Schimpansen können in Lautäußerungen Bedeutungen kombinieren
Freilebende Schimpansen verwenden Lautabfolgen, um miteinander über mehrere etwa zeitgleich stattfindende Alltagsereignisse zu kommunizieren
Sprache ermöglicht es dem Menschen, mithilfe einer begrenzten Anzahl von Lauten (Vokalen und Konsonaten) über eine Vielzahl von alltäglichen Themen zu kommunizieren. Im Vergleich dazu wirkt die Fähigkeit von Tieren, sich mit Artgenossen durch Rufe zu verständigen, sehr begrenzt. Ein Forschungsteam der Leipziger Max-Planck-Institute für evolutionäre Anthropologie und für Kognitions- und Neurowissenschaften sowie des CNRS-Instituts für Kognitionswissenschaften in Lyon haben Tausende von Lautäußerungen freilebender Schimpansen in der Elfenbeinküste aufgezeichnet und analysiert. Das Ergebnis: Schimpansen, die mit einer einzelnen Aktion beschäftigt waren, wie fressen, spielen, ausruhen oder jemanden begrüßen, gaben meist auch nur einen Ruf von sich. Taten sie hingegen mehrere Dinge gleichzeitig, wie “fressen und begrüßen” oder “sich fortbewegen und sich zu einer Gruppe vereinen”, war es doppelt so wahrscheinlich, dass sie Lautabfolgen verwendeten. Schimpansen verfügen also möglicherweise über Voraussetzungen für die Entwicklung einer “zusammengesetzten Kommunikation”.
Der Mensch kombiniert flexibel Wörter zu hierarchisch strukturierten Sätzen, um sich mit anderen über ein breites Spektrum an Themen zu verständigen. Diese “zusammengesetzte Kommunikation” (compound communication) ermöglicht es uns, mit einer begrenzten Anzahl von Zeichen jede beliebige Bedeutung auszudrücken. Die Fähigkeit von Tieren, Rufe zu Lautfolgen zu kombinieren, konnte bisher noch nicht nachgewiesen werden; somit blieb auch die Evolution der “zusammengesetzten Kommunikation” bisher ein Rätsel.
Dieser Lösung einen Schritt näher könnte uns der Vergleich der Kommunikationssysteme von Tieren mit denen des Menschen bringen. Wenn die Vermittlung von Informationen zu zeitgleich oder kurz nacheinander stattfindenden Ereignissen Tieren Vorteile bringt, sollte ihnen die Verwendung von Lautsequenzen – im Vergleich zu Einzelrufen – einen Selektionsvorteil bieten. Doch obwohl viele Arten mehr als ein Ereignis zeitgleich erleben, produzieren nur wenige von ihnen in diesen Fällen Lautabfolgen. Hier ist jedoch die Datenlage unzureichend und steht meist mit Alarmereignissen im Zusammenhang. Ob das die tatsächlichen Grenzen der Tierkommunikation oder die Schwierigkeiten ihrer Erforschung widerspiegelt, die einen großen Zweitaufwand erfordert, bleibt abzuwarten.
Die Forschenden zeichneten im Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste Tausende von Lautäußerungen von 98 freilebenden Schimpansen auf – von Neugeborenen bis hin zu Senioren (55 Jahre alt). Dabei identifizierten sie 13 verschiedene Rufe, die zu Hunderten von Lautsequenzen unterschiedlicher Länge kombiniert wurden. Tatiana Bortolato, die Erstautorin dieser Studie, betont: „Das gesamte Kommunikations-Repertoire eines unserer nächsten lebenden Verwandten zu analysieren ist ungewöhnlich. Es ist aber von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, die Lautkombinationsmuster, über die eine Tierart verfügt, und die evolutionären Ursprünge von Sprache zu erforschen.”
Lautabfolgen im Kontext
Ergänzend zu den Audiodaten, sammelte das Forschungsteam auch umfassende Daten zum Verhalten der Tiere und ihrem Lebensraum, um zu analysieren, welchen Ereignissen die einzelnen Lautabfolgen zugrunde liegen. Roman Wittig und Cedric Girard-Buttoz, leitende Autoren der Studie, stimmen überein: „Während die meisten Tiere in ihrem täglichen Leben routinemäßig mit mehreren gleichzeitig oder aufeinander folgenden Ereignissen konfrontiert werden, wie etwa mit der Begrüßung von Artgenossen am Futterplatz oder der Annäherung mit anschließendem Zusammensein, verwendet die Mehrzahl der Tierarten auch in solchen Situationen nur einen einzigen Ruf. Das deutet darauf hin, dass die Verwendung von Lautabfolgen zur Kommunikation komplexer Informationen im Tierreich nur selten vorkommt, bisher aber auch unzureichend erforscht ist.”
„Obwohl wir uns in dieser Studie nicht mit Syntax befassen, so könnte doch die Produktion einer großen Anzahl langer Lautsequenzen, die der Kommunikation über alltägliche Ereignisse dienen, als Voraussetzung für die Entwicklung menschlicher Kommunikation gedient haben”, sagt Catherine Crockford, ebenfalls leitende Autorin der Studie. „Die Kommunikation über zwei oder mehrere zeitgleich stattfindende Ereignisse in der Gegenwart stellt ein evolutionäres Szenario dar, aus dem heraus sich die Fähigkeit des Menschen zur Kommunikation über zeitgleich in der Vergangenheit stattgefundene oder in der Zukunft stattfindende Ereignisse entwickelt haben könnte", ergänzt Bortolato.
In einem nächsten Schritt plant das Forschungsteam zu untersuchen, welche Informationen durch die Lautabfolgen konkret vermittelt werden und inwiefern die Verwendung dieser Sequenzen das Kommunikationspotential von Schimpansen bei der Bewältigung ihres komplexen Soziallebens verbessern kann.