwicklung unseres Universums vertiefen werden", betont Esra Bulbul. Das Team ist gespannt darauf, die im Februar 2022 abgeschlossenen 4,5 vollständigen Himmelsdurchmusterungen weiter zu analysieren. "Wenn die vollständigen Daten ausgewertet sind, wird eRosita unsere kosmologischen Modelle dem strengsten Test unterziehen, der jemals mit einer Durchmusterung von Galaxienhaufen durchgeführt wurde."

Galaxienhaufen in 3D

In dieser Animation werden die eRosita-Haufen in drei Dimensionen in einem sphärischen Koordinatensystem dargestellt, wobei die galaktische Breite und Länge sowie die Rotverschiebung einfließen. Jeder Punkt ist ein Sternhaufen, wobei die Farben die Rotverschiebung anzeigen (siehe erste Abbildung).

 

Hintergrundinformationen

Dieses Projekt wurde vom Europäischen Forschungsrat (ERC) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 der Europäischen Union gefördert ("Grant Agreement No 101002585").

 

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