An den Reglern der Blutbildung
Repetitive Elemente aktiven Immunrezeptoren und fördern die Bildung von Blutstammzellen
Hämatopoetische Stammzellen können sämtliche Zelltypen unseres Blutsystems erneuern. Transplantationen von Blutstammzellen werden inzwischen oft zur Behandlung von Erkrankungen wie Leukämie oder und Autoimmunerkrankungen eingesetzt. Es ist daher wichtig, mehr über die Fähigkeit unseres Körpers zu lernen, diese Zellen zu erzeugen, zu vermehren und zu erhalten. Das Labor von Eirini Trompouki am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg hat nun in Zusammenarbeit mit Forschenden des Albert Einstein College of Medicine, der Universität Trient und der Chinesischen Akademie der Wissenschaften einen neuartigen Mechanismus entdeckt, der die Bildung von hämatopoetische Stammzellen während der Embryonalentwicklung fördert. Die Forscher und Forscherinnen zeigen, dass RNA aus repetitiven Elementen – Überresten von Viren, die durch die Evolution in das Genom vieler Wirbeltiere integriert wurden – angeborene Immunrezeptoren aktivieren. Dies erzeugt Entzündungssignale, die die Bildung embryonaler hämatopoetischer Stammzellen steigern.
Blutstammzellen, sogenannte hämatopoetische Stammzellen, sind die Grundlage der Blutsysteme vom Fisch bis zum Menschen. Sie können alle spezialisierten Zellen hervorbringen, die in unserem Blut zu finden sind, wie zum Beispiel Leukozyten zur Abwehr von Krankheitserregern oder auch Erythrozyten für den Sauerstofftransport ins Gewebe. Blutstammzellen werden während der Embryonalentwicklung gebildet, spielen aber das ganze Leben lang eine wichtige Rolle. Da spezialisierte Blutzellen nicht sehr lange leben, muss der Körper sie kontinuierlich mithilfe der Blutstammzellen erneuern. Entsprechend kann eine fehlerhafte Funktion dieser Zellen zu schweren Blutkrankheiten wie etwa Leukämie führen. Ein besseres Verständnis der Mechanismen, die ihre eigentliche Entstehung der Blutstammzellen während der Entwicklung steuern, kann so helfen auch später noch die Blutbildung zu verstehen.
RNA aus repetitiver DNA fördert die Bildung von Blutstammzellen
Forschende um Eirini Trompouki am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg erforschen diese Mechanismen in den Blutstammzellen. Sie haben in Zebrafischen während der embryonalen Hämatopoese kleine RNA-Moleküle entdeckt, die aus einem oft als „Junk-DNA“ bezeichneten Teil des Genoms abgelesen wurden. „Tatsächlich machen Gene nur einen winzigen Teil unseres Genoms aus. Der größte Teil des Erbguts enthält scheinbar nutzlose Sequenzen, darunter viele Überreste von Viren, die sich im Laufe der Jahre von Infektionen und Evolution in den Wirbeltiergenomen angesammelt haben. Solche Sequenzen sind beispielsweise verschiedenen Typen repetitiver DNA-Sequenzen, bei denen immer die gleiche Abfolge von verschiedenen Bausteinen der Erbsubstanz wiederholt werden und die normalerweise inaktiv bleiben“, erklärt Eirini Trompouki, Max-Planck-Forscherin und Mitglied des Centre for Integrative Biological Signalling Studies, dem Exzellenzcluster der Universität Freiburg.
Um die mögliche Rolle dieser RNA-Moleküle bei der Bildung der hämatopoetischen Stammzellen zu untersuchen, verwendete das Team in den Experimenten mit Zebrafischembryonen Chemikalien, die die Expression repetitiver Elemente verstärken, oder injizierte Kopien der repetitiven RNA-Elemente. Dies führte zu einem Anstieg der Zahl hämatopoetischer Stammzellen in den Embryonen.
Wie genau üben die repetitiven Elemente ihre Funktion in der hämatopoetischen Entwicklung aus? Da es sich bei diesen RNAs um virale Überreste handelt, könnten sie von den gleichen Zellproteinen wahrgenommen werden, die normalerweise zur Erkennung alltäglicher Virusinfektionen verwendet werden, so die Vermutung der Freiburger Forschenden.
Rezeptor hat wichtige Funktionen in der Hämatopoese
Einer der wichtigsten Sensoren für eine Virusinfektion ist die Familie der RIG-I-ähnlichen Proteine, kurz RLRs, bei denen es sich um intrazelluläre Rezeptoren handelt, die eine Immunantwort auslösen, sobald sie durch einen viralen Erreger aktiviert werden. Um zu beweisen, dass diese Rezeptoren auch die repetitiven RNA-Elemente erkennen, sollte der Anstieg der Zahl an hämatopoetischen Stammzellen, der bei der chemischen Induktion und der Überexpression der repetitiven Elemente beobachtet wurden, nicht auftreten, wenn die Rezeptoren in den Zellen fehlen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass in mutierten Zebrafischembryonen ohne den Rezeptor nach der Injektion der repetitiven RNA-Elemente, die Zahl der hämatopoetischen Stammzellen nicht ansteigt. Somit ist der Einfluss dieser RNA-Elemente für die Generierung hämatopoetischer Stammzellen auch von funktionstüchtigen Rezeptoren abhängig“, erläutert der Erstautor der Studie, Stelios Lefkopoulos.
Das Team folgerte, dass, wenn die Funktion repetitiver Elemente in der Hämatopoese von RLRs abhängt, die Rezeptoren selbst auch einen deutlichen Einfluss auf die Biologie der hämatopoetischen Stammzellen haben sollten. Die RLR-Familie umfasst drei verschiedene Mitglieder: RIG-I, MDA5 und LGP2. In ihren Experimenten konnte das Team zeigen, dass, die Anzahl der in Zebrafischembryonen entstehenden hämatopoetischen Stammzellen stark reduziert wird, wenn entweder Rig-I oder Mda5 fehlen. Die Abwesenheit des dritten Familienmitglieds, Lgp2, erhöhte dagegen die HSZ-Zahl. „Organismen benötigen verschiedene Schalter, um biologische Prozesse insbesondere während der Entwicklung innerhalb gesunder Parameter zu halten; also einen Schalter, der den Prozess startet, aber auch einen Schalter, der den Prozess stoppt oder eindämmt. Im Fall der Hämatopoese scheint es so, dass die RLR-Familie als eine Art unabhängiges System funktionieren kann, das sowohl die fördernden als auch die hemmenden Regulationsmechanismen umfasst“, sagt Stelios Lefkopoulos über die Doppelrolle der Rezeptorfamilie.
Repetitive RNA aktiviert die Virensensoren
Mit diesem Wissen um die Rolle der Rezeptoren für die Hämatopoese ging das Team als nächstes der Frage nach, wie nun genau die Rezeptoren die eigentliche Erzeugung der Blutstammzellen regulieren. Blutstammzellen entstehen in Embryonen aus Endothelzellen der Aorta. Als die Forscher und Forscherinnen in ihren Experimenten bei diesen Prozessen entweder den Rig-I- oder den Mda5-Spiegel reduzierten, verschwanden auch gleichsam entscheidende Entzündungssignale, die wichtig für die Generierung der hämatopoetischen Stammzellen sind. Wenn sie hingegen nur den Lgp2-Spiegel reduzierten, wurden diese Signale verstärkt.
„Diese Beobachtungen zeigen uns, wie Rig-I oder Mda5 normalerweise die Entwicklung der hämatopoetischen Stammzellen induzieren, während Lgp2 diese Entwicklung beeinträchtigt. Unser Studienergebnisse zu den repetitiven RNA-Elementen und zur Funktionsweise der Rezepetoren ergeben zusammgenommen einen bisher unbekannten Mechanismus, der die Hämatopoese moduliert. Wir vermuten, dass bei der Hämatopoese während des Übergangs von einem Zelltyp zum anderen verschiedene repetitive Elemente exprimiert und von den Rezeptoren wahrgenommen werden. So werden dann die für die Entwicklung wichtigen Entzündungssignal orchestiert und das Entwicklungsschicksals der Zellen aktiv gestaltet“, erläutert Eirini Trompouki.
Universeller Mechanismus für Gewebeerzeugung
Da repetitive Elemente und RLRs auch in anderen Zelltypen exprimiert werden, könnte ein ähnlicher Mechanismus auch in der adulten Hämatopoese, in Stammzellen oder auch in anderen Geweben relevant sein. „Die Natur bewahrt mithilfe der Evolution nie etwas, das nicht von Nutzen ist; diese sich wiederholenden Elemente sind aus gutem Grund innerhalb der Genome von Wirbeltieren erhalten geblieben, und wir wissen jetzt, dass die Aktivierung von RLRs und somit die Steuerung der Hämatopoese inder frühen Entwicklung eine davon ist“, sagt Stelios Lefkopoulos.
ET/SL/MR