Vielfalt im Zugverhalten der Mönchsgrasmücken
Die Zugstrategien der Vögel sind sehr variabel
Seit jeher ziehen viele Vogelarten im Herbst Richtung Süden, um dort zu überwintern, darunter auch die kleine Mönchsgrasmücke, die oft nur wenige Gramm wiegt und dennoch tausende von Kilometern zurücklegt. Die Veränderung unserer Landschaften und der Klimawandel gehen aber auch an den Zugvögeln nicht spurlos vorüber. Sie ändern ihr Verhalten, die Ziele ihrer Reise, den Zeitpunkt ihres Abfluges oder auch die Entscheidung, ob sie überhaupt fortfliegen. Bisher wurden diese Gewohnheiten entweder experimentell mit Vögeln in Gefangenheit erforscht, oder durch unregelmäßige Wiederfänge beringter Vögel.
Eine Gruppe internationaler Forscherinnen und Forscher unter der Leitung von Miriam Liedvogel vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön hat nun erstmals eine groß angelegte Studie mit so genannten Geolokatoren durchgeführt. Das sind ultraleichte, winzige Geräte, die am Rücken frei fliegender Vögel angebracht werden, und die Lichtintensität mit exakten Zeitangaben aufzeichnen. Nach dem erneuten Fang der Vögel kann so die jeweilige Flugroute genau berechnet werden. Insgesamt konnten die Wissenschaftler so die Wanderungen von 100 einzelnen Vögeln dokumentieren und analysieren.
Unterschiedliche Wanderziele je nach Brutgebiet
Schon vorher war bekannt, dass es in Europa eine Zugscheide gibt: Östlich dieser gedachten Linie ziehen die Mönchsgrasmücken im Herbst Richtung Südosten, westlich davon ziehen sie in Richtung Südwesten. Durch gezielte Zuchtexperimente konnte bereits in den 1990er Jahren erfolgreich gezeigt werden, dass die Zugrichtung durch die Eltern vererbt wird. Diese Experimente zeigten ebenfalls, dass in Gefangenschaft gekreuzte Nachkommen zwischen West- und Ostziehern eine intermediäre Orientierung zeigen, das heißt, sie ziehen genau Richtung Süden. Die Vermutung war, dass dies in der Natur vermieden wird, da die südliche Route die Vögel über die Alpen, das Mittelmeer und eventuell über die Sahara Wüste führen würde.
Die Wissenschaftler konnten nun zeigen, dass diese intermediäre Orientierungsrichtung tatsächlich in der Natur auftritt und die Vögel, die diese Zugrichtung wählen trotz der ökologischen Barrieren, die sie so überwinden müssen, auch erfolgreich wieder in ihre Brutgebiete zurückkehren. Das Gebiet, in dem sich die Orientierungspräferenz ändert ist erstaunlich schmal und umfasst lediglich 27 Kilometer.
Manche ziehen nach Norden
Eine weitere spannende Erkenntnis aus den gewonnenen Daten betrifft eine Gruppe von Vögeln, die am Ende des Jahres genau das Gegenteil von dem machen, was man vermuten würde: Sie ziehen nicht in den warmen Süden, sondern nach Norden und überwintern in Großbritannien. Seit den 1960er Jahren beobachtet man einen steten Anstieg der Mönchsgrasmücken, die diese Strategie wählen, vermutlich bedingt durch mildere Winter und die winterlichen Zufütterung in englischen Gärten. Die neuen Untersuchungen zeigen erstmals, dass diese Vögel aus Brutgebieten über ganz Europa verstreut stammen. Warum lassen sie sich durch ungemütliche Winter nicht von dieser Strategie abbringen?
Anhand der ausgewerteten Daten war zu erkennen, dass diese Vögel im Frühjahr etwa zehn Tage früher zu ihren Brutplätzen zurückkehrten als diejenigen, die den Winter im Süden verbrachten. Die Überwinterer aus Großbritannien hatten so eventuell einen Vorteil bei der Brutplatzsuche. Für die Evolutionswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sind diese Erkenntnisse nur ein Anfang. Das Vogelzug-Verhalten ist größtenteils genetisch bedingt, und diese Studie legt nun den Grundstein für die Suche nach denjenigen Genen, die kontrollieren, wo die Vögel hinziehen und wann sie losfliegen.