Bei Autismus ist die funktionale Gehirnorganisation verändert

Häufig ist bei Menschen mit Autismus die Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung im Gehirn betroffen, die sich auf die Entwicklung der sozialen Interaktion, der Kommunikation und des Verhaltensrepertoires auswirkt. So weisen sie im Vergleich zu nicht-autistischen Personen subtile Veränderungen in der Asymmetrie der Gehirnstruktur auf und eine geringere Lateralität der funktionellen Aktivierung, in Bezug auf die Verwendung der linken oder rechten Hemisphäre im Gehirn. Bin Wan und Sofie Valk vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig und Forschungszentrum Jülich (Deutschland) haben nun in einer Studie gemeinsam mit Forschenden aus Südkorea, UK, Schweiz und Kanada untersucht, ob solche funktionellen Asymmetrien bei Autismus auf eine veränderte systematische Organisation im Gehirn generell hindeuten.

Autismus ist gekennzeichnet durch lebenslange Unterschiede in der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie eingeschränkte und sich wiederholende Interessen und Verhaltensweisen. Die weit verbreiteten Verhaltensunterschiede, die bei Menschen mit Autismus beobachtet werden, gehen einher mit Berichten über strukturelle und funktionelle Veränderungen in den sensorischen und assoziativen Regionen des Gehirns. Eine Ursache verorten Forschende in gestörten Mustern der Hirnasymmetrie, die möglicherweise mit einer abweichenden Lateralisierung funktioneller Prozesse zusammenhängen. „Asymmetrie ist ein Schlüsselmerkmal der Gehirnorganisation, sie unterstützt ein flexibles Zusammenspiel zwischen lokalen neuronalen Modulen, die mit der funktionellen Spezialisierung verknüpft sind, die der menschlichen Kognition zugrunde liegt.“, erklärt Bin Wan, Erstautor der Studie.

Gemeinsam mit Kolleg*innen aus Kanada hat der Forscher Hirnscan-Daten von 140 autistischen Personen und 143 nicht-autistischen Personen im Alter von fünf bis vierzig Jahren ausgewertet, um Ungleichgewichte auf Systemebene in den Hemisphären bei Autismus zu untersuchen. „Wir beobachteten eine verminderte linksgerichtete funktionelle Asymmetrie der Sprachnetzwerksorganisation bei Personen mit Autismus im Vergleich zu nicht-autistischen Personen. Während die Asymmetrie der Sprachnetzwerke bei letzteren in verschiedenen Altersgruppen variierte, war dies bei Autismus nicht der Fall. Das deutet darauf hin, dass die atypische funktionelle Lateralität bei Autismus aus veränderten Entwicklungsverläufen resultiert.“ Außerdem stellten die Wissenschaftler*innen fest, dass Merkmale, die innerhalb einer Hälfte des Gehirns liegen, den Schweregrad der autistischen Merkmale vorhersagen können.

Sofie Valk, Leiterin der Forschungsgruppe Kognitive Neurogenetik am MPI CBS, ordnet ein: „Zusammengenommen zeigt unsere Arbeit, dass es große Unterschiede in der Asymmetrie der funktionellen Organisation bei autistischen und nicht-autistischen Personen gibt. Diese Unterschiede sind möglicherweise in der Entwicklung begründet und variieren stark von Person zu Person. Die Ergebnisse legen nahe, dass sowohl genetische als auch umweltbedingte Komponenten in diesem Zusammenhang wichtig sein könnten. Künftige Arbeiten müssten nun die Auswirkungen von Umweltfaktoren auf Gene untersuchen, die mit Autismus während der frühen Entwicklung assoziiert werden und die kognitive Entwicklung über die gesamte Lebensspanne.“

 

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