Dogmatismus begünstigt Fehlurteile
Dogmatische Menschen informieren sich seltener, bevor sie Entscheidungen treffen
Eine aktuelle Studie von Neurowissenschaftlern am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen und am University College London (UCL) zeigt, dass sich Menschen mit dogmatischen Ansichten seltener informieren als der Durchschnitt, selbst wenn es um die einfachsten Entscheidungen geht.
Dogmatische Menschen sind oft der Ansicht, dass ihre Weltanschauung der absoluten Wahrheit entspricht. In Folge weigern sie sich häufig, ihre Meinung zu ändern. Zum Beispiel im Zusammenhang politischer Fragestellungen. Ihr Verhalten polarisiert dadurch manchmal erheblich. Die kognitiven Grundlagen dieser Engstirnigkeit sind jedoch wissenschaftlich noch immer wenig verstanden.
"Dogmatische Menschen machen oft den Eindruck, als wären sie weniger an Informationen interessiert, die ihre Meinung ändern könnten. Als Neurowissenschaftler haben wir uns gefragt: Rührt das nur daher, dass ihnen der eigene Standpunkt so besonders wichtig ist und richtig erscheint. Oder spielen möglicherweise einfachere kognitive Prozesse eine Rolle, die vollkommen meinungsunabhängig sind?", erklärt Lion Schulz, Neurowissenschaftler in der Abteilung für Computational Neuroscience am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik und Erstautor der Studie.
Die Muster des Dogmatismus
Um diese Fragestellungen näher zu untersuchen, baten Schulz und seine Kollegen über 700 Probanden eine einfache Entscheidungsaufgabe zu erfüllen, bei der die eigene Meinung keine Rolle spielte. Die Teilnehmer sahen auf ihrem Monitor zwei Kästchen mit flimmernden Punkten und mussten entscheiden, welches der Kästchen mehr Punkte enthielt. Nach diesem ersten Schritt folgte der entscheidende Teil des Experimentes. Bevor die Probanden ein abschließendes Urteil abgaben, für dessen Genauigkeit sie honoriert wurden, konnten sie zwischen zwei Möglichkeiten wählen. Entweder konnten sie sich dafür entscheiden, dass ihnen die bisherigen Informationen ausreichten, um eine abschließende Entscheidung zu treffen. Oder sie konnten auswählen, die Kästchen noch einmal zu sehen, nun aber mit einer besseren Auflösung. Dafür mussten sie zwar einen kleinen Teil ihrer Bezahlung einbüßen, konnten aber die abschließende Entscheidung deutlich präziser treffen. "So ein Versuchsaufbau steht sinnbildlich für viele Situationen aus unserem Alltag. Zum Beispiel, wenn wir ein Gerücht hören, aber nicht sicher sind, ob es stimmt. Drücken wir dann direkt den „Teilen“-Knopf, oder schauen wir vielleicht nochmal bei einer verlässlichen Quelle nach?", erklärt Schulz.
In den Neurowissenschaften werden bewusst solch einfache Versuchsaufbauten genutzt um kognitiven Prozessen auf die Spur zu kommen. "Dieses Experiment minimiert Störvariablen und lässt uns so präzise die Denkprozesse identifizieren, die zu dogmatischen Überzeugungen beitragen", erklärt Mitautor Max Rollwage vom University College London. Der Aufgabe folgte ein umfassender Satz von Fragebögen, mit denen die Forscher die politische Orientierung und die Intensität des individuellen Dogmatismus der Teilnehmenden messen konnten.
Weniger Interesse an Informationen
Die Daten der Forscher offenbarten ein besonderes Verhaltensmuster dogmatischer Personen: Nachdem sie die ersten Kästchen gesehen hatten, lagen sie nicht häufiger daneben als ihre weniger dogmatischen Mitmenschen. Dogmatische Menschen zeigten sich im Durchschnitt auch nicht sicherer in ihrer zuerst getroffenen Entscheidung. Schulz und seine Kollegen stellten jedoch fest, dass die starrsinnigeren Probanden weniger Interesse an den hilfreichen Zusatzinformationen hatten: Sie informierten sich weniger.
Die Unterschiede zwischen mehr und weniger zum Dogmatismus neigenden Teilnehmern waren besonders groß, wenn die Probanden sich unsicher waren. Steve Fleming, Londoner Forscher und leitender Mitautor der Studie, erklärt das so: "Frühere Arbeiten haben gezeigt, dass es einen engen Zusammenhang zwischen unserem akuten Selbstvertrauen und der Entscheidung gibt, ob wir uns informieren. Dieser Zusammenhang war bei dogmatischeren Personen schwächer ausgeprägt."
Die Daten der Forscher zeigten außerdem, dass das niedrigere Informationsinteresse den dogmatischeren Probanden schadete: Ihre endgültigen Urteile waren ungenauer und sie erhielten dadurch weniger Geld als andere Versuchsteilnehmer. Fleming schlussfolgert: "Es ist bemerkenswert, dass wir in diesem einfachen Spiel Verbindungen zwischen Dogmatismus und Informationssuche feststellen konnten. Das sagt uns, dass Dogmatismus in der realen Welt nicht nur ein Merkmal bestimmter Gruppen oder Meinungen ist, sondern möglicherweise von grundlegenderen kognitiven Prozessen angetrieben wird."
Informationen immer prüfen
Wir leben in einer Welt voller unklarer oder falscher Informationen, die schnell geteilt, übernommen und für wahr gehalten werden. Die Studie unterstreicht, dass die bloße Verfügbarkeit korrigierender Informationen nicht notwendigerweise bedeutet, dass wir diese auch nutzen. "Dies ist in unserer heutigen Zeit besonders relevant. Noch nie hatten wir so viel Freiheit zu entscheiden, ob wir genug zu einem bestimmten Thema gelesen haben – oder ob wir lieber doch nochmal eine vertrauenswürdige Quelle zu Rate ziehen sollten", sagt Lion Schulz. "Es ist wichtig zu betonen, dass die Unterschiede zwischen mehr und weniger dogmatischen Menschen durchaus fein waren. Auch können wir noch nicht exakt vorhersagen, wie sich unsere Resultate verändern, wenn es um ‚echte‘ Informationen geht, wie zum Beispiel politische Nachrichten", fügt Schulz hinzu. "Unsere Forschung kann dennoch als Denkanstoß dienen, ob wir uns nun für dogmatisch halten oder nicht: Wenn wir unsicher sind, ist es vielleicht ratsam, uns noch einmal gut zu informieren."
Die Forscher versuchen nun, die kognitiven Algorithmen hinter dem Entscheidungsverhalten der Probanden weiter zu entschlüsseln. Ihr besonderes Augenmerk liegt darauf, was Menschen dazu veranlasst, sich bei Unsicherheit zu informieren, und was sie davon abhält.