Koalitionen und Konflikte bei Männern

Wer wen unterstützt, hängt bei den bolivianischen Tsimané von Körpergröße, sozialem Status und bestehenden Beziehungen ab

Wie bei vielen anderen in sozialen Gemeinschaften lebenden Arten bilden Menschen Koalitionen, um sich in Konfliktsituationen Vorteile zu verschaffen oder um einen sozialen Status zu erreichen oder aufrecht zu erhalten. Koalitionsbildung beim Menschen wissenschaftlich zu untersuchen wird aber dadurch erschwert, dass soziale Beziehungen und Konfliktlösungen in der Regel durch Institutionen wie Unternehmen, Gerichte und Regierungen strukturiert werden. Doch selbst in kleinen Gesellschaften mit weniger formellen Institutionen wurde Koalitionsbildung bislang nur wenig erforscht. Nun haben Daniel Redhead vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Chris von Rueden von der University of Richmond die Koalitionsbildung bei Männern der im Amazonasgebiet Boliviens lebenden Tsimané über einen Zeitraum von acht Jahren untersucht.

Die Autoren betrachten in ihrer Studie zwei Tsimané-Gemeinschaften und beschreiben, welche zwischenmenschlichen Konflikte unter Männern auftreten und welche individuellen Eigenschaften und bestehenden Beziehungen Einfluss darauf haben können, ob Männer im Konfliktfall Unterstützung von ihren Geschlechtsgenossen erhalten.

Konflikte unter Tsimané-Männern betreffen vor allem Streitigkeiten über den Waldzugang für die Schwendwirtschaft – die Nutzbarmachung des Bodens für die Landwirtschaft durch Brandrodung – sowie Vorwürfe über Diebstahl, Faulheit, Nachlässigkeit, häusliche Gewalt und sexuelle Affären.

Männer erwidern meist die ihnen geleistete Unterstützung

Die Studie ergab, dass Männer anderen Männern im Konfliktfall vor allem dann helfen, wenn sie miteinander verwandt sind, Handels-/Tauschpartner sind oder in einem Arbeitsverhältnis stehen. Darüber hinaus neigen Männer dazu, ihnen geleistete Unterstützung zu erwidern. Auch der Verbündete eines aktuellen Bündnispartners kann zum zukünftigen Verbündeten werden. Ebenso fanden die Forscher Hinweise darauf, dass Männer, die einen gemeinsamen Kontrahenten haben, einander möglicherweise häufiger unterstützen – ein Befund, der jedoch über die Gesamtdauer der Studie hinweg nicht durchgängig nachgewiesen werden konnte.

„Koalitionsbildung unter Männern wird bei den Tsimané, und wahrscheinlich auch in anderen menschlichen Gesellschaften, von zahlreichen Faktoren bestimmt. Wichtig ist jedoch, und das zeigen unsere sozialen Netzwerkanalysen, dass nicht nur individuelle Eigenschaften, sondern auch Eigenschaften des Netzwerks die Koalitionsbildung beeinflussen“, sagt Redhead.

Männer mit höherem Status unterstützen im Konfliktfall häufiger

Darüber hinaus konnten die Forscher belegen, dass Tsimané-Männer, die körperlich stark sind oder mehr Einfluss in ihrer Gemeinschaft haben, andere Männern häufiger Unterstützung zukommen lassen – und möglicherweise auch häufiger unterstützt werden. Diese Männer mit höherem Status sind Knotenpunkte ihres lokalen koalitionären „Support“-Netzwerks, und es gibt kaum Anzeichen dafür, dass dieses Netzwerk in klar voneinander abgegrenzte Koalitionen aufgeteilt ist, die die Gemeinschaft spalten.

„Bei den Tsimané setzen Männer, die einen höheren informellen Status haben, koalitionäre Unterstützung strategisch ein, um eine vielfältige, gemeinschaftsweite Anhängerschaft aufzubauen. In vielen Fällen berichten beide Streitparteien in einem Konflikt, dass der jeweils selbe Mann mit höherem Status koalitionäre Unterstützung geleistet hat, was die oft verschwommene Grenze zwischen koalitionärer Unterstützung und Mediation – der Vermittlung im Konfliktfall – verdeutlicht“, so von Rueden. „Politik ist die Kunst, genügend Menschen davon zu überzeugen, dass man ihre Interessen vertritt. In weniger egalitären Gesellschaften, in denen es mehr privat verfügbaren Reichtum gibt und die Gemeinschaften größer sind, hängt der Status des Einzelnen weniger von der direkten Unterstützung einer breiten Masse von Gemeinschaftsmitgliedern ab; die Status-Homophilie ist größer und koalitionäre Spaltungen innerhalb der Gemeinschaft sind ausgeprägter.“

Redhead und von Rueden konzentrierten sich in ihrer Studie auf Männer, weil ihnen derzeit Langzeitforschungsdaten zur Koalitionsbildung bei Frauen fehlen. Es gibt jedoch einen Grund, Koalitionsnetzwerke nach Geschlechtern getrennt zu analysieren, da es Hinweise auf geschlechtsspezifische Unterschiede gibt, wie Männer und Frauen ihre sozialen Beziehungen aufbauen und nutzen, insbesondere in Gesellschaften wie den Tsimané, in denen es eine ausgeprägt geschlechtsspezifische Arbeitsteilung gibt.

[SJ]

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