Forschungsbericht 2023 - Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz (Standort Seewiesen)

Wie reagieren Tiere an Umweltveränderungen wie den Klimawandel?

Autoren
Oefele, Marlene; Hau, Michaela
Abteilungen

Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz (Standort Seewiesen), Seewiesen

Zusammenfassung
Jahreszeitliche und witterungsbedingte Veränderungen der Umweltbedingungen sind in fast allen Regionen der Erde normal. Sie beeinflussen die Nahrungsverfügbarkeit und den Energieverbrauch der Tiere auf meist vorhersehbare Weise. Allerdings erleben wir derzeit einen deutlichen Anstieg der Jahrestemperaturen und vor allem der Häufigkeit extremer Wetterereignisse. Wir wollen verstehen, wie die internen Prozesse im Körper auf Umweltveränderungen reagieren und die Anpassung der Tiere steuern, um abschätzen zu können, ob Arten damit zurechtkommen oder aussterben werden.

Umweltveränderungen gab es immer, aber der Klimawandel ist extrem

Fortlaufende Umweltveränderungen sind ein fester Bestandteil des Lebens. So bringen die Jahreszeiten oft starke Temperatur- und Wetterschwankungen mit sich. Tiere, die diesen wiederkehrenden Umweltveränderungen ausgesetzt sind, müssen viel Energie aufbringen, um zu überleben (Abb.1).

Bestimmte Vorgänge im Körper, wie der Energiestoffwechsel, ermöglichen eine ständige Anpassung an wechselnde Bedingungen und sorgen für das Überleben und Fortbestehen der Tiere. Vögel beispielsweise müssen Wärme produzieren, um ihre Körpertemperatur aufrechtzuerhalten. Wärme wird mit Hilfe des Energiestoffwechsels produziert, wofür Energiereserven benötigt werden. Die Energiereserven müssen über die Nahrung wieder aufgefüllt werden, was jedoch unter schlechten Witterungsbedingungen oft schwierig ist, wenn zum Beispiel durch starken Dauerregen das Angebot an Insekten knapp wird. Kann nicht genügend Nahrung gefunden werden, müssen Energiereserven für die Wärmeproduktion umverteilt werden, die dann wiederum an anderer Stelle, wie z.B. für die Fortpflanzung, fehlen.

Eine solche Umverteilung von Energiereserven ist ein wesentlicher Bestandteil der Fähigkeit, sich an die Umwelt anpassen zu können. Während die meisten Tiere optimal an ihre Umwelt angepasst sind, wird es problematisch, wenn Umweltschwankungen plötzlich aus dem Ruder laufen. Durch den Klimawandel nehmen Wetterextreme und Temperaturschwankungen innerhalb eines Jahres zu – sie werden stärker und vor allem unvorhersehbarer. Um mit diesen veränderten Umweltbedingungen zurechtzukommen, müssen sich Tierarten auch evolutionär anpassen, um fortbestehen zu können. Doch was genau befähigt ein Tier dazu, sich an neue Umweltbedingungen anzupassen?

Hormone steuern die Anpassung an Umwelteinflüsse

Um diese Fähigkeiten zu verstehen, ist es wichtig, die zugrundeliegenden Vorgänge im Körper genau zu kennen. Hormone sind dabei zentrale Steuerungselemente, die den Energiestoffwechsel regulieren (Abb. 1). Eines dieser Hormone ist Kortikosteron, auch als „Stresshormon“ bekannt. Kortikosteron regelt je nach Bedarf die Energieversorgung verschiedener Körperregionen, wie z.B. des Gehirns oder der Muskeln. Darüber hinaus reguliert Kortikosteron sehr wahrscheinlich die Körpertemperatur, indem es den dafür notwendigen Energiestoffwechsel steuert [1]. Eine optimale Regulierung der Körpertemperatur fördert das Überleben und den Fortpflanzungserfolg der Tiere, und damit den Fortbestand einer Art. Um die Rolle des Kortikosterons in einer sich verändernden Welt zu verstehen, untersucht unser Forschungsteam, wie sich der Energiestoffwechsel an Temperaturveränderungen anpasst und welche Konsequenzen dies für Gesundheit, Überleben und Fortpflanzungserfolg hat. Diese Fragen untersuchen wir vor allem an wilden Vögeln, wobei neue Methoden, wie die Messung des zellulären Energiestoffwechsels [2] oder bestimmte DNA-Marker, zum Einsatz kommen [3].

Kohlmeisen (Parus major) kommen in ganz Europa vor und sind wahre Meister der Anpassung - vom Wald bis in die Stadt. In einer fünfjährigen Studie an wildlebenden Kohlmeisen untersuchten wir, wie sich die Kortikoide mit der Umgebungstemperatur verändern (Abb. 1). Dazu nahm unsere Forschungsgruppe wiederholt winzige Blutproben von Kohlmeisen-Eltern während der Brutzeit und zeichnete gleichzeitig die Lufttemperatur auf. Bei Vögeln kann man Blutproben, ähnlich wie beim Menschen, vorsichtig aus der Flügelvene entnehmen – ohne dass es ihren Brutablauf beeinträchtigt. So konnten wir zeigen, dass die Kortikoide bei niedrigen Temperaturen ansteigen. Kortikoide stehen also tatsächlich in engem Zusammenhang mit der Wärmeproduktion, da bei niedrigen Temperaturen mehr Wärme produziert werden muss.

Außerdem konnten wir zeigen, dass die Menge der Kortikoid-Ausschüttung von Individuum zu Individuum variiert [4]. Je besser es einem Individuum gelingt, seine Kortikoid-Ausschüttung an neue Bedingungen, wie z.B. die durch den Klimawandel verursachten extremeren Temperaturschwankungen, anzupassen, desto höher sind seine Überlebenschancen. Umso höher ist sein Fortpflanzungserfolg und umso erfolgreicher kann dieses Individuum zum Fortbestand seiner Art beitragen - ein evolutionärer Vorteil.

Die Suche nach Biomarkern für die Kosten der Anpassung

Wie ein Individuum auf seine Umwelt reagiert, hängt weitgehend von seinem Energiestoffwechsel ab. Der Energiestoffwechsel findet in den Mitochondrien statt, den Zellorganellen, die Nahrung in Energiemoleküle umwandeln. Dieser Prozess wird unter anderem durch Kortikoide gesteuert. Darüber hinaus ist die Energieproduktion in den Mitochondrien eng mit den sogenannten Telomeren verknüpft. Diese Abschnitte der Erbsubstanz gelten als Biomarker für die Gesundheit und die Überlebensfähigkeit eines Individuums [5].

Telomere verkürzen sich im Laufe des Lebens, und zu kurze Telomere führen zum Zelltod und damit zum biologischen Altern (Abb. 2). So konnte unser Forschungsteam bei Kohlmeisenküken zeigen, dass ein erhöhter Kortikoidspiegel (der bei ungünstigen Umweltbedingungen auftritt) mit verkürzten Telomeren, also vorzeitiger biologischer Alterung, und einem verschlechterten Energiestoffwechsel in den Mitochondrien einhergeht [3]. Es besteht also ein innerer Zusammenhang zwischen Umweltbedingungen, Kortikoiden, Mitochondrien und Telomeren. Um die Bedeutung dieser Biomarker noch besser zu verstehen, arbeiten wir auch an der Frage, wie das Verhalten der Tiere mit den Telomeren und der Energieproduktion in den Mitochondrien zusammenhängt. Dazu wird derzeit eine Langzeitstudie an Zebrafinken (Taeniopygia guttata) durchgeführt. Zebrafinken sind eine ideale Art für diese Studien,  da sie sich sehr schnell an unvorhergesehene Veränderungen anpassen. Da Zebrafinken leicht in Volieren gehalten werden können, ist es möglich, das gesamte Leben der Vögel zu verfolgen und so spannende neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Kann die Anpassung an den Klimawandel gelingen?

Um diese Frage zu beantworten, wollen wir unter anderem die Anzahl der Nachkommen einzelner Kohlmeisen und Zebrafinken bestimmen. Die Tiere, die mehr Nachkommen als ihre Artgenossen hinterlassen, kommen offenbar besser mit der veränderten Umwelt zurecht und können durch die Weitergabe ihrer Gene zum Fortbestand ihrer Art beitragen (Abb. 2).

Literaturhinweise

Mentesana, L.; Hau, M.
Glucocorticoids in a warming world: Do they help birds to cope with high environmental temperatures?
Hormones and Behavior 142, 105178 (2022)
Malkoc, K.;  Casagrande, S.;  Hau, M.
Inferring whole-organism metabolic rate from red blood cells in birds
Frontiers in Physiology 12, 691633 (2021)
Casagrande, S.;  Loveland, J. L.; Oefele, M.; Boner, W.; Lupi,  S.;  Stier,  A.; Hau, M.
Dietary nucleotides can prevent glucocorticoid-induced telomere attrition in a fast-growing wild vertebrate
Molecular Ecology 32, 5429–5447 (2023)
Hau, M.;  Deimel, C.; Moiron, M.
Great tits differ in glucocorticoid plasticity in response to spring temperature
Proceedings of the Royal Society B / Biological Sciences 289, 20221235 (2022)
Casagrande, S.; Hau, M.
Telomere attrition: metabolic regulation and signalling function?
Biological Letters 15, 20180885 (2019)

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