Boost für den Thymus
Max-Planck-Forschende identifizieren epitheliale Stammzellen, die das Wachstum des Thymus in verschiedenen Lebensabschnitten steuern
Viele Immunzellen, die für unsere Abwehrkräfte von entscheidender Bedeutung sind, entwickeln sich am Lebensanfang und bis in die Jugendjahre in einem kleinen Organ direkt neben unserem Herzen: im Thymus. Mit dem Alter schrumpft der Thymus jedoch und auch seine Funktion und somit die Anzahl schlagkräftiger Immunzellen lassen nach. Max-Planck-Forschungsgruppen aus Freiburg und Würzburg haben nun Prozesse identifiziert, die die Entwicklung und Zusammensetzung des Thymusgewebes im Laufe des Lebens steuern. Dabei stießen Sie auch auf potenzielle Therapieansätze zur Behebung der altersbedingten Thymusschrumpfung und für die Behandlung von Autoimmunerkrankungen.
Der Thymus ist ein zentrales Organ des Immunsystems. Hier bilden sich jene T-Zellen, die als Killerzellen virusinfizierte oder entartete Zellen erkennen und vernichten sowie sogenannte Helfer T-Zellen, die dem Körper bei der Antikörperbildung zur Seite stehen.
In den vergangenen Jahrzehnten konnten in der Forschungsgruppe von Thomas Boehm am Freiburger Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik die genetischen Schalter identifiziert werden, die im Thymus für die T-Zellreifung erforderlich sind. Wesentlich sind dabei sogenannte thymische Epithelzellen, die T-Zellvorläufer anlocken und zur Reifung bringen. Dabei lernen die T-Zellen kranke von gesunden sowie fremde von eigenen Zellen zu unterscheiden. Damit können Sie unerwünschten Strukturen aufspüren und eliminieren und Autoimmunkrankheiten verhindern. Frühere Arbeiten im Labor von Thomas Boehm hatten gezeigt, dass die beiden Hauptformen des thymischen Epithels aus bipotenten Vorläuferzellen hervorgehen. Unklar war aber bisher, ob es mehr als einen Vorläufertypus gibt, und in wie viele Unterformen die Vorläufer ausdifferenzieren.
Stammbaumanalyse identifiziert Vorläuferzellen des Thymusepithels
In Zusammenarbeit mit dem Labor von Dominic Grün (früher Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik, jetzt Max-Planck-Forschungsgruppe an der Universität Würzburg), einem Spezialisten der molekularen Einzelzellanalyse, haben die Forschenden nun die erstaunlich große Heterogenität der thymischen Epithelzellen molekular erfasst. Die im Labor von Grün entwickelten Algorithmen zur präzisen Beschreibung von Unterschieden in der Genaktivität einzelner Zellen erlaubten es dabei, Zellen möglicher Vorläuferaktivität zu identifizieren.
In einem zweiten Schritt wurden diese Vorhersagen von den Forschenden durch ein im Labor von Thomas Boehm mithilfe der Genschere CRISPR entwickeltes „Barcoding“-System experimentell überprüft. Das Barcoding-Verfahren erlaubt es, Vorläuferzellen mit einer molekularen Signatur zu versehen, die von allen aus den Vorläufern hervorgehenden Zellen weitergetragen wird. Damit wird es möglich, einen Stammbaum der Epithelzellen abzuleiten.
Anja Nusser aus dem Labor Boehm und Sagar aus dem Labor Grün haben darüber hinaus gemeinsam eine Methode entwickelt, die Informationen aus dem Stammbaum mit den molekularen Charakteristika einzelner Zellen verknüpft. Damit war es erstmalig möglich, die Entwicklung des thymischen Epithels zu verschiedenen Lebensaltern zu untersuchen. Diese Beschreibung ist für Immunologen von besonderem Interesse, da der Thymus im Laufe des Lebens starken Veränderungen unterworfen ist. In frühen Entwicklungsstadien kommt es zu einem schnellen Organwachstum und damit verbunden zu einer massiven T-Zell-Produktion, während es im Alter zu einem graduellen Verlust von funktionalen Thymusepithelzellen und deshalb zu verminderter T-Zell-Produktion kommt. Der altersabhängige Funktionsverlust wird mit einer verminderten Immunabwehr in Verbindung gebracht.
Reihenfolge der Vorläuferzellen bestimmt Zusammensetzung des Thymusgewebes
Die Forschenden konnten in ihrer Analyse zwei bipotente Vorläuferpopulationen des Thymusepithels identifizieren. Eine „frühe“ Vorläuferpopulation übernimmt die Hauptrolle beim Aufbau des Thymus während der Embryonalphase und im jugendlichen Organismus, während eine nachfolgende „postnatale“ Vorläuferpopulation den weiteren Thymusaufbau im Erwachsenenalter maßgeblich bestimmt. Durch die zeitliche Abfolge der Vorläuferpopulationen wird die Zusammensetzung des Thymusepithels unterschiedlich moduliert.
Zu frühen Zeitpunkten werden hauptsächlich kortikale Thymusepithelzellen gebildet, die vor allem zur Produktion von T-Zellen beitragen, während zu späteren Zeitpunkten die Hauptproduktion auf medullären Thymusepithelzellen liegt, die dafür sorgen, dass keine selbstreaktiven T-Zellen aus dem Thymus in den Körper entlassen werden und damit einen wichtigen Beitrag zum Schutz vor Autoimmunität leisten.
Neue Ansätze zur Steigerung der Thymusfunktion
Die geschickte Verknüpfung transgener Tiermodelle aus dem Labor Boehm mit modernsten Verfahren der Einzelzellcharakterisierung in der Arbeitsgruppe Grün erlaubte es den Forschenden zu überprüfen, welche Wirkung eine seit Jahren bekannte Methode zur Vermehrung von Epithelzellen auf den Thymus hat. Von besonderer Wichtigkeit war dabei zu erfassen, ob eine frühe Stimulation des Thymus mit einem speziellen Wachstumsfaktor zu einem unerwünscht schnelleren Verbrauch der Stammzellen, und damit zu früher Schrumpfung des Thymus führt.
Die Daten des Teams deuten daraufhin, dass dies nicht der Fall ist. “Der von uns stimulierte Thymus einer alten Maus ist immer noch größer als der einer unstimulierten jungen Maus. Auch die feingewebliche Struktur des stimulierten Thymus zeigt den normalen Aufbau aus kortikalen Zonen und medullären Bereichen im Inneren des Organs,“ sagt Max-Planck-Direktor Thomas Boehm. Mit diesen Ergebnissen ist für die Freiburger Forscherinnen und Forscher die Basis gelegt zur Entwicklung neuer Therapieansätze zur Behebung altersbedingter Thymusschrumpfung und Behandlung T-Zell-abhängiger Autoimmunkrankheiten.
TB/MR