KI findet verschmelzende schwarze Löcher
Interdisziplinäres Team entwickelt neuronales Netz zur besseren Interpretation von Gravitationswellendaten
Ein interdisziplinäres Team des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme und des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik hat einen Algorithmus entwickelt, der seine eigenen Berechnungen der Eigenschaften verschmelzender schwarzer Löcher umgehend überprüft und sein Resultat gegebenenfalls korrigiert – kostengünstig und zeitnah. Die Methode des Maschinellen Lernens liefert dabei sehr genaue Informationen über die gemessenen Gravitationswellen und kann eingesetzt werden, wenn das weltweite Netzwerk der Gravitationswellen-Detektoren im Mai die nächste Messkampagne beginnt.
Wenn zwei schwarze Löcher miteinander verschmelzen, rasen die dabei abgestrahlten Gravitationswellen mit Lichtgeschwindigkeit durchs All. Treffen sie irgendwann auf die Erde, können große Detektoren in den USA (Ligo), in Italien (Virgo) und in Japan (Kagra) die Signale auffangen. Durch Vergleich der Messdaten mit theoretischen Vorhersagen können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dann die Eigenschaften der schwarzen Löcher herausfinden, nämlich deren Größe, Eigendrehimpuls, Ausrichtung, Position am Himmel oder deren Entfernung von der Erde. Ein Forschungsteam der Abteilung für Empirische Inferenz des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Tübingen und der Abteilung Astrophysikalische und Kosmologische Relativitätstheorie am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam hat jetzt ein sich selbstkontrollierendes Deep Learning System entwickelt, das sehr präzise Informationen aus Gravitationswellenmessungen herausfiltert. Dabei überprüft das System selbst seine eigenen Vorhersagen über die Parameter der verschmelzenden schwarzen Löcher – im wahrsten Sinne des Wortes ein tiefes neuronales Netz mit doppeltem Boden. 42 gemessene Gravitationswellen verschmelzender schwarzer Löcher wurden mit dem Algorithmus erfolgreich analysiert: Beim Vergleich mit rechenintensiven Standardalgorithmen waren die Ergebnisse nicht zu unterscheiden. Die Forschungsarbeit wurde 26. April 2023 im Fachjournal Physical Review Letters veröffentlicht.
Dingo: ein tiefes neuronales Netz für die Gravitationswellen-Analyse
Die Forschenden verwenden das von ihnen entwickelte tiefe neuronale Netz namens Dingo (Deep Inference for Gravitational-wave Observations) zur Analyse der Daten. Dingo wurde darauf trainiert, die Gravitationswellenparameter aus den Messdaten auszulesen. Mit vielen Millionen simulierter Signale verschieden zusammengesetzter Doppelsysteme lernte das Netzwerk, echte und tatsächlich gemessene Gravitationswellendaten zu interpretieren.
Vertrauen ist gut - Kontrolle ist besser
Ob das tiefe neuronale Netz die Informationen korrekt ausliest, ist allerdings auf den ersten Blick nicht erkennbar. Ein Nachteil herkömmlicher Deep Learning Systeme ist nämlich, dass sie Ergebnisse liefern, die selbst dann plausibel klingen, wenn sie falsch sind. Deswegen haben die Forschenden beider Institute den Algorithmus um eine Kontrollfunktion erweitert. Maximilian Dax, Doktorand am Max-Planck Institut für Intelligente Systeme erläutert: „Wir haben ein Netz mit doppeltem Boden entwickelt: Zunächst berechnet der Algorithmus aus der gemessenen Gravitationswelle die Eigenschaften der schwarzen Löcher. Aus diesen berechneten Parametern wird ein Gravitationswellensignal simuliert, und anschließend mit der gemessenen Gravitationswelle verglichen. Das tiefe neuronalen Netz kann also seine eigenen Resultate gegenchecken und im Zweifelsfall korrigieren.“ Der Algorithmus kontrolliert sich so selbst und ist dadurch deutlich zuverlässiger als bisherige Methoden des maschinellen Lernens. Und nicht nur das: „Überraschenderweise entdeckten wir, dass der Algorithmus oftmals in der Lage ist, ungewöhnliche Ereignisse zu erkennen, nämlich echte Daten, die nicht mit unseren theoretischen Modellen übereinstimmen. Diese Informationen können für die schnelle Kennzeichnung von Daten genutzt werden, die genauer untersucht werden sollen“, so Stephen Green von der Universität Nottingham, ehemals Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik.
„Wir liefern Garantien für die Genauigkeit unserer Machine Learning Methode – etwas, das es sonst im Forschungsfeld Deep Learning fast nie gibt. Damit wird es für die wissenschaftliche Gemeinschaft attraktiv, den Algorithmus für die Analyse der Gravitationswellendaten einzusetzen“, sagt Alessandra Buonanno, Direktorin der Abteilung Astrophysikalische und Kosmologische Relativitätstheorie. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt erforschen Gravitationswellen in großen Kollaborationen, etwa in der Ligo Scientific Collaboration, in der über 1.500 Forschende organisiert sind.
Bernhard Schölkopf, Direktor am MPI-IS, fügt hinzu: „Heute analysiert DINGO Gravitationswellendaten – aber solch eine sich selbst kontrollierende und korrigierende Methode ist auch für andere wissenschaftliche Anwendungsbereiche interessant, bei denen es entscheidend ist, die Richtigkeit von ‚Black-Box‘-Methoden neuronaler Netze überprüfen zu können.“