Vermehrungsfähiges Erbgut aus dem Labor

Max-Planck-Forscher haben erstmals ein Genom in der Größe einer Minimalzelle entwickelt, das sich selbst kopieren kann

14. Februar 2020

Mit Hilfe der synthetischen Biologie wollen Forscher nicht nur Prozesse des Lebens beobachen und beschreiben, sondern auch nachahmen. Ein Schlüsselmerkmal des Lebens ist die Replikationsfähigkeit, also die Selbsterhaltung eines chemischen Systems. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried haben jetzt ein System erzeugt, das im Reagenzglas einen Teil seiner eigenen DNA und Proteine regenerieren kann.

Um die Grundprozesse des Lebens besser zu verstehen, beschäftigen sich Forscher aus dem Bereich der synthetischen Biologie mit sogenannten „Bottom-up“-Prozessen, also der Erzeugung von lebensähnlichen Systemen aus unbelebten molekularen Bausteinen. Eine der grundlegensten Eigenschaften aller lebenden Organismen ist die Fähigkeit, sich als abgegrenzte Einheiten selbst zu erhalten und zu reproduzieren. Die künstliche „Bottom-up“ Erzeugung eines Systems, das sich selbst vervielfältigen kann, ist allerdings eine große experimentelle Herausforderung. Zum ersten Mal ist es Wissenschaftlern gelungen diese Hürde zu überwinden und solch eine Einheit synthetisch herzustellen.

Hannes Mutschler, Leiter der Forschungsgruppe „Biomimetische Systeme“ am Max-Planck-Institut für Biochemie widmet sich mit seinem Team der „Bottom-up“ Nachstellung der Genomvervielfältigung und Proteinsynthese. Beide Prozesse sind elementar für die Selbsterhaltung und Vervielfältigung biologischer Systeme. Den Forschern gelang es nun, ein System im Reagenzglas herzustellen, in welchem beide Prozesse gleichzeitig ablaufen können. „Unser System ist in der Lage, einen wesentlichen Anteil seiner molekularen Bestandteile selbst zu regenerieren“, erklärt Mutschler.

Um diesen Prozess zu starten, benötigten die Forscher eine Bauanleitung sowie verschiedene molekulare „Maschinen“ und Nährstoffe. Übersetzt in biologische Termini handelt es sich bei der Bauanleitung um DNA, welche die Information für den Aufbau der Proteine gespeichert hat. Proteine werden dagegen gern als „molekulare Maschinen“ bezeichnet, da sie in Organismen häufig die katalytische Beschleunigung biochemischer Reaktionen bewirken. Die Grundbausteine der DNA sind die sogenannten Nukleotide. Das Ausgangsprodukt für die Proteine sind Aminosäuren.

Modularer Aufbau der Bauanleitung

Konkret haben die Forscher ein sogenanntes In vitro-Expressionssystem optimiert, das Proteine ausgehend von einer DNA-Bauanleitung aus synthetisiert. Durch veschiedene Verbesserungen ist das In vitro-Expressionssystem jetzt in der Lage, sehr effizient als DNA-Polymerasen bezeichnete Proteine zu synthetisieren. Diese DNA-Polymerasen vervielfältigen im Anschluss unter Verwendung von Nukleotiden die im System vorliegende DNA. Kai Libicher, Erstautor der Studie, erklärt: „Anders als in früheren Studien kann unser System vergleichsweise lange DNA-Genome ablesen und kopieren.“

Die künstlichen Genome haben die Wissenschaftler aus bis zu elf ringförmigen DNA-Stücken zusammengesetzt. Durch diesen modularen Aufbau können sie relativ einfach bestimmte DNA-Abschnitte in die Bauanleitung einfügen oder wieder  entfernen. Das größte von den Forschern in der Studie vervielfältigte modulare Genom besteht aus mehr als 116.000 Basenpaaren und erreicht damit die Genomlänge von sehr einfach aufgebauten Zellen.

Regeneration der Proteine

Neben den für die DNA-Vervielfältigung wichtigen Polymerasen kodiert das künstliche Genom weitere Proteine, wie beispielsweise 30 Translationsfaktoren, die ursprünglich aus dem Bakterium Escherischia coli stammen. Translationsfaktoren sind wichtig für die Übersetzung der DNA-Bauanleitungen in die jeweiligen Proteine und daher essentiell für selbstvervielfältigende Systeme, die sich an der existierenden Biochemie orientieren. Um zu zeigen, dass das neue In vitro-Expressionssystem nicht nur DNA nachbilden kann, sondern auch seine eigenen Translationsfaktoren herstellen kann, haben die Forscher die Menge der vom System produzierten Proteine mit Hilfe der Massenspektrometrie ermittelt.

Überraschenderweise zeigte sich, dass ein Teil der Translationsfaktoren nach der Reaktion sogar in größeren Mengen vorhanden waren als sie zuvor eingesetzt wurden. Dies werten die Forscher als einen bedeutenden Schritt in Richtung eines sich kontinuierlich selbstvervielfältigenden Systems, das biologische Vorgänge nachahmt.

In Zukunft möchten die Wissenschaftler das künstliche Genom um weitere DNA-Abschnitte erweitern und in Zusammenarbeit mit Kollegen aus dem MaxSynBio-Forschungsnetzwerk ein umhülltes System fertigen, das in der Lage ist, durch Zugabe von Nährstoffen und Entsorgung von Abfallprodukten lebensfähig zu bleiben. Eine solche Minimalzelle könnte dann beispielsweise in der Biotechnologie als maßgeschneiderte Produktionsmaschine für Naturstoffe verwendet werden oder als Plattform um weitere noch komplexere lebensähnliche Systeme zu bauen.

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