Weitergabe kulturellen Wissens in Frauen-Subsistenznetzwerken
Jäger- und Sammler: Bei der täglichen Nahrungssuche vermitteln Frauen Kindern und Jugendlichen wichtige Fertigkeiten für ihr späteres Leben
In Jäger- und Sammlergesellschaften leisten Frauen einen entscheidenden Beitrag zur Sicherung des Lebensunterhalts ihrer Gemeinschaft, vor allem bei der Nahrungsbeschaffung und der Weitergabe von Wissen an die Kinder. Doch dieser Beitrag wurde im Vergleich zu dem von Männern bisher nur wenig erforscht. Ein neue Studie zu den in der Republik Kongo lebenden BaYaka vermittelt nun einzigartige Einblicke in weibliche Subsistenznetzwerke und ihre Bedeutung für die Produktion und Weitergabe kulturellen Wissens über Generationen hinweg.
Haneul Jang vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Daniel Redhead von der Universität Groningen in den Niederlanden zeigen in ihrer aktuellen Studie, wie Frauen-Netzwerke und ihre Zusammensetzung es Kindern und Jugendlichen ermöglichen, Subsistenzpraktiken zu erlernen und ihrerseits weiterzuvermitteln. Dazu arbeiten die Forschenden mit den BaYaka zusammen, einer der wenigen heutigen Jäger- und Sammlergesellschaften. Die BaYaka leben relativ egalitär; die Rolle von Einzelnen in der Gemeinschaft und bei der Subsistenzsicherung ist nicht formell definiert. Daher kann jede und jeder Einzelne – auch Kinder – frei entscheiden, wann und mit wem er oder sie an Aktivitäten zur Sicherung des Lebensunterhalts teilnimmt. Die BaYaka-Frauen sammeln im Wald pflanzliche Nahrungsmittel, darunter Pilze, Nüsse sowie Süßkartoffeln und fangen Fische – all das bildet die Grundlage für die täglichen Mahlzeiten der Gemeinschaftsmitglieder.
Jüngere Kinder gingen mit ihren Müttern und nahen Verwandten auf Nahrungssuche
Die Forschenden folgten den BaYaka-Frauen jeden Tag in den Wald und beobachteten über einen Zeitraum von 230 Tagen hinweg, was sie sammelten und mit wem sie auf Nahrungssuche gingen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Nahrungssuche der Frauen stark nach Alter und Geschlecht strukturiert ist. Jüngere Kinder im Alter zwischen 4 und 6 Jahren gingen hauptsächlich mit ihren Müttern und nahen Verwandten wie Geschwistern auf Nahrungssuche, während ältere Kinder zwischen 7 und 13 Jahren sowie Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren eher mit nicht verwandten Gruppenmitgliedern gleichen Alters oder älteren Personen auf Nahrungssuche gingen. Dieser Entwicklungsübergang bietet älteren Kindern neue Möglichkeiten, sich Expertenwissen zu verschaffen oder ihre Fähigkeiten mit Freunden zu üben. Die Altersmischung der Mitglieder der Sammlergruppe zeigt auch, dass Erwachsene nicht nur mit anderen erfahrenen Erwachsenen auf Nahrungssuche gehen, sondern diese auch dazu nutzen, Wissen an Kinder weiterzugeben und bei der Betreuung der Kinder anderer Gruppenmitglieder zu helfen.
„Unsere Ergebnisse liefern erste Anhaltspunkte dafür, dass die sich ändernden Präferenzen von Kindern und Jugendlichen, sich an Subsistenzaktivitäten zu beteiligen, zum Teil auf die Möglichkeit zurückzuführen sind, wichtige Fähigkeiten und kulturelles Wissen zu erlernen. Als wir die BaYaka-Frauen auf die Nahrungssuche im Wald begleiteten, konnten wir in der Tat beobachten, dass kleine Kinder am ehesten bei ihren Müttern und anderen erwachsenen Frauen blieben, während ältere Kinder und Jugendliche den Wald mit Gleichaltrigen oder nicht verwandten Erwachsenen erkundeten, um Sammeltechniken zu üben, zu kopieren und zu erlernen“, sagt Jang.
Mittlere Kindheit entscheidend für das kulturelle Lernen
Ältere Kinder zwischen 7 und 13 Jahren waren wichtig für die Vermittlung von Kenntnissen zwischen jüngeren Kindern und Jugendlichen. Diese Kinder zogen es vor, mit gleichaltrigen Freunden und jugendlichen Geschwistern auf Nahrungssuche zu gehen. Ältere Kinder wurden auch mit ihren jüngeren Geschwistern gesehen, mit denen Jugendliche nur wenig Zeit verbrachten. „Unseren Ergebnisse zufolge ist die mittlere Kindheit nicht nur entscheidend, um von älteren Kindern zu lernen und Fertigkeiten mit Gleichaltrigen zu üben, sondern auch um grundlegende Kenntnisse an jüngere Geschwister weiterzugeben“, so Redhead. „Diese Ergebnisse stehen mit der Theorie der kulturellen Evolution im Einklang, die besagt, dass sich Wissen unter Gleichaltrigen oder Geschwistern schneller verbreitet als von Eltern zu Kindern. Frauen-Subsistenznetzwerke scheinen für diese Art des Lernens Raum zu schaffen und sie zu fördern.“
Die Ergebnisse der aktuellen Studie eröffnen eine neue Perspektive auf die Rolle, die Frauen und Kinder bei der Produktion und Weitergabe von kulturellem Wissen spielen, und belegen, dass die Subsistenzaktivitäten von Frauen zur Weitergabe von Kultur bei Menschen beigetragen haben.