„Wir dürfen keine Rückschritte machen“

Entschädigungsfonds, CO2-Bilanz und Global Stocktake: Worum es bei der diesjährigen Weltklimakonferenz in Dubai geht, beobachten die Rechtswissenschaftler Moritz Vinken und Philipp Sauter

29. November 2023

Wie teuer wird der Entschädigungsfonds für die Länder des globalen Nordens, kommt das Aus für fossile Brennstoffe und wie erfolgreich sind die Industrienationen in ihrer CO2-Bilanz? Die diesjährige Weltklimakonferenz in Dubai (COP 28) steht im Zeichen militärischer Auseinandersetzungen und geringer Kompromissbereitschaft. Eine sechsköpfige Delegation verschiedener Max-Planck-Institute ist vor Ort und beobachtet die Verhandlungen aus wissenschaftlicher Perspektive. Moritz Vinken und Philipp Sauter vom MPIL erklären die wichtigsten Konfliktpunkte im Interview.

 Schulnoten für den Klimaschutz: Auf der 28. Conference of Parties (COP28), die vom 30. November bis voraussichtlich 12. Dezember in Dubai stattfindet, werden die Klimaschutz-Maßnahmen der 198 Vertragsparteien erstmals bewertet. Wie wichtig ist dieser erste „Global Stocktake“?

Philipp Sauter: Schulnoten würde ich es nicht nennen. Der Global Stocktake ist ein zentrales Instrument des Pariser Klimaschutzabkommens. Alle Staaten teilen sich das Ziel der Temperaturbegrenzung. Um dieses Ziel zu erreichen, entscheidet jedes Land individuell, welche Anstrengungen es unternimmt (so genannte Nationally Determined Contributions oder NDCs), wobei deren Erreichung nicht rechtsverbindlich ist. In regelmäßigen Abständen wird hierbei geschaut, ob die nationalen Anstrengungen genügen, um das Ziel zu erreichen.

Dieses Jahr findet der erste Global Stocktake statt und künftig dann alle fünf Jahre. Dabei geht es nicht um die Bewertung einzelner Staaten, sondern um die kollektive Anstrengung aller Staaten. Die Gesamtheit der Staaten bewertet die Anstrengung der Gesamtheit der Staaten. Die letzten Berichte des Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, bestehend aus einer Vielzahl von Klimaforschenden) zeigen aber bereits jetzt, dass diese Anstrengungen nicht genügen.

Welchen Zweck hat diese Bewertung?

Sauter: Der Sinn besteht darin, dass der Global Stocktake die Staaten aufrüttelt, ihr Engagement deutlich zu erhöhen. Wir erwarten hier aber auch große bereits bekannte und verfahrene Diskussionen und Streitpunkte, insbesondere entlang der üblichen Streitthemen der COP: Wer trägt welche historische Verantwortung und wer muss zukünftig welchen Beitrag leisten?

Wie funktioniert dieses Verfahren?

Vinken: Der Global Stocktake ist als Schrittmacher des Klimaregimes ein sehr ambitioniertes und aufwendiges Verfahren. Seit 2021 wurde der Global Stocktake in zwei verschiedenen Phasen vorbereitet. Zum einen wurden zunächst die relevanten Informationen zusammengetragen, etwa die Informationen, die die Staaten verpflichtet sind in regelmäßigen Abständen an das Klimasekretariat zu übermitteln. Danach folgte eine Phase, ein ‚technischer Dialog‘, dessen Ziel es war, bereits wissenschaftlich zu ermitteln, inwieweit es mit Blick auf die langfristigen Ziele des Abkommens – nicht nur des Temperaturziels, sondern auch der Ziele im Bereich der Abschwächung (Adaptation) oder Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen (Implementation) – einen Fortschritt gegeben hat. Auf der COP28 wird dieser Zwischenstand nun politisch debattiert.

Klar ist, dass die bisherigen nationalen Klimabeiträge, selbst wenn sie eingehalten würden, bei weitem nicht ausreichen, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen.

Was sind weitere Themen auf der COP28?

Vinken: Für uns von besonderem Interesse sind die institutionellen und rechtlichen Entwicklungen, die das internationale Klimaschutzrecht auf der COP28 nehmen wird. Hier steht zum einen im Fokus, wie erfolgreich der Global Stocktake zu Ende geführt wird, da er als ein zentraler Antreiber der staatlichen Ambitionen konzipiert ist. Gelingt es dem Global Stocktake, die nächsten Jahre und die zu aktualisierenden nationalen Beiträge der Mitgliedstaaten nachhaltig zu beeinflussen, wäre das ein riesiger Erfolg für den Steuerungsansatz, den das Pariser Abkommen verfolgt.

Außerdem wird interessant zu sehen, wie die sogenannten Artikel 6 Verhandlungen sich entwickeln. Artikel 6 des Pariser Abkommens adressiert Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Vertragsstaaten bei der Umsetzung ihrer Klimaschutzziele. Historisch sind dabei Marktmechanismen von besonderer Bedeutung. Sie ermöglichen zum einen, dass Staaten in klimafreundliche, emissionsreduzierende Projekte in anderen Ländern investieren können und die dabei erzielten Emissionsreduktionen auf ihr eigenes Klimaschutzziel anrechnen lassen können oder sogar mit den erzielten Emissionsreduktionszertifikaten  unter bestimmten Bedingungen handeln können. Diese Marktmechanismen waren insbesondere unter dem Vorgänger des Pariser Abkommens, dem Kyoto-Protokoll, Kernbestand des Instrumentariums. Diese Marktmechanismen sind in der Vergangenheit jedoch auch zunehmend auf Kritik gestoßen, zum einen weil sich herausgestellt hat, dass teilweise Projekte finanziert und angerechnet wurden, die überhaupt nicht klimafreundlich oder anderweitig umweltschädlich waren, zum anderen weil es Probleme des double-counting birgt, nämlich dass ein und dieselbe Emissionsreduktion von zwei Ländern auf ihre Klimabeiträge angerechnet werden, und zwar von dem finanzierenden Staat und dem Staat, auf dessen Territorium das klimafreundliche Projekt umgesetzt wird. Besonders die letztere Frage hat die Verhandlungen rund um Artikel 6 des Pariser Abkommens in den letzten Jahren beschäftigt.

Sauter: Weiterhin von großem Interesse wird die politische Dimension sein. Wie zeigen sich die verschiedenen geopolitischen Konfliktlagen in den Verhandlungen? Blockieren einzelne Staaten gemeinsame Bestrebungen als Retourkutschen für Positionen in sonstigen Konflikten?

Kann der status quo der bisherigen Klimaanstrengungen und -absprachen erhalten werden? Können neue Absprachen getroffen werden in Bezug auf den Ausstieg aus fossilen Energien und der Förderung erneuerbarer Energien auf breiter Front?

Ein weiterer Streitpunkt wird die Frage sein, wer für klimabedingte Schäden und Verluste aufkommt. Teilen Sie die teilweise großen Hoffnungen? Erwarten Sie Fortschritte für den Loss and Damage Funds?

Vinken: Ja das ist ebenfalls ein sehr interessanter und vielleicht vielversprechender Verhandlungspunkt! Bereits auf letztjährigen COP hatte das Thema Loss and Damage gewaltig an Fahrt aufgenommen. Zum einen wurde ein Teil des Warsaw Mechanism for Loss and Damage (WiM) mit dem Santiago Network weiterentwickelt, welches als „Katalysator“ zwischen Organisationen, Netzwerken und Initiativen für die technische Unterstützung bei der Umsetzung relevanter Ansätze zur Abwendung, Minimierung und Bewältigung von klimawandelbedingten Verlusten und Schäden fungieren soll.

Viel wichtiger aber war die grundsätzliche Einigung zur Einrichtung eines Loss and Damage Funds. Dieser Fond zielt darauf ab, die von den Auswirkungen des Klimawandels am stärksten gefährdeten und betroffenen Länder finanziell zu unterstützen.

Diesbezüglich sind die Verhandlungen im letzten Jahr zügig vorangegangen, auch weil solche Finanzierungsstrukturen im internationalen Klimaschutzrecht nicht neu sind. Es können also auf der COP28 weitere Fortschritte erwartet werden, insbesondere was die rechtliche Struktur und Organisation des Loss and Damage Funds angeht. Fonds sind an sich im internationalen Klimaschutzrecht aber auch im internationalen Umweltrecht bereits seit Jahrzehnten fest etablierte Bestandteile der Governance Strukturen sind. Klar ist jedoch auch, dass es auch in Bezug auf den Loss and Damage Fund mit aller Wahrscheinlichkeit keine Verpflichtung zur Einzahlung für entwickelte Staaten geben wird und damit die Frage nach der Finanzierung schwierig bleibt. Bis der Fonds seine Arbeit aufnimmt, wird es wahrscheinlich noch mindestens ein Jahr dauern – das ist insgesamt schon sehr zügig im Verhältnis zu anderen Institutionen des Klimaregimes.

Ein zentraler Streitpunkt ist auch, wer wann wie viel und wie seine Emissionen reduziert. Sind hier Fortschritte realistisch?

Sauter: Entscheidend hierbei ist, inwieweit Staaten fossile Energieträger einsetzen und subventionieren. 2021 in Glasgow konnten sich die Staaten bereits darauf einigen, sich dafür einzusetzen, nicht-kompensierte Kohleemissionen und ineffiziente Subventionen fossiler Energien zu reduzieren. 2022 haben europäische Staaten versucht, einen generellen Ausstieg aus fossilen Energien zu erreichen, konnten sich aber nicht durchsetzen. Es erscheint auch eher unwahrscheinlich, dass unter der Präsidentschaft der VAE, welche ausgeübt wird von Sultan Al Jaber, Industrie- und Fortschriftminister aber gleichzeitig auch Direktor des staatlichen Ölkonzerns, ein Fortschritt erreicht wird. Ziel dieser COP ist daher, nicht hinter die Entscheidung aus Glasgow zurückzufallen.

Vorhin sind Sie bereits kurz auf die geopolitischen Konflikte eingegangen. Inwiefern können die Kriege in der Ukraine und Gaza sowie andere Konflikte die Verhandlungen prägen?  

Sauter: Das wird sicher ein wichtiger Aspekt sein. Wie werden sich Russland, die Ukraine, Israel oder Palästina verhalten und welche Rolle spielen diese andauernden Krisen? Gibt es einen Riss zwischen globalen Norden und Süden, wie sich das seit den Terroranschlägen der Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel und der israelischen Gegenreaktion angedeutet hat? Wie verhalten sich Saudi-Arabien und China, die vergangenes Jahr trotz ihrer wirtschaftlichen Entwicklung nach wie vor darauf bestanden haben, als Entwicklungsländer deklariert zu werden?

Ihre Antwort deutet an, wie sehr die internationale Klimapolitik und das internationale Klimaschutzrecht von ganz verschiedenen Themengebieten beeinflusst ist. Inwiefern muss denn ein effektiver Klimaschutz auf internationaler Ebene auf diese verschiedenen Einflüsse eingehen? Haben andere Gebiete des Völkerrechts auch eine Rolle zu spielen?

Vinken: Ganz richtig. Das internationale Klimaschutzrecht operiert nicht in einem Vakuum, sondern berührt viele Themengebiete und Rechtsfragen. Um das Thema Klimawandel und Klimaschutz effektiv angehen zu können, müssen zahlreiche   Völkerrechtsgebiete für den Klimaschutz mobilisiert oder zumindest so sensibilisiert werden, dass diese Rechtsgebiete sich ihrer Rolle im Klimaschutz bewusst werden. Das gilt für das internationale Wirtschaftsrecht genauso wie für die internationalen Menschenrechtsinstrumente. Insofern konnte man über die letzten Jahre hinweg beobachten, dass über die Grenzen einzelner Rechtsgebiete hinweg der Klimaschutz ein Thema war. Besonders Menschenrechte haben in den letzten Jahren eine immer bedeutsamere Rolle in den Bemühungen, Staaten zu mehr Klimaschutz zu bewegen, gespielt; nicht zuletzt auch vor internationalen Gerichten, beispielsweise vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Umgekehrt ist aber auch das internationale Klimaschutzrecht der Schauplatz sehr tiefsitzender Konfliktlinien des allgemeinen Völkerrechts, beispielsweise des Verhältnisses zwischen den Ländern des Globalen Nordens und des Globalen Südens. Auch wenn diese Kategorien sich zunehmend differenzieren, ist es immer noch diese Achse, welche viele Entwicklungen des internationalen Klimaschutzrechts erklärt. In gewisser Weise wird also immer noch viel mehr verhandelt als ‚nur‘ den Klimaschutz. Dies zeigt sich auch Jahr für Jahr auf der COP.

Sauter: Diese Fragen waren besonders deutlich im vergangenen Jahr und werden es auch wieder dieses Jahr sein. Wie werden sich völkerrechtliche Initiativen von Staaten des globalen Südens durchsetzen können? Letztes Jahr war der Vorstoß des Inselstaates Vanuatus, den Internationalen Gerichtshof um ein Gutachten zu verschiedenen völkerrechtlichen Verpflichtungen von Staaten zu bitten, groß diskutiert worden und letztlich zu Beginn des Jahres auch von der UN-Generalversammlung einstimmig angenommen wurden. Seit einiger Zeit gibt es auch den Vorstoß von einigen Staaten, in Anlehnung des Atomwaffensperrvertrages eine Art Sperrvertrag für fossile Energieträger umzusetzen. Hier ist es spannend, dessen Entwicklung zu beobachten.

Wie wichtig ist interdisziplinäre Zusammenarbeit?

Sauter: Der Kampf gegen die Klimakrise betrifft so viele Bereiche – von den naturwissenschaftlichen Grundlagen zu Klimaprozessen über gesundheitliche und soziologische Folgen der globalen Erwärmung, der Rolle der Wirtschaft im Anheizen sowie im Kampf gegen die Erwärmung, über die Politikwissenschaft zur Erläuterung der globalen Interessenskonflikte bis hin zum Recht als Mittel der globalen Kooperation. Diese wissenschaftliche Querschnittsaufgabe hat man auch am Erfolg der ersten Max Planck Climate Conference in Berlin gesehen.

Welche Aufgabe hat die Wissenschaft auf der COP?

Sauter: Auf der COP versammelt sich eine Vielzahl an verschiedenen Gruppen: Diplomat*innen, Lobbyist*innen, Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen. Insbesondere Lobbyist*innen haben teilweise direkten Einfluss auf die Verhandlungen, während ein fakten- und wissenschaftsbasiertes Vorgehen in den Hintergrund geraten kann. Gerade dabei ist die Präsenz der Wissenschaft wichtig, um hier ein Gegengewicht darzustellen.

Wie das?

Sauter: Wir werden die diplomatischen Prozesse beobachten und wissenschaftlich begleiten. In den eigentlichen Verhandlungen kommen natürlich nur die Delegierten der Vertragsparteien zu Wort. In den Nebenveranstaltungen, die offen für alle Teilnehmenden sind ­– also Diplomat*innen, NGOs, Presse, Wissenschaft –, erhalten und geben wir Input.

Vinken: Das internationale Klimaschutzrecht ist ein unglaublich dynamisches Rechtsgebiet. Will man, wie ich, im Rahmen seiner Forschung die Institutionellen Governance Prozesse genauer beobachten und analysieren, kann man von den COPs sehr viel lernen. Ich freue mich darauf, nach meinem Besuch im vergangenen Jahr einen weiteren Einblick in die Maschinerie des Klimaregimes zu bekommen, Kollegen zu treffen und spannende Verhandlungen mitzuerleben.

Vor der COP ist nach der COP: Welche Impulse könnten von der diesjährigen Konferenz ausgehen?

Sauter: Bereits wie letztes Jahr wird der Fokus darauf liegen, keinen Rückschritt zu machen. Während 2021 in Glasgow große Fortschritte gefeiert werden konnten – Manifestierung des 1,5°C Ziels, Absprachen zur Reduzierung fossiler Energie – so gab es letztes Jahr massiven Druck, diesen Erfolg wieder zu revidieren. Aufgrund der Präsidentschaft sind keine zu ambitionierten neuen Ziele zu erwarten. Ein großer Durchbruch wäre eine verbindlichere Absprache zum Ausstieg aus fossilen Energieträgern und eine Abschaffung von klimaschädlichen Subventionen.

Wo findet die nächste COP statt?

Sauter: Sehr spannende Frage! Normalerweise steht dies bereits Jahre zuvor fest. Formal müssen die Delegierten der COP28 den Präsidenten der COP29 wählen. Hierbei zeigen die verschiedenen geopolitischen Konflikte ihre Auswirkung. Die kommende Konferenz soll in Osteuropa stattfinden, die Entscheidung wird einstimmig innerhalb der osteuropäischen Staaten getroffen. Aufgrund der EU-Sanktionen infolge des Ukrainekrieges blockiert Russland allerdings das Angebot von EU-Staaten wie Bulgarien oder Tschechien, die nächste COP zu veranstalten. Alternativ haben sich Aserbaidschan und Armenien angeboten, wobei diese Staaten aufgrund ihres aktuellen Grenzkonflikts sich gegenseitig blockieren. Findet sich kein Austragungsstaat, so wird die COP29 vermutlich in Bonn stattfinden, wo das UN-Klimasekretariat seinen Hauptsitz hat.

Interview: Michaela Hutterer 

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