Forschungsbericht 2019 - Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik
Schönheit, Eleganz, Anmut und Sexiness im Vergleich
Empirische Ästhetik ist weithin die Wissenschaft von den objektiven Merkmalen und vom subjektiven Erleben von „Schönheit“. Schönheit wird gleichermaßen Pflanzen, Tieren, Landschaften, Menschen, Musik, Gedichten, Gemälden und noch vielem mehr zugeschrieben. Der Begriff „schön“ erlaubt insofern einen direkten Vergleich der ästhetischen Wahrnehmung sehr verschiedener Objekte. Andererseits könnte es sein, dass verschiedene Phänomene nicht nur dem Grad, sondern auch der Art nach verschieden schön sind. Die hier vorgestellte Studie zielte auf diesen zweiten Typ von Unterschieden: Sie unterscheidet drei auch qualitativ verschiedene Arten von Schönheit und tut dies als erste mit empirischen Methoden.
Die erste hypothetische Spielart des Schönen ist Eleganz. Im Lateinischen vor allem auf eine fein gewählte („eligere“) Ausdrucksweise bezogen, ist dieser Begriff vom Mittelalter an unter Wahrung des lateinischen Wortstamms in das Vokabular nicht nur aller europäischen Sprachen, sondern der großen asiatischen, der finnougrischen und vieler anderer Sprachen eingegangen. Gleichwohl ist das Konstrukt „Eleganz“ bislang weder in der philosophischen noch in der empirischen Forschung näher untersucht worden. Die vorliegende Studie ist die erste systematische Untersuchung zur Phänomenologie der Eleganz und zu den damit verbundenen ästhetischen, kognitiven, affektiven und auch sozialen Werten.
Die zweite Kategorie ist Anmut (engl. grace). Auch dieser in der Moderne vor allem mit Bewegungen assoziierte Begriff hat eine lange, in die Antike zurückreichende Tradition, aber keinerlei Eingang in die neuere Ästhetik-Forschung gefunden.
Die dritte Kategorie geht ebenfalls auf einen lateinischen Begriff („sexus“) zurück, ist aber in der Bedeutung eines „sexy Aussehens“ von Personen, Kleidungsstücken usw. neueren Datums.
Eleganz/Anmut und Sexiness sind Antipoden im Gebiet der Schönheit
Anmut und Eleganz auf der einen Seite, Sexiness auf der anderen stellten sich als Pole des Schönheitsspektrums heraus. Sexiness ist extrovertierter, erregender, heißer, bunter insbesondere als Eleganz und Anmut und nicht immer geschmackvoll. Anmut und Eleganz dagegen bestechen durch Fließen und Leichtigkeit, Harmonie, eine gewisse Zurückhaltung, Feinheit und eine Prise Exquisitheit, die mit Schlichtheit (Einfachheit) kombiniert ist. Eleganz und Anmut unterscheiden sich nur in relativ wenigen Hinsichten: Eleganz wird als etwas nüchterner, strenger, geschmackvoller, kulturell hochstehender und auch kostspieliger als Anmut empfunden. Dies passt dazu, dass Anmut auch den Bewegungen von Kindern und einiger Tiere zugesprochen werden kann.
Über die Vielzahl dieser feinen Unterschiede zwischen den untersuchten Kategorien hinweg ergaben statistische Auswertungen der erhobenen Daten, dass Eleganz und Anmut auf der einen Seite, Sexiness auf der anderen insgesamt annähernd jeweils gleich große Affinitäten mit der Zuschreibung von Schönheit (Abb. 1) zeigen. Dies bestätigt unsere Grundannahme von den drei Spielarten der Schönheit.
Unsere Daten zeigen auch, dass Männer und Frauen sowie jüngere und ältere Menschen im Verständnis aller vier Zielbegriffe weitgehend übereinstimmen. Zu dieser Übereinstimmung gehört, dass bei einer eleganten Person generell große Schlankheit, lange Beine und gute Haltung erwartet wird, während diese Merkmale für ein sexy Aussehen eine deutlich geringere Bedeutung haben.
Menschen wirken erst ab einem Alter von 30 Jahren elegant
Bei der Zuschreibung von Schönheit, Eleganz und Sexiness an Personen ist der Faktor Alter sehr bedeutsam. Wiederum stellten sich Eleganz und Sexiness als Antipoden heraus. Sexiness-Zuschreibungen erreichen Höchstwerte im Alter von 16 bis 30 Jahren und fallen danach relativ deutlich ab. Eleganz-Zuschreibungen dagegen beginnen durchschnittlich erst ab dem Alter von 30 Jahren höhere Werte zu erreichen und erlangen ihren Gipfel in der vierten und fünften Lebensdekade; besonders bemerkenswert ist, dass höhere Grade von Eleganz auch noch Personen zugeschrieben werden, die 80 Jahre und älter sind.
Die altersbedingte Kurve der Schönheits-Zuschreibungen liegt etwa in der Mitte der Kurven für Sexiness und Eleganz. Einerseits werden Frauen wie Männer noch weit über die Phasen höchster sexueller Attraktivität hinaus als hochgradig „schön“ wahrgenommen; andererseits ist Schönheit aber nicht mit derart hohem Alter kompatibel wie Eleganz.
Die besonders große „Altersfreundlichkeit“ der Eleganz ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass sie stärker mit kognitiven Werten, kultureller Verfeinerung und auch mit sozialer Distinktion zusammenhängt als Sexiness und Schönheit.
Auf dem Weg zu einer Theorie der Eleganz
Das Ergebnis dieser Studie legt es nahe, künftig auch gezielt besondere Spielarten des Schönen zu erforschen, statt nur nach „Schönheit“ überhaupt zu fragen. Die Kategorie „Eleganz“ verdient dabei besondere Aufmerksamkeit. Wenn heute in den Computer Sciences vielfach von „eleganten“ Lösungen für schwierige Programmierungen gesprochen wird, ist dies eine direkte Fortsetzung des langen Lobs kognitiver Eleganz, das heißt überraschend „einfacher“ Lösungen für schwierige kognitive Aufgaben. Auch beim Design visueller Objekte aller Art wird der Begriff „Eleganz“ vielfach verwendet. Die vorliegende Studie ist der erste Schritt in der Entwicklung einer bislang noch fehlenden Theorie der Eleganz.