Reaktiver Sauerstoff verändert den Kohlenstoffkreislauf im Wattenmeer
Forschende entdecken hohe Konzentrationen von Wasserstoffperoxid im Gezeitensand
Reaktive Sauerstoffspezies – sehr reaktive, sauerstoffhaltige Moleküle – beeinflussen maßgeblich die Mineralisierung in Gezeitensanden, so eine Studie von Bremer Forschenden. Ihre Untersuchung ist daher wichtig, um den Kohlenstoffkreislauf des Meeres besser zu verstehen.
Das Wattenmeer, häufig besucht von Seevögeln, Meeressäugern und Erholungssuchenden, erstreckt sich auf einer Länge von 500 Kilometern entlang der Nordseeküste Dänemarks, Deutschlands und der Niederlande. Es besteht größtenteils aus aus Meeresboden, der im Wechsel von Ebbe und Flut von Meerwasser durchspült wird. Dieser dynamische Lebensraum beherbergt eine Fülle von Mikroben. Sie verarbeiten Kohlenstoff und Nährstoffe aus dem Meerwasser und aus Zuflüssen und machen den Sand so zu einem zentralen Ort für die Wiederverwertung organischer Stoffe. Der Sandboden funktioniert wie ein riesiger, reinigender Filter.
Der häufige Wechsel zwischen oxischen und anoxischen Bedingungen (mit bzw. ohne Sauerstoff, auftretend bei Flut bzw. Ebbe) im Meeresboden führt dazu, dass sich dort reaktive Sauerstoffformen (reactive oxygen species, ROS) einfach bilden können. ROS sind Moleküle, die Sauerstoff enthalten und chemisch sehr aktiv sind. Ihre Rolle in der Umwelt ist vielseitig: ROS können Lebewesen gefährlich werden, indem sie Zellbestandteile schädigen. Sie können aber auch nützlich für das Wachstum von Mikroben sein. Weil sie so aktiv sind, spielen ROS eine wichtige Rolle für die Umwandlung und den Kreislauf von Kohlenstoff und anderen Stoffen in der Umwelt und können daher stark beeinflussen, wie Ökosysteme funktionieren. Dennoch sind sie in vielen Lebensräumen kaum erforscht – unter anderem in den Gezeitenflächen des Wattenmeeres.
Forschende des Max-Planck-Instituts für marine Mikrobiologie in Bremen haben nun ROS im Janssand, einer Sandbank vor der Insel Spiekeroog, genauer unter die Lupe genommen. Olivia Bourceau, Marit van Erk und ihr Team von der Forschungsgruppe Mikrosensoren untersuchten insbesondere die ROS Wasserstoffperoxid. „Wir wollten zunächst sehen, ob wir Wasserstoffperoxid überhaupt im Gezeitensand nachweisen können“, sagt Bourceau. „Und wenn ja, wollten wir wissen, wie sich dieses Wasserstoffperoxid auf die Mineralisierungsprozesse, also das Recycling von organischem Material, im Sand auswirkt.“
Wasserstoffperoxid beeinflusst die mikrobielle Aktivität
Tatsächlich fanden die Forschenden um Bourceau und van Erk hohe Konzentrationen von Wasserstoffperoxid im Gezeitensand. „Es gibt ein fein austariertes Gleichgewicht zwischen der Produktion und dem Abbau von Wasserstoffperoxid“, sagt Mitautorin van Erk. Als die Forschenden in Experimenten die Sauerstoffzufuhr oder den Abbau von Wasserstoffperoxid veränderten, hatte das deutliche Auswirkungen auf die Mikroben. ROS hemmten die Mikroben im Sand. Wurden ROS entfernt, regte das die mikrobielle Aktivität hingegen an. „Die Menge an ROS, die natürlicherweise im Sand vorhanden war, senkte die Raten der wichtigsten Mineralisierungsprozesse, sowohl der Sauerstoffatmung als auch der Sulfatreduktion, erheblich.“
Erhöhte ROS-Werte sind vor allem bei Störungen und an der oxisch-anoxischen Grenzfläche zu erwarten – beides gibt es häufig im sandigen Boden der Gezeitenzone. Da dort so viel an Kohlenstoff- und Stickstoff-Verbindungen verarbeitet wird, funktionieren diese Sande wie ein riesiger Filter. Veränderungen der ROS-Konzentration können sich daher direkt darauf auswirken, ob und wie das Ökosystem Sand als Filter und insgesamt funktioniert.
Daraus folgt, dass ROS eine wichtige, bisher nicht ausreichend beachtete Rolle in der Biogeochemie dynamischer Küstensedimente spielen. „Aus unseren Ergebnissen können wir schließen, dass ROS den Kohlenstoffkreislauf in den Sedimenten erheblich beeinflussen können. Es ist sehr wichtig, dass wir verstehen, durch was und wie der Kohlenstoffkreislauf gesteuert wird. Nur mit diesem Wissen können wir die Eutrophierung und die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf Küstensysteme im Detail untersuchen und verstehen“, so Bourceau.