6000 Jahre Milchwirtschaft in Afrika
In Ostafrika wurde bereits vor der Entwicklung der Laktase-Persistenz Milch konsumiert
"Die Milch macht's!" Mit diesem Slogan warb die deutsche Agrarwirtschaft jahrelang für ihre Produkte. Doch wann nahmen Menschen die Milch von Tieren erstmals auf ihren Speisezettel und wie verbreitete sich diese Praxis? Eine neue Studie unterstreicht die Rolle Afrikas in der Geschichte der Milchwirtschaft und zeigt, dass auf dem Kontinent bereits vor 6.000 Jahren Milch konsumiert wurde.
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena und des National Museums of Kenya (NMK) in Nairobi, Kenia, hat frühgeschichtliche Skelette von 41 Erwachsenen aus 13 archäologischen Fundstätten im Sudan und in Kenia analysiert und fand überraschend bei acht der Individuen Milchproteine. Die Forschung kann diese Proteine im Zahnstein nachweisen, wo sie über Tausende von Jahren erhalten bleiben. Die Untersuchung war jedoch besonders herausfordernd, da hohe Temperaturen und Luftfeuchtigkeit die Proteinkonservierung beeinträchtigen können.
„Manche der Proteine waren so gut erhalten, dass wir sogar bestimmen konnten, von welcher Tierart die Milch stammte. Teilweise waren die Proteine mehrere tausend Jahre alt, was für eine lange Geschichte des Milchkonsums in Afrika spricht“, sagt Hauptautorin Madeleine Bleasdale. Die ältesten Proteine identifizierte das Team in einem Gräberfeld im Sudan, in dem vor fast 6.000 Jahren Menschen bestattet wurden. In einem weiteren Gräberfeld in der Nähe fanden die Forschenden im Zahnstein von knapp 4.000 Jahre alten Skeletten Spuren von Milch und konnten bestimmen, dass die Proteine aus Ziegenmilch stammten. „Dies ist der bisher früheste direkte Beweis für den Konsum von Ziegenmilch in Afrika“, so Bleasdale. „Sehr wahrscheinlich waren Ziegen und Schafe wichtige Milchquellen für die frühen Hirtenvölker in diesen trockeneren Gegenden.“
Dem Team gelang es auch, Milchproteine bei einem Individuum aus Lukenya Hill zu entdecken, einer frühen Stätte in Südkenia, wo Hirten vor etwa 3.600 bis 3.200 Jahren lebten. „Vermutlich war der Verzehr von Milch ein Schlüssel zum Erfolg und förderte die langfristige Anpassungsfähigkeit der afrikanischen Hirtenvölker“, so Koautor Steven Goldstein.
Genmutationen für die Milchverdauung
Milch ist ein ungewöhnliches Nahrungsmittel und daher für die Erforschung der Menschheitsentwicklung von besonderem Interesse. Das Enzym Laktase, das benötigt wird, um Milch vollständig zu verdauen, wird normalerweise mit dem Ende der Kindheit vom Körper nicht mehr produziert. Bei vielen Erwachsenen führt das zu Beschwerden nach dem Konsum von Milch. In Laufe der Evolution haben manche Bevölkerungsgruppen Genmutationen entwickelt, die dafür sorgen, dass Laktase auch nach der Kindheit weiter produziert wird, weshalb man auch von Laktase-Persistenz spricht. Bei den meisten Europäern findet sich eine Mutation, die mit Laktase-Persistenz verbunden ist, in verschiedenen Populationen in Afrika gibt es sogar bis zu vier solcher Mutationen.
Die in der aktuellen Studie untersuchten frühen „Milchkonsumenten“ trugen jedoch keine solche Mutation. Wie konnten sie trotzdem ohne das verdauungsnotwendige Enzym Milch konsumieren? Die Antwort könnte in der Fermentation liegen. Milchprodukte wie Joghurt haben einen geringeren Laktosegehalt als frische Milch, und so haben die frühen Hirten die Milch möglicherweise zu Milchprodukten verarbeitet, die leichter verdaulich waren.
Gemeinsame Entwicklung von Kultur und Genen
Die Frage, wie sich Milchwirtschaft und menschliche Biologie gemeinsam entwickelt haben, ist bis heute weitgehend rätselhaft geblieben. Vermutlich schuf die Nutzung von Milch Bedingungen, welche die Entstehung und Ausbreitung der Laktase-Persistenz in afrikanischen Populationen begünstigten. Seniorautorin und Max-Planck-Direktorin Nicole Boivin erklärt: „Dies ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie die menschliche Kultur - über Jahrtausende hinweg - die menschliche Biologie umgestaltet hat.“
Für die Forschung zur Evolution der Milchwirtschaft ist der afrikanische Kontinent von besonderem Interesse. Die einzigartige Entwicklung der Laktase-Persistenz in Afrika in Kombination mit der Tatsache, dass der Verzehr von Tiermilch für viele Ethien weithin von großer Bedeutung ist, macht Afrika zu einer zentralen Region für das Verständnis, wie sich Gene und Kultur gemeinsam entwickeln können.
Entscheidend für den Erfolg der aktuellen Studie war die enge Partnerschaft des Max-Planck-Instituts mit afrikanischen Forschungsinstitutionen, darunter die National Corporation of Antiquities and Museums (NCAM), Sudan, und des National Museums of Kenya (NMK). "Es ist großartig, einen Einblick in die wichtige Rolle Afrikas in der Geschichte der Viehzucht zu bekommen", so Koautor Emmanuel Ndiema vom NMK.