„Kooperation nützt mehr als Konfrontation“

21. März 2020

Mit dem Weltwassertag am 22. März machen die Vereinten Nationen darauf aufmerksam, dass Wasser in vielen Regionen der Welt ein knappes Gut ist. Welches Konfliktpotenzial das birgt, zeigt der Streit ums Nilwasser, der seit langem zwischen Ägypten, Sudan und Äthiopien schwelt und gerade wieder zu eskalieren droht. Auslöser ist der größte Staudamm Afrikas, den Äthiopien derzeit fertigstellt und der ab dem Sommer mit Nilwasser befüllt werden soll. Philine Wehling hat sich in ihrer Dissertation am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht am Beispiel des Nils mit den rechtlichen Vorgaben für die Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe beschäftigt

Gigantische Staudämme, die Anrainerstaaten das Wasser abzugraben drohen, sorgen weltweit für Konflikte. Ägypten und der Sudan etwa fürchten um ihre Wasserversorgung, wenn Äthiopien den wichtigsten Zulauf des Nils, den Blauen Nil, künftig staut. Wem gehört der Nil?

Philine Wehling: Keinem allein. Grundsätzlich hat jeder Anrainerstaat das Recht, den Wasserlauf so zu nutzen, dass auch für die anderen Anrainer eine ausgewogene und angemessene Nutzung möglich ist. Dieser Grundsatz bedarf der Konkretisierung und Anpassung an die jeweiligen Gegebenheiten.

Für den Nil bedeutet das: Alle Anlieger des Blauen Nils haben ein Recht auf dessen Nutzung. Äthiopien darf den Blauen Nil zur Wasserkrafterzeugung stauen, aber nur in einer Art und Weise, die auch Ägypten und dem Sudan eine angemessene Nutzung des Nilwassers ermöglicht.

In den letzten Monaten haben die Länder unter Vermittlung der USA verhandelt. Worum ging es dabei?

Geplant war eigentlich ein trilaterales Abkommen, mit dem das Auffüllen und der Betrieb der Grand-Ethiopian-Renaissance-Talsperre (GERD) durch Äthiopien am Blauen Nil geregelt wird. Es bezieht sich nicht auf die Nutzung des Nils insgesamt – das würde eine Beteiligung aller Anrainerstaaten des Nils erfordern. Das Abkommen sollte einen Ausgleich zwischen widerstreitenden Interessen der Parteien herstellen: Äthiopien möchte den Nil schnellstmöglich aufstauen, um Elektrizität erzeugen zu können. Sudan und vor allem Ägypten hingegen wollen, dass dies langsam geschieht, um die ihre Landesgrenzen erreichende Wassermenge möglichst konstant zu halten.

Welche Lösung könnte es geben?

Ein Kompromiss wäre, dass die Talsperre stufenweise in der Regenzeit, also grundsätzlich im Juli und August, aufgefüllt wird und dabei die Auswirkungen auf die Anlieger flussabwärts berücksichtigt werden müssen. Der langfristige Betrieb des Dammes soll dann nach einem Mechanismus erfolgen, der bei der Freigabe von Wasser sowohl die Erfordernisse der Stromerzeugung als auch angemessene Schutzmaßnahmen für Ägypten und Sudan während Zeiten von Trockenheit und Dürre berücksichtigt.

Nun sind die Verhandlungen erst einmal gescheitert und es gibt noch weitere Konflikte um den den Nil...

Ja, es fehlt auch ein Abkommen, das die Nutzung und Bewirtschaftung des Nils insgesamt regelt und alle Anrainerstaaten des Nils umfasst. Dies wird auch angesichts des starken Bevölkerungswachstums und steigenden Wasserbedarfs in allen Anrainerstaaten immer dringlicher.

Streit ums Wasser gibt es auch in anderen Regionen. Im Nahen Osten geht es beispielsweise um die Wasserentnahme aus dem See Genezareth und um die Nutzung von Euphrat und Tigris.

Bei diesen Konflikten kommen zur Wasserknappheit historisch-politische Spannungen zwischen den Anrainerstaaten hinzu. Tatsächlich gibt es Vereinbarungen zwischen Israel und Jordanien, allerdings nicht zwischen allen der insgesamt fünf Anrainerstaaten des Jordans, der den See Genezareth durchfließt. Ein beckenweites Abkommen wäre wichtig. Im Falle von Euphrat und Tigris haben sich die Konfliktparteien Türkei, Syrien und Irak bisher nicht auf ein umfassendes Abkommen über die Nutzung und den Schutz beider Wasserläufe einigen können.

Gibt es eigentlich allgemein rechtliche Vorgaben für grenzüberschreitende Gewässer?

Auf globaler Ebene ist 2014 das Übereinkommen über das Recht der nichtschifffahrtlichen Nutzung internationaler Wasserläufe, kurz UN-Wasserlaufkonvention, in Kraft getreten, in dem viele Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts für die Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe niedergelegt sind. Oft treffen Anrainerstaaten zudem selbst Regelungen in Form sogenannter Wasserlaufübereinkünfte. Weltweit haben Anrainerstaaten weit über 2000 solcher Übereinkünfte geschlossen.

Was gilt ohne Übereinkommen?

Für alle Staaten, ungeachtet dessen, ob sie Vertragsstaaten von Wasserabkommen sind oder nicht, sind die gewohnheitsrechtlichen Grundsätze des Internationalen Wasserrechts verbindlich – eine Art Mindeststandard für die Nutzung, Bewirtschaftung und den Schutz grenzüberschreitender Wasserläufe. Sie verpflichten Anrainerstaaten, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass durch Nutzungen ihres Territoriums anderen Anrainern ein beträchtlicher Schaden entsteht. Anrainer sind zudem zur Zusammenarbeit verpflichtet. Dazu zählen Konsultationen und Informationsaustausch sowie die vorherige Information anderer Anlieger bei potentiell nachteiligen Auswirkungen geplanter Maßnahmen.

Reichen diese Regeln aus, um Konflikte zu lösen?

Diese Regeln sollen zunächst Konflikten vorbeugen. Für den Fall eines Konfliktes sehen die meisten Abkommen ebenso wie die UN-Wasserlaufkonvention und das Gewohnheitsrecht die klassischen diplomatischen und rechtlichen Streitbeilegungsmechanismen wie etwa die Schlichtung bis hin zur Anrufung des Internationalen Gerichtshofs vor.

In über 80 Ländern herrscht bereits Wasserknappheit oder Mangel an sauberem Trinkwasser. Werden Kriege um das blaue Gold wahrscheinlicher?

Der damalige ägyptische Außenminister Boutros Boutros-Ghali erklärte 1988, der nächste Krieg in Nahost werde über das Wasser des Nils geführt werden. Allerdings scheint heute die Wahrscheinlichkeit sogenannter Wasserkriege eher gering.

Warum?

Die Wasserpolitik der Staaten hat sich weltweit zunehmend dahingehend entwickelt, Konflikte um Wasserressourcen durch den Abschluss von Nutzungsabkommen zu vermeiden, oder, sollte es dennoch zu Konflikten kommen, diese durch Verhandlungen oder andere Mittel der friedlichen Streitbeilegung zu bewältigen – wozu im Übrigen das Völkerrecht verpflichtet. Und dafür gibt es einen einfachen Grund: Es hat sich schlichtweg in der Vergangenheit gezeigt, dass Anrainerstaaten langfristig durch Zusammenarbeit den größten Nutzen erzielen können.

Interview: Michaela Hutterer

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