Hochgeladene Xenon-Ionen als Sensoren für fünfte Kraft
Das Standardmodell ist eine Theorie der Physik, die die Wechselwirkungen der Elementarteilchen erstaunlich gut beschreibt und vorhersagt, mit wenigen Ausnahmen. Forschende des Max-Planck-Instituts für Kernphysik und anderer Institutionen haben hochgeladene Xenon-Ionen als vielversprechende Kandidaten identifiziert, um eine mögliche fünfte Kraft zwischen Elektronen und Neutronen zu untersuchen, die die Lücken des Standardmodells füllen könnte.
Das sogenannte Standardmodell der Physik beschreibt die bekannten Elementarteilchen und ihre fundamentalen Wechselwirkungen. Obwohl es für Hochenergieexperimente wie am Cern und im atomaren und molekularen Bereich sehr gut funktioniert, erklärt es weder die Dominanz der Materie gegenüber der Antimaterie noch Neutrino-Oszillationen und offensichtliche Hinweise auf Dunkle Materie. Neben der aktuellen Suche nach neuer Physik an Beschleunigern stellen neue Hochpräzisionsexperimente in der Atomphysik zunehmend die Grenzen des Standardmodells auf die Probe und erforschen mögliche Alternativen und Erweiterungen der Theorie.
Eine grundsätzliche Möglichkeit ist eine hypothetische fünfte Kraft zwischen Elektronen und Neutronen. Sie würde - abhängig von der Anzahl der Neutronen im Kern - zu zusätzlichen winzigen Verschiebungen der Frequenzen atomarer Übergänge führen. In den letzten Jahren wurden in einer Reihe von Experimenten solche Isotopenverschiebungen um viele Größenordnungen präziser bestimmt, als dies vormals möglich war. Das klassische Werkzeug für deren Analyse, der so genannte King-Plot, parametrisiert die bekannten Effekte der Kernmasse und der endlichen Kerngröße und liefert eine lineare Beziehung für diese Isotopenverschiebungen. Mit der jüngsten enormen Verbesserung der Genauigkeit wird der King-Plot zu einem Mikroskop für kleinste Wechselwirkungen jenseits der Standardmodell-Beschreibung.
Hochgeladenes Xenon als Kandidat für die Suche nach einer fünften Kraft
In einer neuen bei Physical Review Letters veröffentlichten Studie haben Physiker des Max-Planck-Instituts für Kernphysik, der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt und der University of New South Wales hochgeladene Xenon-Ionen als hervorragende Kandidaten für die Untersuchung einer fünften Kraft identifiziert. „Der King-Plot braucht genügend Datenpunkte, um auf das Vorhandensein einer unbekannten Wechselwirkung zu schließen, die gebundene Elektronen mit den Neutronen im Kern koppelt“, erklärt Nils Rehbehn, Doktorand in der Gruppe von José Crespo am Max-Planck-Institut für Kernphysik. „Das bedeutet: Möglichst viele elektronische Übergänge und möglichst viele stabile Isotope mit einer geraden Massenzahl.“ Xenon ist dafür ideal, denn es hat sieben solcher Isotope.
Theorie bietet neue spektroskopische Analyse mit verbesserter Präzision
Eine fünfte Kraft würde zu einem nichtlinearen Verhalten des King-Plots führen. Unzureichend verstandene Standardmodell-Effekte höherer Ordnung (‚spurions‘) könnten jedoch ebenfalls Nichtlinearitäten hervorrufen, die eine fünfte Kraft vortäuschen. Um dies zu umgehen, entwickelte Julian Berengut der University of New South Wales einen neuen verallgemeinerten, mehrdimensionalen King-Plot, der mehr Übergänge und Isotopenpaare verwendet, um einen größeren Satz linearer Gleichungen zu erstellen, die zur Isolierung dieser Standardmodell-Effekte höherer Ordnung geeignet sind: „Wir brauchen nicht einmal genaue Kenntnisse über die Kernmassen. Mit sieben stabilen, geraden Isotopen von Xenon können wir mit einem fünfdimensionalen King-Plot bis zu drei ‚spurions‘ in den Griff bekommen.“
Die Physikerinnen und Physiker haben nach dreizehn ‚verbotenen‘ optischen Übergängen gesucht, sie gefunden und genau vermessen. „Diese Linien sind eine Million Mal schwächer als normale optische Emissionslinien, und wir haben ihre Wellenlängen mit einer Präzision gemessen, die uns helfen wird, sie später mit extrem schmalbandigen Lasern zu finden“, erklärt Gruppenleiter José Crespo das Hauptziel dieser anspruchsvollen Untersuchung. „Eine der Grundzustandsanregungen hat eine Lebensdauer von 500 s - ein potenzieller Zeitgeber, der unser vorgeschlagenes System weiter verbessert.“
Weitere Suche nach atomaren Übergängen als Sensoren für neue Physik und Kerneigenschaften
Die Xenon-Isotope stellen somit das umfassendste System zur Untersuchung einer hypothetischer fünften Kraft dar, selbst bei Vorhandensein von ‚spurions‘. Doktorand Michael Rosner über die nächsten Ziele: „Wir werden unsere Suche nach atomaren Übergängen fortsetzen, die auf andere Erscheinungsformen einer fünften Kraft reagieren. Unsere Spektroskopie kann auch Kerneigenschaften, wie die Deformation von Kernen, genau bestimmen und so den Weg für eine empfindlichere Suche nach Physik jenseits des SM ebnen.“